Aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und anderen Suchthilfeeinrichtungen muss die neue Regierung möglichst schnell eine neue Drogen- und Suchtstrategie erarbeiten. Es brauche mehr Geld, mehr Prävention, mehr Anlaufstellen und einen anderen Umgang.

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"Sucht ist eines der am wenigsten beachtete Probleme in unserem Gesundheitssystem", sagt Eva Egartner vom Fachverband Drogen- und Suchthilfe bei einer Pressekonferenz. Jeder Zehnte habe in Deutschland ein Suchtproblem. Die beiden häufigsten Suchtstoffe: Tabak und Alkohol.

Sucht und der Konsum von legalen und illegalen Drogen belasteten laut einem "Aufruf für eine zukunftsfähige Suchtpolitik" die Volkswirtschaft mit Kosten von 150 bis 200 Milliarden Euro Jahr. 350 Experten aus dem Bereich der Suchthilfe, Prävention und Wohlfahrtsverbänden haben diesen Aufruf unterschrieben.

Immer mehr Menschen hätten außerdem ein Problem mit Verhaltenssüchten: Glücksspiel, Medienkonsum, Shopping oder auch Essstörungen. Zu tun gibt es in der Suchthilfe aus Sicht der Initiatoren genug. Alarmiert laden sie deshalb während der laufenden Koalitionsverhandlungen zur Pressekonferenz. Ihre Sorge: Die künftige Koalition könnte die Finanzierung von Präventionsangeboten weiter streichen – schon jetzt arbeiteten laut der Initiatoren drei Viertel der öffentlich finanzierten Suchtberatungsstellen nicht kostendeckend.

Verbände vermissen Drogenpolitik in Koalitionsverhandlungen

Hinzukomme, dass Drogenpolitik bislang kaum eine Rolle in den Koalitionsverhandlungen spiele. Die Union fordert in der Arbeitsgruppe Inneres, die Cannabis-Freigabe zurückzudrehen. Die Arbeitsgruppe Gesundheit hat sich in den Verhandlungen darauf geeinigt "geeignete Präventionsmaßnahmen" zu ergreifen, "um insbesondere Kinder und Jugendliche vor Alltagssüchten zu schützen." Zudem soll eine Regelung zur Abgabe von Lachgas und sogenannten K.-o.-Tropfen (GHB/GBL) zeitnah nach Amtsantritt vorgelegt werden.

Gabriele Sauermann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband bringt auf der Pressekonferenz einen "Nationalen Suchtrat" ins Gespräch, bestehend aus Zivilgesellschaft, Verbänden und Wissenschaft. Der könnte aus ihrer Sicht die Bundesregierung und den Bundesdrogenbeauftragten beratend unterstützen. Denn klar sei, dass die Suchtstrategie, die aktuell verfolgt würde, weiterentwickelt werden müsste. Weg von der Repression, hin zur Hilfe.

Worin sich die Akteure in der Suchthilfe außerdem einig sind: Abhängigkeitserkrankungen müssen raus aus der Tabuzone. Durch die damit verbundene Stigmatisierung würde Hilfe erschwert. Häufig suchten sich Betroffene erst nach vielen Jahren Hilfe.

Christina Rummel von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen macht deutlich: Sie ist nicht zufrieden mit den Ergebnissen der Verhandlungsgruppen. Die deutsche Suchthilfe sei ohnehin massiv von Kürzungen bedroht, hinzu komme der Fachkräftemangel. "Wir müssen hier investieren", sagt Rummel. Die Gesellschaft trage die Kosten, die durch Suchterkrankungen auf unter anderem auf das Gesundheitssystem zukämen – "jeder Euro, der in Suchtberatung und Hilfe gesteckt wird, lohnt sich".

Laut Rummel von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen könnte Verhältnisprävention eine wirksame Maßnahme sein – also etwa das Werbeverbot für Suchtmittel. Die SPD hatte in der Arbeitsgruppe Familie, Frauen, Jugend und Senioren einen entsprechenden Vorschlag gemacht: Werbebeschränkungen für unter-18-Jährige für Energy-Drinks, Alkohol, Einweg-Zigaretten und andere Nikotinprodukte. Die Union lehnt diesen Vorstoß laut dem Papier ab.

Alkohol und Tabak als "Elefanten im Raum" – Sorgen vor synthetischen Opioiden

Statt sich aber in Klein-Klein zu verlieren, braucht es aus Sicht der Suchthilfe eine umfassende Strategie. Heino Stöver von akzept E.V., dem Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, nennt Deutschland ein "drogenpolitisches Entwicklungsland". Drogenpolitik müsste stärker vernetzt gedacht werden – sowohl innerhalb der Ministerien des Bundes als auch zwischen Bund und Ländern. Außerdem müsse neben den illegalen Drogen ein Blick auf die Volksdrogen gerichtet werden. Alkohol und Tabak seien die "Elefanten im drogenpolitischen Raum".

Mit Blick auf die Herausforderungen, die Deutschland bevorstehen, zeigen sich die Initiatoren vor allem wegen synthetischen Opioiden, Heroin und Crack besorgt. Um hier Schadensminimierung zu betreiben seien unter anderem flächendeckende Drug-Checking-Angebote notwendig, ebenso brauche es mehr Drogenkonsumräume.

Paritätischer Wohlfahrtsverband schlägt Präventionsfonds nach Schweizer Vorbild vor

Gabriele Sauermann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband sei klar, dass all die Forderungen Geld kosteten – gerade im Bereich der Prävention. Die Verbände und Vereine hätten aber einen Lösungsansatz: ein nationaler Sucht- und Präventionsfonds. In der Schweiz gibt es solche Fonds bereits. Der "Tabakpräventionsfonds" soll etwa "Tabakkonsum verhindern, den Ausstieg fördern und die Bevölkerung vor Passivrauch schützen". Finanziert wird dieser Fonds durch eine Zusatzabgabe auf Zigarettenschachteln. 13 Millionen Franken kommen so laut der Schweizerischen Eidgenossenschaft jährlich zusammen.

"Das Prinzip des Verursachers", nennt Sauermann dieses Vorgehen. Auch in Deutschland ließen sich aus ihrer Sicht so Millionen generieren – und in das Suchthilfesystem stecken. Was die Akteure der Suchthilfe vor allem fordern: Planungssicherheit.

Verwendete Quellen

  • Besuch der Pressekonferenz
  • Papiere zu den ersten Ergebnissen der Arbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen
  • tpf.admin.ch: "Der Tabakpräventionsfonds"