Erste Drogenhilfe-Einrichtungen in Deutschland schlagen Alarm. In mehreren Stichproben konnte nachgewiesen werden, dass Heroin mit dem synthetischen Opioid Fentanyl gestreckt wurde. Kommt die Zombiedroge nach Deutschland?
Menschen laufen vornübergebeugt, die Arme hängen an den Seiten herunter, der Gang wirkt unrund. Andere sitzen neben ihren Zelten, auf Isomatten, auf dem Boden. Sie setzen sich Spritzen. In den Hals, in die Venen auf der Handoberseite. Manche rauchen kleine, kugelige Pfeifen oder schnupfen den Stoff. Sie wirken verwahrlost, ausgemergelt. Zombieland, so wird das Viertel Kensington in Philadelphia auch genannt.
Die Sorge, dass sich ein ähnliches Bild bald auch auf europäischen Straßen zeigen wird, steigt. Erste Drogenhilfe-Einrichtungen in Deutschland schlagen Alarm. Womöglich ist das Mittel, das in den USA für die aktuelle Drogenkrise verantwortlich ist, auch hier bald auf dem Vormarsch. Es handelt sich dabei um Fentanyl.
Was hat es mit Fentanyl auf sich?
- Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das nicht nur schneller abhängig macht, sondern auch etwa 50-mal stärker ist als Heroin. Das bedeutet, dass Überdosierungen wahrscheinlicher werden, oft schon geringe Mengen töten können. Die Lage ist in Philadelphia so alarmierend, dass Streetworker mittlerweile sogar Narcan-Nasenspray an Anwohner verteilen. Das Ziel: In jedem Haushalt soll ein solches Spray vorhanden sein, eine Präventionsmaßnahme. Das Arzneimittel kann im Ernstfall gegen die Überdosis helfen, Leben retten.
So ist die Fentanyl-Situation in Deutschland
Schon seit einiger Zeit besteht die Sorge, Fentanyl könnte auch in der deutschen Drogenszene an Relevanz gewinnen. Die Deutsche Aids-Hilfe hat deshalb in mehreren Drogenkonsum-Einrichtungen Stichproben des mitgebrachten Heroins untersuchen lassen.
Solche Einrichtungen, sogenannte Konsumräume, bieten Suchtkranken einen sicheren Ort für ihren Konsum. Dort gibt es nicht nur saubere Spritzen, sondern auch Ansprechpartner und soziale Angebote. Aus Sicht der Deutschen Aids-Hilfe ist das Ergebnis der Proben besorgniserregend: Zwischen März und August 2023 wurde in jeder der untersuchten Städte Fentanyl im Heroin gefunden.
"Noch spielen Fentanyl und andere synthetische Opioide bei uns in Deutschland keine größere Rolle. Das ist gut so", sagt der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), auf Anfrage unserer Redaktion. Er macht aber auch deutlich: Veränderungen auf dem globalen Drogenmarkt können jederzeit dafür sorgen, dass sich das ändert.
Es gebe zudem seit Jahren immer mehr neue und potente Drogen auf dem Markt. "Hochgefährlich ist der zunehmende Mischkonsum. Viele Menschen konsumieren, was auf dem Markt und was preiswert ist", sagt Blienert.
Man rechne damit, dass die Beimischung von Fentanyl im Heroin zunehmen werde, erklärt Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe. Eine Befürchtung, die auch die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) teilt. In Großbritannien, Irland und Polen gibt es ebenfalls erste Berichte darüber, dass synthetische Opioide wie Fentanyl zunehmen.
Grund dafür könnte eine Verknappung des Heroinnachschubs sein. Das zumindest ist die Sorge.
Was die Taliban mit dem deutschen Drogenmarkt zu tun haben
Dass das gewöhnliche Heroin auf deutschen Straßen knapp werden könnte, hängt mit der Herrschaft der Taliban in Afghanistan zusammen. Denn dort befinden sich zahlreiche der Schlafmohn-Plantagen, die für den Drogennachschub in Europa sorgen – die Taliban haben den Anbau verboten und 2023 zahlreiche Mohnfelder niedergebrannt.
Dealer könnten nun versuchen, den Mangel an Heroin durch Streckung des Stoffes mit synthetischen Stoffen auszugleichen. Wie die Ergebnisse der Strichprobe der Deutschen Aids-Hilfe vermuten lassen, passiert das bereits zumindest teilweise.
Bundesdrogenbeauftragter Blienert will Suchthilfe vorbereiten
Der Bundesdrogenbeauftragte Blienert sagt, es werde genau beobachtet, welche Entwicklungen sich abzeichnen. "Wir arbeiten an einem intensiveren Monitoring und ich habe eine Arbeitsgruppe der Ressorts eingerichtet, die sich kontinuierlich über neue Erkenntnisse austauscht."
Was ihm außerdem wichtig ist: Einen Plan zu entwickeln, wie riskante Entwicklungen am besten vorzubeugen sind. Dafür setze er sich mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und Suchthilfe zusammen. Blienert sagt: "Es gibt keinen Grund zur Panik, aber wir müssen sehr wachsam sein und etwaigen Entwicklungen entschlossen vorbauen."
Ähnlich ordnet das Bundeskriminalamt auf Anfrage unserer Redaktion die Situation ein: "Nach Einschätzung des BKA ist aktuell international genug Heroin verfügbar, um den Konsumentenmarkt in Deutschland ausreichend zu versorgen. Von einer Konkurrenz zwischen Fentanyl und Heroin kann derzeit nicht gesprochen werden." Von einer "Opioid-Krise" wie in den USA sei hierzulande nicht auszugehen.
Im Jahresbericht 2024 empfiehlt die Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA den Ländern der EU, sich vorzubereiten. Mit Blick auf eine sinkende Einfuhr illegalen Heroins könne damit gerechnet werden, dass sich der Drogenmarkt verschieben werde – hin zu synthetischen Opioiden.
Die EMCDDA empfiehlt daher, passende Angebote für Suchtkranke aufzubauen, also Drogenkonsumräume, Substitution-Therapie-Möglichkeiten und Drogenhilfe. Zusätzlich müsse die Entwicklung weiter dokumentiert werden.
Verwendete Quellen
- Anfrage beim Büro des Bundesbeauftragten für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert
- Webseite des EMCDDA: Jahresbericht 2024
- "Weltspiegel": "Die Drogenhölle auf den Straßen Amerikas" (Youtube)
- Webseite der Deutschen Aids-Hilfe: "Opioide: Fentanyl und Co. sind in Deutschland angekommen"
- Webseite KFF Health News: "To Stop Fentanyl Deaths in Philadelphia, Knocking on Doors and Handing Out Overdose Kits"
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, dass Fentanyl ein chemisches Opioid ist, das ist nicht korrekt, stattdessen ist Fentanyl ein synthetisches Opioid. Narcan Nasenspray ist zudem nicht von der Marke Naloxon, sondern enthält diesen Wirkstoff.
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