Der Koalitionsvertrag soll wohl schon am 14. April unterschrieben werden, die Union will Friedrich Merz am 23. April zum Kanzler wählen lassen. So zumindest der straffe interne Zeitplan. Mit den geplanten Neuverschuldungen hat Merz zudem ein großes Wahlversprechen über Bord geworfen. Politikwissenschaftler Uwe Jun blickt auf die Entwicklungen.

Ein Interview

Bereits am Donnerstag wollen Union und SPD ihr in den Sondierungen verhandeltes Milliarden-Paket zur Abstimmung in den alten Bundestag einbringen. Darin vorgesehen sind zum einen ein 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur. Und zum anderen Investitionen in die Verteidigung, die ab einem Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse ausgenommen werden sollen.

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Dafür soll das Grundgesetz geändert werden, wofür Schwarz-Rot allerdings die Zustimmung der Grünen benötigt. Doch einfach so wollen sie nicht für die Reform stimmen. Ihr Bekenntnis dazu knüpfen sie unter anderem an Klimamaßnahmen. Merz hofft, sie noch für seinen Plan gewinnen zu können.

Mit den geplanten Neuverschuldungen rückt der CDU-Chef schon wenige Tage nach der Wahl von einem seiner großen Wahlversprechen ab. Werden die Wähler ihm das verzeihen? Und ist der knappe Zeitplan zielführend? Fragen an Politikwissenschaftler Uwe Jun.

Politikwissenschaftler Uwe Jun
Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun. © picture alliance/dpa/Harald Tittel

Herr Jun, die vergangenen Tage ging es Schlag auf Schlag. Die Sondierungen waren schneller als geplant abgeschlossen, der Milliarden-Topf von Friedrich Merz soll noch im alten Bundestag beschlossen werden, die Koalitionsverhandlungen sind lediglich auf 10 Tage angesetzt. Kann das gut gehen?

Uwe Jun: Alles steht unter dem zeitlichen Aspekt, dass die Union die Verfassungsänderung noch durch den alten Bundestag beschließen lassen möchte. Damit haben sich Union und SPD auch selbst sehr unter Druck gesetzt. Zunächst musste sich die Union mit den Sozialdemokraten über eine mögliche Regierungsbildung verständigen. Hier gibt es inzwischen eine Grundlage. Danach war klar: Die Union muss auch mit der künftigen Opposition sprechen, für eine Zweidrittel-Mehrheit. Auch hier sind die ersten Gespräche erfolgt. Die Grünen fühlen sich derzeit allerdings nicht ausreichend gehört. Sie wollen verständlicherweise nicht am Katzentisch sitzen bei den Verhandlungen.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat vorgeschlagen, den Koalitionsvertrag erst einmal mit den wichtigsten Themen zu beschließen und gegebenenfalls nachzubessern. Was halten Sie davon?

Koalitionsverträge auszuhandeln, kann auch im Interesse des kleineren Koalitionspartners liegen – in dem Fall die SPD. Denn es gibt ihm die Möglichkeit, ein Regierungsprogramm festzulegen. Andernfalls hätte der größere Koalitionspartner mehr Handlungsspielräume in seiner formalen Machtposition. Die SPD will den Koalitionsvertrag per Mitgliedsentscheid abstimmen lassen. Das heißt, es braucht einen so ausgearbeiteten Koalitionsvertrag, über den die SPD-Mitglieder am Ende auch abstimmen können.

Mit dem angekündigten 500-Milliarden-Sondervermögen hat die Union eines ihrer zentralen Wahlversprechen über Bord geworfen: Die Schuldenbremse sollte, wenn überhaupt, nur ein Reförmchen bekommen. War die Abkehr davon abzusehen?

Friedrich Merz hat im Kanzler-TV-Duell gesagt, dass er für Diskussionen über die Schuldenbremse offen sei. Trotzdem sind Teile der Union enttäuscht, da die Glaubwürdigkeit ihrer Partei infrage gestellt wird. Denn im Wahlprogramm steht nun mal, dass die Schuldenbremse erhalten bleiben soll. Deshalb möchte Friedrich Merz aber die Schuldenbremse jetzt auch nicht grundlegend reformieren, sondern mit Extraschulden arbeiten, um das Einfallstor nicht weiter zu vergrößern. Das macht es in den Gesprächen mit den Grünen allerdings schwerer, da sie für eine grundlegende Reform der Schuldenbremse stehen.

Für die Union standen in der Priorisierung offensichtlich die Migration und das Bürgergeld weiter oben.

Uwe Jun, Politikwissenschaftler

Die Union hat sich mit Blick auf das Sondierungspapier ihre Zusage zum 500-Milliarden-Sondervermögen der SPD augenscheinlich teuer von den Sozialdemokraten bezahlen lassen.

Ein gemeinsames Regierungsprogramm bedeutet immer ein Abrücken von einzelnen Wahlversprechen der jeweiligen Parteien. Für die Union standen in der Priorisierung offensichtlich die Migration und das Bürgergeld weiter oben als die Schuldenbremse. In beiden Punkten ist die SPD der Union entgegengekommen. Die Union ist ja mit dem "Sondervermögen Infrastruktur" in Vorleistung gegangen, um an anderen Stellen die SPD zu Konzessionen zu bewegen. Ohne die SPD gibt es angesichts der zuvor getroffenen Entscheidung, nicht mit der AfD und den Linken zu kooperieren, keine Mehrheitsregierung im Bundestag, das ist der Union klar. Insofern waren die Sozialdemokraten in keiner schlechten Verhandlungsposition. Daraus wollte die SPD sicherlich einen Vorteil ziehen.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich Unionswähler hintergangen fühlen, weil die Schuldenbremse nun doch aufgeweicht wird?

Dafür müsste das Beibehalten der bisherigen Schuldenbremse ein zentrales Motiv der Unionswähler gewesen sein. Das war es nach allem, was wir wissen, nicht. Eine gewisse Enttäuschung in Teilen der Union ist nachvollziehbar, allerdings blieben ihr auch nicht viele andere Optionen. Denn es ist klar: Sie muss die SPD als Koalitionspartner gewinnen, die das Sondervermögen zugunsten der Infrastruktur wiederum offenbar als zentrale Verhandlungsgrundlage ins Spiel gebracht hat.

Die FDP ist jetzt die einzige Partei, die vehement an dem Verbleib der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form festhält. Könnte ihr das eine Wählergunst zur kommenden Bundestagswahl einbringen?

Vier Jahre ist in der Politik eine lange Zeit. Über die Zukunft der FDP können wir derzeit nur spekulieren. Es ist aber klar, dass sich ihr jetzt die Möglichkeit bietet, als Gralshüter finanzpolitischer Stabilität zu profilieren. Ob ihr das künftig nützt, ist noch nicht abzusehen.

FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr bemüht sich gerade, wie schon zur Asylabstimmung der Union, Wogenglätter zu sein und bringt einen eigenen Vorschlag ein. Kann das jetzt noch helfen?

Dass eine Vermittlung schon damals nicht von Erfolg gekrönt war, ist bekannt. Vermutlich ist das in der jetzigen Situation ebenfalls nicht durchschlagend, denn vor allem müssen sich Union, SPD und Grüne verständigen. Vermittlungsversuche der FDP sind daher nebensächlich.

Über den Gesprächspartner

  • Uwe Jun ist Politikwissenschaftler und Professor an der Universität Trier. Er ist Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft sowie (Mit-) Herausgeber der Reihen "Parteien in Theorie und Empirie" und der "Schriftenreihe Politik und Kommunikation". Jun forscht unter anderem zu Koalitionsbildung, Parteien und Politischer Kommunikation.