Auf ihrem Parteitag in Wiesbaden haben die Grünen Robert Habeck zu ihrem Kanzlerkandidaten gekrönt. Er will sich mit einem freundlichen Ton in einem schrillen Wahlkampf abheben. Womöglich ein riskanter Weg.

Eine Analyse
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Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bekanntlich schon in jungen Jahren am Zaun des Kanzleramts gerüttelt. Für Robert Habeck dagegen soll der Weg ins Zentrum der Macht über die Küchentische der Nation führen.

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Als er vor rund einer Woche verkündete, Kanzlerkandidat der Grünen werden zu wollen, nahm er das Video am Tisch eines Freundes auf. Seine Botschaft: An Küchentischen wie diesem kommen Familien zusammen, um über das Leben und die Welt zu sprechen. Und Habeck will sich in der nächsten Zeit an einige dieser Tische setzen, um zu hören, was die Menschen im Alltag bewegt.

Am Sonntag haben die Grünen den aktuellen Vizekanzler auf ihrem Parteitag in Wiesbaden offiziell zum Kanzlerkandidaten gekürt. Mit stolzen 96,5 Prozent der Delegiertenstimmen. Wie 2021 sollen er und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock die Partei als Spitzenduo in die Bundestagswahl führen. "Wir zwei sind durch dick und dünn gegangen, und jetzt gehen wir gemeinsam wieder auf Tour", sagt Baerbock. Allerdings in vertauschten Rollen: Dieses Mal ist Habeck die Nummer eins.

Habecks Stolpersteine

Diese Rolle ist aus mehreren Gründen ein Wagnis. Einerseits wegen der wirtschaftlichen Lage, die den Wahlkampf prägen könnte. Auch wenn man die Rezession nicht allein der Bundesregierung anlastet, auch wenn sie die Energieversorgung gesichert hat: Habeck ist der Wirtschaftsminister in der aktuellen Wirtschaftskrise. Zudem ist die Ampelkoalition, die er lange zusammenhalten wollte, im lauten Streit zerbrochen. Habeck steht vor der Herausforderung, aus einem Scherbenhaufen ein ansprechendes Zukunftsversprechen zu basteln.

Und dann ist da noch der ramponierte bis desaströse Ruf der Partei in Teilen der Gesellschaft. Die Grünen sind zum Sündenbock und Hassobjekt geworden. Delegierte aus Brandenburg erzählen auf dem Parteitag, dass sie regelmäßig angeschrien, beschimpft, bespuckt werden, wenn sie mit Schirm und Flyern in der Fußgängerzone stehen.

Der Grünen-Hass fokussiert sich stark auf die Person Habeck. Er erzählt in seiner Parteitagsrede, im Sommer selbst über einen Rückzug nachgedacht zu haben. Doch er habe nicht kneifen wollen.

Seine Antwort ist eine Charme- und Zuhör-Offensive. Die Grünen reden jetzt häufig über zu hohe Preise und andere Alltagssorgen. Zu seinen Mitbewerbern will Habeck nicht nur in den Inhalten, sondern auch im Ton einen Unterschied machen. Keine persönlichen Angriffe unter die Gürtellinie, kein Angstwahlkampf, keine schrillen Töne.

Die Frage ist, ob die Menschen den Grünen diese Strategie abnehmen. Die Frage ist auch, ob so ein Kuschelkurs noch in diese aufgeheizte Zeit passt. Die frühere Vorsitzende Ricarda Lang hat bei ihrem Abschied auf dem Parteitag Zweifel angemerkt: Früher seien die Grünen nach dem biblischen Rezept vorgegangen: Wenn dir einer auf die linke Wange schlägt, dann halte auch die rechte hin. Aus Langs Sicht funktioniert dieses Rezept nicht mehr – weil die Schläge dann nur umso heftiger werden.

Habeck allerdings ist von seinem Weg offenbar überzeugt. Aus seiner Sicht haben viele Leute genug von politischem Gebrüll und vom Schlechtreden des Landes.

Habecks Chancen

Die Grünen starten keinesfalls aus einer einfachen Position in den kalten und wahrscheinlich harten Winterwahlkampf. Allerdings haben sie zuletzt wichtige Weichen gestellt.

Ricarda Lang und Omid Nouripour haben sich als Vorsitzende zurückgezogen, ihre Nachfolger Franziska Brantner und Felix Banaszak wurden am Wochenende mit guten Ergebnissen gewählt. Auch der linke Flügel und die Grüne Jugend sind neuerdings Habeck-Fans – obwohl der Jugendverband vor wenigen Wochen noch kräftig gegen ihn gewettert hatte. Die nahende Wahl zwingt zur Geschlossenheit. Eine Spitzengrüne sagt: "Wenn wir jetzt anfangen, uns zu zerlegen, dann sind wir raus." Habecks einstündige Bewerbungsrede endet am Sonntag mit langem Jubel der Delegierten, sogar mit vereinzelten "Robert, Robert"-Rufen.

Vor allem berauscht sich die Partei auf ihrer Konferenz immer wieder an einer Zahl: Mehr als 11.000 Menschen haben in den vergangenen anderthalb Wochen einen Mitgliedsantrag gestellt. 700.000 Euro an Spenden sind seit dem Ende der Koalition am 6. November eingegangen. Das Ende der Ampel soll Habeck auch mehr Freiheit verschaffen: Er muss in seinen Äußerungen jetzt keine Rücksicht mehr auf einen Koalitionspartner FDP nehmen.

Kanzlerkandidat Habeck: "Nur ein Angebot"

Bleiben die Umfragen: Dort geben derzeit gerade einmal 10 bis 12 Prozent an, die Grünen wählen zu wollen. Eigentlich kein Wert, bei dem eine Partei guten Gewissens einen Kanzlerkandidaten aufstellen würde. Allerdings wollen die Grünen auch in keinem Fall in einem Rennen zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz untergehen.

"Wir sind nicht die Öko-App der anderen."

Robert Habeck

Wenn es nach ihnen geht, wollen sie vermitteln: Merz steht für die Vergangenheit, Scholz für die Gegenwart – und Habeck für die Zukunft. Er selbst sagt: "Wir sind nicht die Öko-App der anderen." Der Grüne will das Land mit Investitionen auf Vordermann bringen und dafür auch mehr Schulden aufnehmen. Auch die Große Koalition habe schon Schulden gemacht, sagt er: "Sie stehen nur nicht im Haushalt, sie sind zu betrachten in maroder Infrastruktur."

Habeck gibt sich bei dem Thema demütig. Das Wort "Kanzlerkandidat" nimmt er selbst kaum in den Mund. Der entsprechende Antrag beim Parteitag bezeichnet ihn umständlich als "Kandidat für die Menschen in Deutschland". Habeck sagt immer wieder: Seine Kandidatur sei "nur ein Angebot". Wer es annimmt, wird sich im kommenden Februar zeigen.

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