- Hongkong wurde ein hohes Maß an Autonomie versprochen, als es an China übergeben wurde.
- Mindestens 50 Jahre sollte es seine Lebensweise fortführen können.
- Doch schon nach der Halbzeit hat Peking die Versprechen gebrochen. Ray Wong, erster politischer Flüchtling aus Hongkong in Deutschland, blickt auf seine Heimat.
Es hätte ein Grund zum Feiern sein können. Vor 25 Jahren übergaben die Briten Hongkong an China. Nicht ohne ein Versprechen: Presse- und Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demonstrationsrechte – ein Land, zwei Systeme. Mindestens 50 Jahre sollte die frühere britische Kolonie ein hohes Maß an Autonomie gewährt bekommen, China sollte in dessen Lebensweise nicht eingreifen. Schon nach der Halbzeit ist dieses Versprechen gebrochen.
"Die aktuelle Lage in Hongkong ist schlechter denn je", sagt Ray Wong. Er ist der erste politische Flüchtling aus Hongkong in Deutschland und kam bereits 2017 hier an. "China hat seine Versprechen gebrochen und wir haben alle Freiheiten verloren", sagt der 28-Jährige. Das Nationale Sicherheitsgesetz habe Hongkong massiv verändert.
Das 2020 erlassene Gesetz hat die politische Opposition de facto unter Strafe gestellt. "Die meisten unserer Politikerinnen und Politiker sowie Aktivisten sind im Gefängnis oder leben im Exil", sagt Wong. Mehr als 180 Menschen sind seit Inkrafttreten des Gesetzes verhaftet worden.
Im Gefängnis sitzt beispielsweise der bekannte Aktivist Joshua Wong. Wer eine britische Flagge oder Sticker mit dem verbotenen Slogan der Protestbewegung trägt, muss mit einer Festnahme rechnen.
Kaum mehr Pressefreiheit in Hongkong
Auch Meinungs- und Pressefreiheit sind so gut wie abgeschafft. Die pekingkritische Zeitung "Apple Daily" wurde – wie viele weitere – geschlossen. Die Rangliste der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" belegt das: Hongkong liegt mittlerweile nur noch auf Platz 148, knapp vor der Türkei.
"Das ist nicht mehr das Hongkong, wie ich es kenne", sagt Wong. Mehr und mehr werde Hongkong zu einer chinesischen Stadt wie jede andere. Etwas, was Wong eigentlich zu verhindern versuchte: Seit der sogenannten "Regenschirmrevolution" 2014 ging er immer wieder gegen den starken Einfluss Chinas auf die Straße. 2016 wurde er nach Protesten verhaftet, kam aber auf Kaution frei. Vor einer mehrjährigen Haftstrafe floh er schließlich nach Deutschland.
Ray Wong: Neuer Regierungschef John Lee ist "loyal gegenüber Peking"
Von hier aus setzt er sein Engagement für seine Heimat fort. "Die chinesische Regierung nimmt immer mehr direkten Einfluss auf Hongkong", beobachtet Wong. Mit John Lee, der die Nachfolge von Carrie Lam angetreten hat, ist nun ein Hardlinder und Peking-Treuer Hongkongs neuer Regierungschef.
"Lee ist der ehemalige Sicherheitsminister und loyal gegenüber Peking", sagt auch Wong. Der 64-Jährige ist durch eine Scheinwahl ohne Gegenkandidaten ins Amt gekommen. Lee ist in Hongkong besonders wegen seiner aktiven Rolle bei der Niederschlagung der pro-demokratischen Demonstrationen im Jahr 2019 umstritten.
Damals waren zwei Millionen Menschen auf die Straße gegangen und hatten gegen die Gleichschaltung mit China protestiert. Der Westen sendete Solidaradressen, wirklich gravierende Konsequenzen hatte Pekings Vorgehen in Hongkong allerdings nicht.
"Durch das Nationale Sicherheitsgesetz können keine Proteste mehr organisiert werden, sie stehen unter Strafe. Viele Menschen in Hongkong haben Angst", weiß Wong. Auch unter Lee dürfte die "Nationale Sicherheit" eine übergeordnete Rolle spielen.
Gleichschaltung und Propaganda
Dabei kommen weitere Veränderungen auf die Hongkonger zu: Die Polizei soll fortan auch optisch mit Peking gleichgeschaltet werden und im "Gänseschritt" marschieren – so, wie es chinesische Soldaten bei Paraden tun. Offiziell wurde die Maßnahme mit der "Förderung des Patriotismus und Stärkung des Bewusstseins für die nationale Identität" begründet.
Es ist nicht der einzige Versuch, die einst so lebendige Hongkonger Zivilgesellschaft stumm zu halten. Propaganda und Staatsbürgerkunde sind an der Tagesordnung. So wird in neuen Schulbüchern beispielsweise suggeriert, die Massenproteste von 2019 seien von "ausländischen Kräften" initiiert worden. Hongkong sei keine britische Kolonie gewesen, sondern nur besetztes Gebiet.
Dabei zeigt eine aktuelle Umfrage, dass sich nur zwei Prozent der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 29 vornehmlich als Chinesen identifizieren – und 76 Prozent als Hongkonger. "Die Stimmung der Bevölkerung ist pessimistisch, weil sie keine bessere Zukunft in Sicht hat", weiß Wong.
Während der Corona-Pandemie hatte Chinas Präsident Xi Jinping die Sonderverwaltungszone weiter isolieren können. Die Finanzmetropole Hongkong leidet stark unter den erst kürzlich gelockerten Grenzschließungen und der drakonischen Null-Covid-Strategie.
Feierlichkeiten mit Xi geplant
Viele europäische Unternehmen wollen bereits die Stadt verlassen, beklagen außerdem eine Abwanderung gut ausgebildeter Fachkräfte. Im ersten Quartal des Jahres schrumpfte die Hongkonger Wirtschaft um vier Prozent. Mit Blick auf das ganze Jahr rechnen Ökonomen nur mit einem Wachstum zwischen einem und zwei Prozent. Damit verliert Hongkong auch international weiter an Bedeutung.
Xi Jinping nimmt das in Kauf, um seinen Griff um die Finanzmetropole fester zu schließen. Am Freitag will er nach Hongkong reisen und an Feierlichkeiten teilnehmen. "Wir können keine Unabhängigkeit feiern. Es gab nur einen Übergang von Großbritannien zu China", sagt Wong. Er legt seine Hoffnung vor allem auf westliche Demokratien: "Sie müssen die China-Politik beeiflussen und die Hongkonger Perspektive einbringen", fordert er. Die Gefahr, die von der Kommunistischen Partei Chinas ausgehe, bedrohe die Freiheit nicht nur in Hongkong.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Ray Wong
- ZDF.de: 25 Jahre nach Übergabe an China. Es war einmal in Hongkong. 29.06.2022
- FAZ.net: Hongkong ist nur noch ein Schatten seiner selbst. 29.06.2022
- Handelsblatt.com: Niedergang einer Finanzmetropole – Wie Chinas strenges Regiment Hongkong schwächt. 29.06.2022
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