Die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek steht vor einer schwierigen Aufgabe: Als Co-Chefin muss sie die neue Gruppe im Bundestag etablieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass der Wiedereinzug in Fraktionsstärke ins Parlament gelingt. Wie will sie das schaffen?
Für die Linke sind ungemütliche Zeiten im Bundestag angebrochen. Nach der Spaltung der Fraktion wurden die verbliebenen 28 Abgeordneten zwar als Gruppe anerkannt. Doch das heißt auch: weniger Rechte. Die Linke kann die Regierung nur noch mit einer begrenzen Anzahl an Anfragen löchern und sie hat weniger Redezeit. Die muss also gut genutzt werden.
Bevor die neue Gruppen-Vorsitzende Heidi Reichinnek (35) unseren Reporter am Freitag vergangener Woche in ihrem Bundestagsbüro zum Interview empfängt, hat sie selbst im Plenum gesprochen. Das Thema: der internationale Frauentag. Die bekennende Feministin Reichinnek findet, dass die Ampel Frauen im Stich lasse.
Frau Reichinnek, die Linksfraktion ist Geschichte, die verbliebenen Abgeordneten sortieren sich neu als Gruppe, deren Vorsitzende Sie sind. Darf man zu diesem Amt gratulieren – oder ist eher Mitleid angebracht?
Heidi Reichinnek: Auf jeden Fall Ersteres. Es ist natürlich eine große Herausforderung. Da die Fraktion liquidiert wurde, müssen wir bei Null anfangen. Wir brauchen Computer, Personal, neue Accounts in den sozialen Medien. Nichts durfte übernommen werden. Diese Organisationsarbeit ist nicht immer sexy. Gleichzeitig haben wir jetzt die Chance, uns enger mit der Partei und den Landesverbänden zu vernetzen – das ist extrem wichtig, wenn wir wieder erfolgreich sein wollen.
Ihr Start war denkbar schlecht. Mit nur einer Stimme Mehrheit wurden Sie und Ihr Co-Chef Sören Pellmann gewählt.
Ich würde es so sagen: Es war ein ehrliches Ergebnis. Und das ist eine gute Sache. Bei der CDU gab es vor der letzten Wahl drei Bewerber für die Kanzlerkandidatur. Für den SPD-Vorsitz waren es noch mehr. Da hieß es: Super, ihr habt so viel Auswahl. Und bei uns soll das ein Problem sein? Sorry, da gehe ich nicht mit. Vier Bewerberinnen und Bewerber haben ein Angebot gemacht, die Mehrheit entscheidet – ohne Absprachen, ohne Hinterzimmer. Damit machen wir jetzt weiter.
Ein Grund für den Niedergang der Linken in den vergangenen Jahren war der Dissens zwischen Partei- und Fraktionsführung. Wie soll das mit einer geschrumpften Gruppe besser werden?
Vor allem durch bessere Zusammenarbeit und mehr Gespräche. Nach unserer Wahl haben wir sofort mit den Parteivorsitzenden eine Pressekonferenz gemacht. Wir haben zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine eine gemeinsame Erklärung verfasst. Genauso gab es Videos zum Internationalen Frauentag oder zum Equal Pay Day. Für uns ist wichtig, mit allen Gremien der Partei und den Landesverbänden ins Gespräch zu kommen. Diese enge Vernetzung braucht es.
Mit anderen Worten: In der Vergangenheit gab es sie nicht?
Sie war zumindest ausbaufähig. Nach der Abspaltung ist es entscheidend, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen. Es geht auch um ein Zeichen: Ja, ein Teil ist gegangen. Aber die anderen sind noch da. Sie haben sich aktiv für die Linke entschieden, sie gehören dazu und sollen gehört werden. Es kann nicht für jeden immer zu 100 Prozent passen. Aber wir wollen so viele wie möglich mitnehmen.
Trotzdem bleibt der Eindruck: Sahra Wagenknecht ist weg, die Probleme aber sind nicht weniger geworden.
Lassen Sie mich etwas zum Thema Einigkeit sagen. Als Gruppe haben wir weniger Rechte im Bundestag. Unter den Abgeordneten ist es daher Konsens: Wir konzentrieren uns auf Sozialpolitik. Auf die Dinge, die den Alltag der Menschen verbessern. Unser erster Antrag war zum Thema sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen. Ein klassisches Thema für Arbeiterinnen und Arbeiter. Der nächste Antrag fordert eine Reform der Schuldenbremse. Danach kommt etwas zum Thema Heizkosten und zum Klima. Wenn ich mir unsere super Präsenz im Sitzungssaal angucke, glaube ich, dass wir auf einem guten Weg sind.
Welche Partei will die Linke sein?
Wir sind die Partei der Arbeiterinnen und Arbeiter, wir sind die Partei der Mehrheit – das war schon immer so. Die Frage ist: Womit werden wir wahrgenommen? Und ich glaube, dass wir gemeinsam versuchen müssen, die sozialen Themen noch weiter nach vorne zu stellen.
Also alles nur ein Kommunikationsproblem?
An vielen Stellen schon. Bei der Kommunikation haben wir Nachholbedarf. Andere Parteien übrigens auch. Als Linke tendieren wir dazu, tolle, kluge Papiere zu schreiben. Das ist super. Aber es gibt Menschen, die sich nicht rund um die Uhr mit Politik beschäftigen –, weil sie arbeiten, Kinder betreuen, Angehörige pflegen. Deswegen ist es wichtig, unsere guten Konzepte auf den Punkt zu bringen. Wir müssen auch viel stärker in den sozialen Medien aktiv sein.
Sie wollen inhaltlich also weiterhin beides: den Arbeitslosen in Ostdeutschland ansprechen und die junge, hippe Familie aus Berlin-Prenzlauer Berg?
Die soziale Frage verbindet alle. Wir spielen Gruppen nicht gegeneinander aus. Ein Beispiel: Wir fordern ein gerechtes Steuersystem. Beim Konzept der Linken würden alle, die weniger als 6.500 Euro brutto im Monat verdienen, entlastet. Das ist die überwältigende Mehrheit. Dafür müssen wir aber Vermögen und große Erbschaften stärker besteuern. Allein durch Steuerflucht verlieren wir jedes Jahr 50 Milliarden Euro. Geld, das wir für die öffentliche Daseinsvorsorge, für Kita-Plätze, Gesundheit, den ÖPNV dringend brauchen. Davon profitieren alle: der Arbeitslose und die junge Familie.
Es gibt Stimmen in Ihrer Partei, die sagen: Wir haben den Osten vernachlässigt. Stimmen Sie zu?
Ich bin überzeugt, dass wir die einzige Ostpartei im Bundestag sind. Ich selbst komme aus Sachsen-Anhalt. Wenn ich mir die Debatten im Parlament anschaue, sind wir es, die bei jedem Thema auch den Osten im Blick haben. Diesen Rang lassen wir uns nicht ablaufen.
Was heißt das konkret?
Ich habe das Thema sachgrundlose Befristung erwähnt. Das ist im Osten ein massives Problem. Auch der Mindestlohn spielt hier eine größere Rolle – einfach, weil viele Menschen im Osten schlecht bezahlt werden. Für uns ist das Rententhema wichtig. Es ist jetzt schon absehbar, dass sich die Renten in Ostdeutschland durch Langzeitarbeitslosigkeit und schlechte Löhne verschlechtern werden. Diese Sichtweise auf die Lebensrealitäten im Osten zeichnet die Linke aus.
Mit
Bodo Ramelow ist das Bollwerk, das die Demokratie verteidigt. Ich übertreibe nicht. Schauen Sie doch, was in Thüringen los ist. Ich bin dankbar dafür, was Bodo Ramelow mit seiner Minderheitsregierung leistet – gegen den Druck der AfD und auch der CDU, die eine unrühmliche Rolle spielt. Neben den drei Landtagswahlen gibt es auch noch die Europawahl und neun Kommunalwahlen: Die sind für uns alle wichtig. Wir wollen als Kümmererpartei wieder stark werden.
Was wird aus der Linken, wenn es 2025 nicht gelingt, wieder als Fraktion in den Bundestag einzuziehen?
Fragen Sie das die FDP auch immer? Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir es schaffen. Wenn ich es nicht wäre, könnte ich diesen Job nicht machen. Es braucht die Linke. Ohne uns wäre Olaf Scholz das linke Angebot im Bundestag. Das kann doch niemand wollen. Wir sind die einzige Opposition, die wirklich Druck von links macht. Es gibt genügend Grüne und SPDler, die dankbar sind, wenn wir den sozialen Aspekt betonen, weil sie es selber in ihrer Koalition nicht können. Die soziale Frage ins Zentrum der Politik zu stellen – das ist die Aufgabe der Linken. Und auch wenn wir uns mal fetzen: Das dürfen wir nie vergessen.
Über die Gesprächspartnerin:
- Heidi Reichinnek ist 1988 in Merseburg, Sachsen-Anhalt, geboren. Seit 2021 sitzt sie im Deutschen Bundestag. Nach dem Aus der Linksfraktion übernahm sie im Februar 2024 gemeinsam mit Sören Pellmann den Vorsitz der Gruppe. Reichinnek studierte Nahoststudien und Politikwissenschaft an den Universitäten Halle-Wittenberg und Marburg (Politik und Wirtschaft). Sie zählt zu den Politikern im Bundestag mit der höchsten Reichweite auf dem Videoportal Tik Tok.
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