Emilia Fester ist die jüngste Grüne im Bundestag, der Superlativ hat ihr früh Aufmerksamkeit gebracht. Auch auf Social Media ist sie laut – und zieht viel Hass auf sich.
Das bunte Chaos ist angerichtet, aber schon ein bisschen geordnet. Emilia Fester steht in ihrem Büro, über ihr hängen Girlanden und Pompons, auf dem Tisch ist schon alles vorbereitet für einen Puzzleabend. Viele Teile sind sortiert, auch ein Großteil des Randes schon gelegt.
Eigentlich ist Puzzeln nicht das größte Hobby der Jugendpolitikerin. Ihr Team aber liebt es, und daher ist im Büro Fester oft ein Puzzle zu finden. Heute zeigt das Motiv eine riesige bunte Demonstration und einen kleinen, dunklen Gegenprotest in einer fiktiven Stadt. Das Puzzle wird über die Sommerpause liegen bleiben. Denn auch wenn die 26-Jährige nicht in Berlin, sondern im Wahlkreis unterwegs ist: Ihr Team hält die Stellung. Ein Puzzle gehört dazu.
Ihr Team, sagt Fester, gibt ihr den Rückhalt, den sie braucht – genau wie ihre Berliner WG, in der sie gemeinsam mit zwei weiteren jungen Grünen-Politikerinnen lebt. Gespräche seien ihr Mittel, um runterzukommen. Selfcare. Und runterkommen muss die junge Grüne regelmäßig in ihrem Leben als Abgeordnete, mit 80 bis 100 Stunden Arbeit in Sitzungswochen und Shitstorms.
"Es ist wichtig, sich zusammenzutun", sagt sie. Emilia Fester ist für viele Menschen ein Hassobjekt. Eine junge Frau, die sich selbst als Antifaschistin bezeichnet und für die Grünen im Bundestag sitzt, bietet offensichtlich Angriffsfläche. Nach ihrer ersten Rede im Plenum hat sie Morddrohungen erhalten. Das Thema: die Impfpflicht. Fester forderte während der Pandemie Solidarität auch mit jungen Menschen, die viele Erfahrungen wegen Corona nicht machen konnten.
Regelmäßig meldet ihr Mitarbeiter Hassnachrichten und Drohungen an die Organisation Hate Aid. In den sozialen Medien fällt Fester vor allem mit ihren Tanzvideos auf. Mit Trendsounds von Tiktok will Fester auf aktuelle Probleme in der Politik und ihre Meinung dazu aufmerksam machen. In den Kommentaren: abschätzige Beiträge und viele blaue Herzen (ein Zeichen für die Sympathie mit der AfD).
Um den Hass auf ihr jüngstes Kind zu verarbeiten, hat Festers Mutter ein Theaterstück geschrieben. "Mit Tauben Schach spielen" hat sie es genannt, weil Diskussionen mit Hatern so viel Sinn ergeben, wie eine Partie Schach mit Vögeln.
Normalerweise versucht Fester, sich wenig mit dem Hass auseinanderzusetzen. "Ich merke, dass ich zu viel von mir gezeigt habe, wenn mich die Kommentare verletzen." Was sie damit meint? Wenn die Beleidigungen und Kritikpunkte sie treffen, hat sie auf Social Media zu viel von der privaten Emilia gezeigt. Seit den Morddrohungen sei sie vorsichtiger. "Eigentlich bin ich ein offener Mensch, zu Beginn der Legislatur vielleicht sogar ein bisschen naiv."
Jetzt ist das anders, Essen oder Getränke, die ihr fremde Menschen zum Beispiel an Wahlständen anbieten, rührt sie nicht an. Zu groß die Sorge, dass wirklich jemand Drohungen ernst meinen könnte.
"Solidarity", ruft Fester und streckt ein Puzzleteil in die Luft. Wirklich voran geht es zwischen den ganzen Spruchbändern, die auf dem Abbild zu sehen sind, nicht. Sie lacht kurz, ihre Augen werden klein, ihre Grübchen kommen heraus. Sie wirft den Kopf zurück. Dann sucht sie nach weiteren Stücken für das große Fridays-for-Future-Banner, das später im unteren Drittel des Puzzles zu sehen sein soll. Wenn ihr ernste Fragen gestellt werden, nimmt sich Fester ein Stück zurück. Denkt kurz nach und antwortet mit leiser, ruhiger Stimme.
Immer wieder betont sie, wie privilegiert sie ist. Sie will vermeiden, dass Menschen ihre Aussagen missinterpretieren. So sei es bei einem Gespräch mit dem "Spiegel" passiert. Damals erklärte Fester, sie opfere gerade ihre Jugend. Was sie damit eigentlich meinte? "Es fühlt sich für mich an, als würde mein Leben auf Pause stehen. Ich bin Abgeordnete im Bundestag, das ist aktuell mein Leben. Ich weiß aber auch, dass ich das nicht für immer machen werde."
Natürlich wolle sie noch einmal für den Bundestag antreten, ob es wieder reicht, ist bei den aktuellen Umfrageergebnissen der Grünen fraglich. Fester könnte sich auch eine dritte Amtszeit vorstellen – dann aber will sie zurück in ihr altes Leben. "Was ich nach zwölf Jahren im Parlament nicht erreicht habe, werde ich auch nicht mehr erreichen", sagt sie. "Ich weiß aber auch, dass ich dann nicht alles nachholen kann, was ich jetzt erleben würde." Fester wäre nach drei Legislaturperioden 35 Jahre alt.
Was sie erreichen möchte? "Ich will die Situation und die Anliegen junger Menschen ins Parlament bringen." Deshalb ist Fester Jugendpolitikerin, verknüpft die Belange junger Menschen mit ihrer eigenen Jugendlichkeit. Sie will, dass Jugendliche mehr Gehör finden. Regelmäßig wird sie zu Veranstaltungen eingeladen, bei denen es um Jugendbeteiligung geht. Oft gibt Fester Tipps, wie das konkrete Anliegen vorangetrieben werden könnte. Manchmal nimmt sie Arbeitsaufträge für sich selbst mit.
Sie sieht aktuell eine historische Chance für ihre Partei, ein Stück nach links zu rücken – und so wieder mehr Menschen abzuholen. Soziale Gerechtigkeit liegt Fester am Herzen. Natürlich sei die Klimakrise die Krise dieser Zeit. Aber: "Wir dürfen nicht vergessen, die Menschen mitzunehmen, und die haben eben aktuell andere Sorgen als das Klima." Das gebe sie auch immer wieder den Grünen-Ministern mit, etwa Robert Habeck. Ohne sozialen Ausgleich, macht die junge Grüne deutlich, werde es nicht gehen.
Sorge, dass ihre Botschaften neben Social-Media-Tänzen und Shitstorms untergehen, hat Fester nicht. "Die Menschen, die ich ansprechen möchte, erreiche ich." Sie bekomme viel positives Feedback – wegen des Hasses unter ihren Postings würden sich allerdings viele nicht trauen, dem öffentlich entgegenzutreten. Auch deshalb versucht ihr Team, bei Shitstorms möglichst schnell zu handeln. Um für die Menschen, die Fester folgen, weil sie sie gut oder interessant finden, einen positiven Raum zu schaffen.
Bei jeder Veröffentlichung wird der darauf folgende Hass mitgedacht, sagt ihr Mitarbeiter. Auch das war etwas, dass das Team lernen musste.
Ein Jahr hat Fester noch, um für ihre Themen laut zu sein. Um die Jugend im Parlament zu vertreten. Weitere Debatten über eine Dienstpflicht würde sich Fester gerne ersparen. "Es ist unmöglich, dass bei jeder Form von Nachwuchsmangel erst einmal eine Pflicht gefordert wird", ärgert sie sich. "Wieso sprechen wir nicht darüber, wie man die Jobs für junge Menschen attraktiv machen kann?" Die Jugend sei nicht faul – sie habe Ansprüche. Und daran müssten sich die Arbeitgeber langsam mal gewöhnen.
Emilia Fester ist klar, dass sie auch eine Vorbildfunktion einnimmt. Noch immer ist die Politik geprägt von älteren Menschen, auch wenn der aktuelle Bundestag so jung ist wie nie. Zu ihrer Vorbildrolle gehören für Fester Nahbarkeit und Authentizität. Auch deshalb ist es für sie keine Option, die Social-Media-Tanzvideos, aufzugeben.
"Dann hätten die ja gewonnen." Mit "die" meint Fester ihre Hater. In den Austausch geht sie mit ihnen nicht. "Wenn keine konstruktive Debatte möglich ist, verschwende ich damit nur meine Zeit." Ihr geht es um die linke, progressive Öko-Jugend, die für die gleichen Werte einsteht wie Fester selbst. "Ich bin als Antifaschistin in den Bundestag eingezogen, wenn Faschos mich nicht mögen, habe ich wohl alles richtig gemacht."
Das Puzzle wird an diesem Abend nicht fertig, Fester muss in den Bundestag. Es ist Sitzungswoche, voraussichtlich wird sie bis 23:00 Uhr im Plenum sitzen. Am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen, es ist eine Fraktionssitzung für sieben Uhr morgens angesetzt. Die Teile bleiben liegen, in der Sommerpause werden die Büromitarbeitenden daran weiterknobeln. Vielleicht wird die bunte Demoidylle im Herbst also fertig sein. Pünktlich nach der Sommerpause, wenn es auch für Fester und die anderen Abgeordneten weitergeht.
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