Nach dem Willen des britischen Parlaments soll der Brexit verschoben werden - nur, auf wann? Die Antwort auf die Frage ist brisant, denn ein langer Aufschub könnte die EU in Schwierigkeiten bringen. Eine Übersicht über die Optionen und ihre Folgen.
Eine Verschiebung des Brexit ist inzwischen wahrscheinlich. Doch je weiter der Abschied Großbritanniens aufgeschoben wird, desto größer werden die Risiken für die Europäische Union. Sie könnte nach einigen Monaten auf rechtlich unsicheres Terrain und politisch in eine Schieflage geraten.
Das sind die Brexit-Optionen
Verschiebung bis zur Europawahl
Acht Wochen Aufschub bis zur Europawahl vom 23. bis 26. Mai gelten in Brüssel als unproblematisch. Denkbare Szenarien für eine solche "technische" Verlängerung wären entweder mehr Zeit für Großbritannien, um einen doch noch gebilligten Austrittsvertrag umzusetzen, oder mehr Zeit zur Vorbereitung auf einen ungeregelten Austritt.
Denn EU-Diplomaten verwiesen zuletzt darauf, dass viele europäische Unternehmen weiter nicht ausreichend auf ein No-Deal-Szenario vorbereitet sind.
Weiter in der EU bis Ende Juni
Vergangene Woche hatte Premierministerin
Unterhaussprecher John Bercow machte May jedoch einen Strich durch die Rechnung: Er schloss eine dritte Abstimmung über denselben Deal aus. May hatte eine Entscheidung für eine dreimonatige Verschiebung des Brexit an ein Ja für ihren nachverhandelten Deal mit der EU geknüpft.
Eine dreimonatige Verlängerung der Austrittsfrist wäre nach einem Rechtsgutachten des EU-Parlaments möglich, ohne dass Großbritannien verpflichtet wäre, selbst Europawahlen abzuhalten. Stichtag dafür wäre demnach der 2. Juli, wenn das neue Parlament erstmals zusammentritt.
Über Anfang Juli hinaus EU-Mitglied
Bleibt Großbritannien über den 2. Juli hinaus EU-Mitglied, müsste das Land Europawahlen abhalten und gewählte Abgeordnete ins neue Parlament entsenden, heißt es in dem Rechtsgutachten.
Großbritannien behielte seine 73 Sitze im EU-Parlament. Die geplante Verkleinerung der Kammer von 751 auf 705 Abgeordnete fiele aus.
Die 27 weiteren britische Sitze würden auch nicht wie vorgesehen auf andere Mitgliedstaaten verteilt. In Ländern wie Frankreich und Belgien würden dann zwar zusätzliche EU-Abgeordnete gewählt, sie könnten ihre Posten aber nicht antreten, solange die Briten noch Mitglied sind.
Rechtliche Risiken
Problematisch würde es, wenn sich Großbritannien weigerte, Europawahlen abzuhalten. Nach dem Rechtsgutachten des Parlaments wäre das "ein Bruch der Verpflichtungen" aus den EU-Verträgen.
Die EU-Kommission könnte dann ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien einleiten. Doch bis zu einer Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof könnten Jahre vergehen.
Über die Folgen für die Parlamentsarbeit gibt es unterschiedliche Ansichten. Die Juristen des Parlaments halten für diesen Fall Rechtsakte für "gültig, auch ohne Beteiligung von Mitgliedern aus dem Vereinigten Königreich".
Der Rechtsdienst des Rates der Mitgliedstaaten sieht das anders und fordert deshalb, eine Verlängerung ohne britische Teilnahme an den Europawahlen auf die Zeit bis zum 1. Juli zu beschränken.
"Es besteht die Gefahr, dass Rechtsakte verabschiedet werden und jemand dagegen klagt, weil sich das Parlament unzulässig zusammensetzt", erläuterte ein EU-Diplomat. Auch der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen befürchtet dann "eine Lähmung der Europäischen Union".
Politische Risiken
Erste Aufgabe des neuen EU-Parlaments wäre es, im Juli den nächsten Präsidenten der EU-Kommission für eine fünfjährige Amtszeit zu wählen. Er benötigt die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments.
Bleiben die Briten und stellen sie auch Abgeordnete, hätten sie mit fast zehn Prozent der Stimmen beträchtlichen Einfluss auf die Besetzung des mächtigen Postens - obwohl sie die Union selbst nach einigen Monaten wahrscheinlich verlassen werden.
Auch die gesetzgeberische Arbeit des Parlaments könnte eine ganz andere Richtung nehmen. Mit britischen Vertretern im Parlament würde sich die Zahl der europaskeptischen Abgeordneten weiter erhöhen, bemerken Experten des Brüsseler European Policy Centre (EPC). Dies könne "nachteilige Folgen für das Machtgleichgewicht" im Parlament haben. (afp/mcf)
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