Brexit und kein Ende. Obwohl die EU neue Verhandlungen kategorisch ablehnt, glaubt der neue britische Regierungschef Boris Johnson an weitere Gespräche über das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union. EU-Korrespondent und Experte Detlef Drewes kann diesen Optimismus nicht verstehen.
Herr Drewes, gibt es eigentlich im Europaparlament irgendjemanden, der sich darüber freut, dass
Detlef Drewes: Nein. Außer Nigel Farage, dem notorischen Brexit-Befürworter, gibt es da keinen.
Keine Chance, dass sein Amtsantritt irgendwelche positiven Auswirkungen auf den Vollzug des Brexit haben wird?
Auch auf diese Frage ein klares Nein. Es gibt niemanden, der sich von Johnson irgendetwas verspricht. Die Vorstellung, dass die Verhandlungen weitergehen könnten, dass überhaupt irgendetwas in eine gute Richtung weitergehen könnte - die hat niemand im Europaparlament. Und erst recht nicht glauben die Menschen in der Europäischen Kommission, die mit Johnson zu tun haben werden, an eine positive Wendung der Dinge.
Es wird also beim Nein zu neuen Brexit-Verhandlungen bleiben?
Ja. Man sagt hier ganz klar, dass nicht neu verhandelt wird. Boris Johnson bietet ja auch nichts an. Er hat überhaupt keine Vorschläge für die großen Streitfragen. Er kommt mir vor wie ein kleines Kind, das ein Legespiel macht, wo es herausfinden muss, welche Form in welches Loch passt. Wenn Boris Johnson es schafft, das viereckige Klötzchen in das runde Loch zu kriegen - dann wird wieder verhandelt.
Welches Problem wäre so ein eckiges Klötzchen?
Vor allem die Irland-Frage. Boris Johnson kommt nicht um die Frage herum, wie er das Miteinander in diesem Teil Großbritanniens regeln möchte. Aber er muss es regeln.
Aber er scheint auf ein Angebot der EU zu hoffen und droht sogar damit, die britischen Schulden nicht zu bezahlen …
Die Engländer haben Verpflichtungen über 44 Milliarden Euro aus Projekten, die derzeit laufen. Wenn man in der EU alles ausgeschrieben hätte, was die Briten an Leistungen bekommen haben, käme man auf hundert Milliarden. Man geht hier davon aus, dass, wenn er wirklich nicht zurückzahlen will, sofort alle weiteren Zahlungen an das Vereinigte Königreich gestoppt werden. Und es gibt Experten, die voraussagen, dass dann in nächster Zeit in England viele unvollendete Brücken herumstehen werden. Weil dann zum Beispiel alle Projekte stillstehen würden, die bisher mit Infrastrukturmaßnahmen der EU gefördert werden.
Kann Johnson vielleicht nochmal über diese 44 Milliarden verhandeln?
Die Einstellung geht quer durch die ganze EU, quer durch alle Parteien von ganz links bis ganz rechts, und von grün bis unabhängig, und bei den Staats- und Regierungschefs ist es genau dasselbe: Wir haben einen Deal, und der wird nicht wieder aufgedröselt. Und wozu auch? Johnson kann keine Antwort darauf geben, wie er für ein anderes Abkommen eine Mehrheit im britischen Parlament bekommen will.
Woher nimmt Johnson denn sein Selbstbewusstsein, dass am Deal noch etwas zu ändern wäre?
Man hat hier in Brüssel die Meinung, dass weder er noch viele Briten verstanden haben, wie gut und intensiv sich die EU auf einen harten Brexit ohne Deal vorbereitet hat. Alle Bereiche, die infrage kommen, sind in den letzten Monaten gecheckt worden: Handel, Logistik, Fluggenehmigungen, Passagierrechte, Arznei- und Lebensmittellieferungen und vieles, vieles mehr - das ist alles geklärt. Und die Ergebnisse sind ja nicht geheim: Es wurden Mitteilungen verfasst, jeder kann das nachlesen. Trotzdem scheinen die Briten immer noch zu glauben, dass sie in der besseren Verhandlungsposition sind.
Nochmal: Gibt es irgendeine Chance für neue Verhandlungen?
In der Tat gibt es sogar noch zwei Chancen: Nämlich, dass Johnson entweder Neuwahlen zum britischen Abgeordnetenhaus oder ein neues Referendum einläutet. Aber er will weder das eine noch das andere.
Angenommen, die innenpolitische Lage in England zwingt ihn dazu?
Die Situation ist total verfahren und sie bliebe es auch dann. Das Ultimatum für den geregelten Brexit steht: Der Brexit tritt am 31. Oktober 2019 in Kraft, mit oder ohne Deal. Und jetzt beginnt die Sommerpause des Europaparlaments. Selbst wenn die EU bereit wäre, das Paket nochmals aufzuschnüren - was völlig unwahrscheinlich ist - selbst dann würden vor dem Herbst nicht einmal Parlamentsdebatten drüber stattfinden können.
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