Ein Tweet von Greta Thunberg über ihre Heimreise nach Schweden in "überfüllten Zügen durch Deutschland" ruft konträre Reaktionen hervor. Auch die Deutsche Bahn fühlt sich berufen, der jungen Klimaaktivistin Verhaltensregeln mitzugeben - und gibt dabei keine gute Figur ab.
Ein junges Mädchen postet bei Twitter ein Foto von sich, wie es mit mehreren Koffern Gepäck auf dem Boden eines ICE der Deutschen Bahn sitzt, und berichtet von seiner Heimreise in "überfüllten Zügen durch Deutschland". So weit, so normal.
Doch wenn es sich bei dem Mädchen um Greta Thunberg handelt, wandert die Normalität gerne und schnell aufs geistige Abstellgleis. Offenbar gibt es niemanden mehr, der keine Meinung zur 16-jährigen Klimaaktivistin hat. Und schon gar keine ausgewogene.
Greta Thunberg: Tweet über "überfüllte Züge" in Deutschland
Dieses Urteil drängt sich auf, wenn man sich den Ablauf des dritten Adventssonntags auf Twitter noch einmal genau betrachtet. Bereits am Samstagabend stellt
Thunberg schreibt: "Auf Reisen in überfüllten Zügen durch Deutschland. Und ich bin endlich auf dem Weg nach Hause!" Nach mehreren Monaten auf Reisen - darunter zwei Atlantiküberquerungen per Segeljacht und Katamaran - befindet sich der Teenager auf dem Heimweg nach Schweden. Von Turin über die Schweiz durch Deutschland nach Hause in den hohen Norden.
Sie macht also laut ihres Tweets Bekanntschaft mit den doch häufiger auftretenden Unannehmlichkeiten bei Reisen mit der Deutschen Bahn. Jeder, der schon mal eine Fernverbindung des größten Eisenbahnverkehrsunternehmens in Mitteleuropa in Anspruch genommen hat, weiß: Es kann voll werden. Die Sitzplatzreservierung kann entfallen. Der Zug kann komplett gestrichen werden. Es kann auch passieren, dass ein anderer als der ursprünglich geplante Zug genommen werden muss.
Thunberg beschwert sich in ihrem Tweet nicht, sie schaut lediglich etwas melancholisch aus dem Fenster.
Deutsche Bahn: Fahrplanwechsel und Versprechen für die Zukunft
Nicht unwichtig in dem ganzen Zusammenhang: Ausgerechnet an diesem dritten Adventssonntag steht der jährliche Fahrplanwechsel an, in dessen Rahmen die Bahn damit wirbt, dass es mehr Züge und mehr Fahrten gebe, klimafreundliches Reisen damit noch attraktiver werde.
Das Social-Media-Team der Bahn wird auf den prominenten Gast an Bord aufmerksam und twittert am Sonntagvormittag - Besserung gelobend - zurück: "Wir wünschen #Greta eine gute Heimfahrt. Und arbeiten weiter hart an mehr Zügen, Verbindungen und Sitzplätzen."
Viele Twitter-User reagieren amüsiert - denn Spott über die Bahn, Zugverspätungen und überfüllte Züge sind auf dem Kurznachrichtendienst an der Tagesordnung. "Stell dich auf Verzögerungen ein", warnte jemand. Ein anderer kommentierte: "Willkommen in Deutschland, der öffentliche Transport hier ist ein Chaos..."
Etwa vier Stunden nach ihrem ersten Beitrag meldet sich die Bahn erneut zu Wort - mit einem zweigeteilten Tweet. Zunächst folgt der Dank an Greta, dass sie die Eisenbahner im Kampf gegen Klimawandel unterstütze und mit dem ICE 74 unterwegs war.
Im zweiten Tweet gibt es dann Verhaltenstipps für die junge Schwedin. "Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist."
Ein gleich in zweierlei Hinsicht fragwürdiger Social-Media-Akt. Mit diesem Tweet, den sie noch nicht einmal direkt an Thunberg adressiert und auch nicht übersetzt hat, gibt die Bahn nicht nur private Reisedaten der Minderjährigen der Öffentlichkeit preis (Zugnummer und Sitzklasse), sondern unterstellt ihr darüber hinaus indirekt, Falschinformationen zu verbreiten.
Schließlich, so der von der Bahn erzeugte Eindruck, habe Greta durch ihr Ticket für die Erste Klasse durchaus eine Sitzplatzreservierung gehabt. Bundestagsabgeordneter Niema Movassat von der Linken twittert stellvertretend für viele User seine Empörung:
Sogar eine offizielle Presseinformation gibt die Bahn heraus: "Zwischen Kassel und Hamburg ist Greta Thunberg - wie die zahlreichen weiteren Fahrgäste im Zug - freundlich und kompetent vom Zugteam der DB an ihrem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden. Dort saßen nach Angaben unseres Bordpersonals bereits ab Frankfurt die Mitreisenden von Greta Thunberg."
Kritiker Thunbergs reagieren mit einer Flut von Hasskommentaren, die sich über die 16-Jährige ergießt. Ihr werden Propaganda und Lügen unterstellt.
Die Klimaaktivistin reagiert daraufhin und erklärt ihren Reiseverlauf noch genauer. Ihr Zug von Basel sei ausgefallen, weshalb sie im Anschluss in zwei verschiedenen Zügen auf dem Boden gesessen habe, twitterte sie.
Hinter Göttingen habe sie schließlich einen Sitzplatz erhalten. "Das ist natürlich kein Problem und ich habe niemals gesagt, dass es eines wäre." Vielmehr seien überfüllte Züge "ein großartiges Zeichen, weil das bedeutet, dass die Nachfrage nach Bahnreisen groß ist".
Am Sonntag ging im Übrigen auch die UN-Klimakonferenz in Madrid zu Ende - selbst wohlmeinende Beobachter unterstellten der Weltgemeinschaft ein Scheitern im Kampf gegen die Klimakatastrophe.
Dieser Misserfolg dürfte Greta Thunberg angesichts ihres Engagements für den Klimaschutz deutlich mehr geschmerzt haben als eine verfehlte Social-Media-Strategie der Deutschen Bahn.
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