• Der Betreiber des Atomkraftwerks Isar 2 hält den von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geplanten Reservebetrieb für "technisch nicht machbar".
  • Auch andere Experten kritisieren das Vorhaben, zwei Atomkraftwerke über das geplante Laufzeitende hinaus auf Stand-by zu halten - und fordern stattdessen ganz unterschiedliche Dinge.

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Der Betreiber des Atomkraftwerks Isar 2 warnt das Bundeswirtschaftsministerium davor, die Anlage zum Jahreswechsel wie geplant in einen Reservebetrieb zu schicken. Die Leistung eines AKW flexibel zu erhöhen oder zu drosseln sei im Streckbetrieb "technisch nicht machbar und daher ungeeignet, um den Versorgungsbeitrag der Anlage abzusichern", schreibt Guido Knott, Chef von Preussen Elektra, in einem Brandbrief an Staatssekretär Patrick Graichen vom Dienstag, der dem "Spiegel" vorliegt.

Von Streckbetrieb spricht man, wenn die Brennelemente eines Reaktors über den eigentlichen Betriebszyklus von etwa einem Jahr hinaus genutzt werden. Das ist Teil des Plans von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er will die Atomkraftwerke Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim lediglich bis Mitte April 2023 als Reserve bereit halten und bei Bedarf mit den vorhandenen Brennstäben arbeiten.

"Ich hab den Brief von Preussen Elektra mit einiger Verwunderung zur Kenntnis genommen", kommentierte Habeck das Schreiben am Mittwoch in Berlin. Er warf dem Konzern vor, das Konzept der Notfallreserve nicht verstanden zu haben. Denn ein Hoch- und Herunterfahren der Anlagen sei nicht geplant. Vorgesehen sei vielmehr "einmal zu entscheiden, ob man die Kraftwerke braucht oder nicht". Das könne im Dezember, Januar oder Februar geschehen. Er will nun das Gespräch mit dem Unternehmen suchen.

DIW-Expertin: Deutschland braucht AKW nicht

Zu einer ähnlichen Einschätzung wie Preussen Elektra kommt die Energieexpertin Claudia Kemfert. Atomkraftwerke seien für die Netzreserve ungeeignet, da sie "nicht mal eben an- und ausgeschaltet werden können", sagte sie der "Rheinischen Post". Sie müssten sicherheitstechnisch überprüft werden, außerdem seien Personal und Brennelemente nötig. "Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis."

Die Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) rät deshalb von einem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke ab. "Die Energieversorgung in Deutschland ist gesichert, auch ohne Atomkraft", sagte sie. Mögliche Versorgungsengpässe würden nicht durch das deutsche Netz, sondern vor allem durch marode Atomkraftwerke in Frankreich verursacht.

Wirtschaftsweise: "Schlechteste aller Lösungen"

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagte am Dienstag im "ZDF", die Atomkraftwerke in Bereitschaft zu halten, aber nicht laufen zu lassen, sei "die schlechteste aller Lösungen". Schließlich müsse man das Personal bezahlen und die Versorger entschädigen - günstige Energie aber werde derweil nicht produziert.

Ganz anders als Kemfert plädiert Grimm in der Folge jedoch dafür, die Meiler am Netz zu lassen. "Es wäre jetzt im Fall der Atomkraftwerke sinnvoll, sie noch eine Weile laufen zu lassen, um eben die Preise abzufedern. Je mehr Kraftwerkskapazität zur Verfügung steht, desto niedriger sind die Strompreise", argumentiert sie.

Warnung vor deutschem Alleingang

Ins gleiche Horn bläßt der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest. "Die AKWs könnten die Zeit etwas verkürzen, in der die Gaskraftwerke laufen müssen", sagte er im Gespräch mit der "Augsburger Allgemeine".

Habeck verschenke also eine Chance, die Strompreise zu senken. Außerdem warnt Fuest vor einem deutschen Alleingang. "Wir haben einen gemeinsamen Strommarkt, und es gibt nicht nur ein nationales, sondern auch ein dringendes gesamteuropäisches Interesse daran, alle verfügbaren Kapazitäten zu nutzen."

Ministerium nennt Kosten für AKW auf Stand-by "überschaubar"

Was Habecks Plan von den AKW auf Stand-by tatsächlich kosten würde, ist zur Stunde unklar. Das Wirtschaftsministerium hat die Kosten noch nicht beziffert, nennt sie auf "Bild"-Anfrage aber "überschaubar". Die Atom-Expertin Anna Veronika Wendland hingegen kommt - kalkuliert mit dem aktuellen Strompreis - auf mindestens 240.000 Euro pro Tag und Meiler. (mcf)

Verwendete Quellen:

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