- Afghanistans Präsident Aschraf Ghani ist am Sonntag aus dem Land geflohen und hat den Sieg der Taliban verkündet.
- Der Mullah und Mitbegründer der radikalislamischen Miliz, Abdul Ghani Baradar, kehrt nun wohl an die Macht zurück.
- Einen Anteil daran hat auch Ex-US-Präsident Donald Trump.
Vor dem Sieg der Taliban musste Abdul Ghani Baradar erst einmal selbst aus dem Ausland nach Afghanistan reisen. Denn zuletzt leitete Baradar das politische Büro der radikalislamischen Miliz in der katarischen Hauptstadt Doha.
Eine Delegation unter der Leitung des 53-Jährigen landete am Dienstagnachmittag am Flughafen Kandahar, wie ein Taliban-Sprecher auf Twitter mitteilte. Damit ist der bislang höchstrangigste Vertreter der militanten Islamisten offiziell in Afghanistan eingetroffen.
Abdul Ghani Baradar ist das politische Oberhaupt der Taliban
In einem am Sonntag veröffentlichten Online-Video hatte sich Baradar zuvor überrascht gezeigt vom "raschen Sieg". Zugleich rief er die Kämpfer zu Disziplin auf: "Jetzt ist es an der Zeit zu beweisen, dass wir unserer Nation dienen und für Sicherheit und ein angenehmes Leben sorgen können."
Baradar ist das politische Oberhaupt der Taliban, steht aber zumindest offiziell gar nicht an der Spitze. Beobachtern gilt Baradar dennoch als Favorit für den Posten als Staatsoberhaupt Afghanistans. Er ist das bekannteste Gesicht der Taliban und bringt viel Erfahrung mit, die der neuen Führung internationale Anerkennung verschaffen soll. Verbindungen knüpft Baradar schon seit Monaten, er jettet auf (außen)politischer Mission um die Welt, traf Staats- und Regierungsvertreter, zuletzt Ende Juli Chinas Außenminister Wang Yi in der ostchinesischen Metropole Tianjin.
Nun, nachdem Afghanistans Präsident Aschraf Ghani aus dem Land geflohen ist und den Sieg der Taliban verkündete, kehrt Baradar an die Macht und in sein Heimatland zurück – auch wegen Ex-US-Präsident
Baradar gründete die Taliban mit
Mit Baradars Machtübernahme wird Afghanistan von der eigenen, blutigen Geschichte eingeholt. Baradar wurde nach Interpol-Angaben 1968 in der zentralafghanischen Provinz Urusgan geboren und wuchs in der südafghanischen Metropole Kandahar auf – der späteren Geburtsstadt der Taliban.
Als junger Mann bekämpfte er mit den Mudschahedin in den 1980er-Jahren die sowjetische Invasion, als Aufständischer trat er erstmals öffentlich in Erscheinung. Er soll damals gemeinsam mit dem berüchtigten einäugigen Kleriker Mullah Mohammad Omar gegen die Sowjets gekämpft haben.
Inmitten des afghanischen Bürgerkriegs nach dem Abzug der roten Armee gründeten Omar und Baradar Anfang der 1990er-Jahre die Taliban. Eine Bewegung junger islamischer Gelehrter, die sich der Errichtung eines Emirats verschrieben. Geheimnisumwoben ist die Organisation der Taliban, selbst während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 blieb ihre genaue Hierarchie im Dunkeln. Baradar war in dieser Zeit Gouverneur von Herat und Nimrus.
Aus der Haft entlassen – auf Druck der Trump-Regierung
Nach der US-geführten Invasion und dem Sieg über die Taliban 2001 gehörte Baradar mutmaßlich zu einer kleinen Gruppe innerhalb der Miliz, die dem afghanischen Interimspräsidenten Hamid Karsai eine Vereinbarung vorschlugen, die eine Anerkennung der Regierung in Kabul durch die Taliban vorgesehen hätte. Laut dem britischen "Guardian" war Baradar damals Vize-Verteidigungsminister. Mit dem Truppeneinzug der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten ging er ins Exil nach Pakistan, ihm eilte auch dort der Ruf eines militärischen Anführers voraus.
2010 wurde Baradar schließlich auf Drängen der Regierung von Barack Obama in Pakistan verhaftet, 2018 – erneut auf Druck der US-Regierung, nun angeführt von Donald Trump – wieder freigelassen und nach Katar überführt. Die US-Führung um Präsident Trump sah in Baradar einen moderaten Verhandlungsführer, sie hoffte mit ihm einen Frieden zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung erreichen zu können; zu den Gesprächen sollte es aber nie kommen.
Als Leiter des politischen Büros der Taliban war Baradar in internationalen Verhandlungen stets präsent. Im Februar 2020 unterzeichnete er für die militante Organisation das Abkommen mit den USA, das den US-geführten Militäreinsatz in Afghanistan beendete. Baradar traf mehrmals den damaligen Außenminister Mike Pompeo und telefonierte auch mit Trump. Der wiederum sprach im vergangenen März von einem "sehr guten Verhältnis" zu dem Mullah.
Baradar will wieder ein "echtes islamisches System" einführen
Aus seinen Intentionen machte Baradar allerdings nie einen Hehl. So drängte der Taliban-Chefunterhändler in den Friedensgesprächen von Anfang an auf eine Wiedereinführung eines "echten islamischen Systems" in Afghanistan. Die Rechte aller Afghanen einschließlich der Frauen würden in einem solchen System vollständig respektiert, versicherte er im Juni.
Im Nachhinein ist klar: Die Verhandlungen verschafften den Taliban vor allem Zeit und das Abkommen mit den USA schließlich die Möglichkeit, abzuwarten und nach dem Abzug der US-Armee mit der eigenen Offensive zu beginnen.
Hinweis: In der ursprünglichen Version des Artikels wurde berichtet, dass Abdul Ghani Baradar bereits am Sonntagabend in Afghanistan eingetroffen ist. Das ist falsch. Er landete erst am Dienstag in dem zentralasiatischen Land. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.
Verwendete Quellen:
- Material der Nachrichtenagentur AFP
- The Guardian: "Taliban’s Abdul Ghani Baradar is undisputed victor of a 20-year war"
- Handelsblatt: "Dieser Islamistenführer ist nun der starke Mann in Afghanistan – auch dank Donald Trump"
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