- "Kronen-Zeitung" und "Bild"-Zeitung lassen einen ranghohen Sprecher der Taliban zu Wort kommen, fragen nach den Plänen der Radikalislamisten.
- Verschaffen die Zeitungen den Taliban damit eine Plattform für ihre Propaganda?
- Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker erklärt, wie die Taliban Facebook und Co für sich nutzen.
- Auch wenn ihre Ideologie als mittelalterlich gilt: Im digitalen Zeitalter sind die Taliban längst angekommen.
"Wir nehmen eure straffälligen Asylwerber zurück!": So lautet die Überschrift eines umstrittenen Interviews mit Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid. Erschienen ist es in der "Kronen-Zeitung", der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs.
Wenige Tage später legt die "Bild" nach: Auch sie interviewt Mujahid, strahlte das Gespräch im Rahmen einer Sondersendung zur Lage in Afghanistan bei "Bild live" aus.
Mujahid ist der offizielle Sprecher des Taliban-Regimes in Afghanistan. Mit schwarzem Turban, islamischer Tracht und langem, schwarzem Bart stellt er sich mit ernstem und selbstsicherem Blick den Fragen.
Machen sich Medien zur Plattform für Radikalislamisten?
Befragt wurde der Taliban-Sprecher für die "Krone" von Journalist Shams Ul-Haq – und das unter lebensgefährlichen Umständen. Denn um zu recherchieren, was die Radikalislamisten vorhaben, reiste Ul-Haq in die afghanische Hauptstadt Kabul und traf Mujahid persönlich.
Im Gespräch mit dem Journalisten tönte der Taliban-Sprecher "Überall in Afghanistan besteht schon ein hohes Maß an Sicherheit" oder "Wir wollen mit Europa gute Beziehungen pflegen". Nun zu lesen für Millionen Österreicherinnen und Österreicher.
Auch behauptet er, die Afghanen flüchteten nur auf Grundlage falscher Propaganda, das Elend der Gegenwart sei die Errungenschaft von 20 Jahren amerikanischer Besatzung. Wer nun im Land bleibe, dem blühten bald eine erholte Wirtschaft und neue Arbeitsplätze. Frauen sichert der Taliban-Sprecher im Interview mit der "Kronen-Zeitung" Rechte auf Bildung und Arbeit zu.
Sind solche Interviews gerechtfertigt?
Das Interview – eine Plattform für die Propaganda der Taliban? Die "Krone" rechtfertigt das Interview mit den Worten: "Es ist von globalem Interesse, was die Taliban vorhaben." Ein Interview mit einem ranghohen Taliban-Vertreter sei legitim, sofern die Einordnung stimme.
Dazu hält die "Kronen-Zeitung" wiederum fest: "Die Antworten von Zabihullah Mujahid spiegeln in keinster Weise die Meinung der "Krone" wider" und "Mujahid beschwichtigt und relativiert".
Bei Leserinnen und Lesern löste das Gespräch dennoch Empörung aus. "Ich bin geschockt", schrieb ein Nutzer und fragt: "Wie weit erniedrigt man sich vor Terroristen?". Er finde es ethisch nicht vertretbar, die Taliban derartig zu "legitimieren". "Die fühlen sich doch geschmeichelt dadurch, Öffentlichkeit zu bekommen".
Experte: Taliban wollen sich der nicht-muslimischen Welt präsentieren
Auch Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker hält Interviews mit dem Taliban-Vertreter nicht für den richtigen Weg. "Die Kronen-Zeitung hat bereits IS-Foreign Fighters eine Plattform gegeben mit der Maßgabe, da sei etwas notwendig zu berichten", erinnert der Experte. Dadurch sei die "Krone" zum Anknüpfungspunkt für junge Leute geworden, die sich für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) interessierten.
"Nun ist die Lage bei den Taliban aber anders, da sie keine Rekruten werben", sagt Lohlker. Interviews dieser Art, die eingeflogenen Journalisten gegeben werden, dienten dazu, die eigene Position in der nicht-muslimischen Welt zu präsentieren.
Taliban auf Instagram
"Das ist aber keine Berichterstattung, die wirklich über die Taliban informieren würde", ist sich Lohlker sicher. Das europäische Medium wollte damit lediglich mediale Aufmerksamkeit erzielen. Lohlker aber meint: "Es ist wichtig, die Taliban zu verstehen, um mit ihnen Politik zu machen. So ein Interview dient nicht diesem Ziel."
Die Taliban würden seit Jahren Onlinemedien und Telegram-Kanäle betreiben. Neben Onlinemagazinen in den afghanischen Amtssprachen Paschtu und Dari seien auch englische Homepages und arabische Magazine dabei. "Eine Onlinezeitschrift in arabischer Sprache ist jetzt bei Nr. 187 angelangt", weiß Lohlker.
Auch auf allen großen Medien sind die Taliban vertreten: Facebook, Twitter, Instagram, Telegram und WhatsApp. Facebook versucht den Radikalislamisten Einhalt zu gebieten: Das Unternehmen führt die Taliban als Terrororganisation und verbietet ihre Inhalte. Ende-zu-Ende verschlüsselte Nachrichten auf dem Nachrichtenkanal "Whatsapp", ebenfalls ein Facebook-Konzern, ist jedoch deutlich schwieriger beizukommen.
Der britische Ex-Diplomat Adam Rutland betonte jüngst im "Spiegel"-Interview: "Die Taliban haben den Informationskrieg gewonnen. Sie haben in den vergangenen Jahren die Kommunikation von Gruppen wie al-Qaida oder IS genau studiert, ihre Lektion daraus gelernt und die digitalen Medien sehr, sehr gut ausgenutzt."
Mehr als 300.000 Twitter-Follower
Die Taliban hätten ihre Botschaft mit großer Disziplin verbreitet, bei "Whatsapp" hätten die Taliban Nummern von Menschen in Afghanistan gesammelt und diese "aus dem Nichts gezielt angeschrieben", berichtet Rutland. Verwaltungsarbeiten erledigten die Taliban ebenfalls über "Whatsapp".
Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid twitterte den Vormarsch der Taliban durch Afghanistan mit Fotos, Videos und Kurznachrichten an seine mehr als 300.000 Follower, auch sein Glaubensbruder Suhail Shaheen zählt mehr als 350.000 Follower auf Twitter.
Doch sie sind nicht nur digital aufgestellt: Auf dem Land würden sie nachts Briefe vor die Haustüren legen mit Drohungen wie "Wir wissen, was du getan hast", so Rutland gegenüber dem "Spiegel".Mit einer ähnlichen Kommunikationsstrategie habe der IS im Irak seine Botschaften unter die Leute gebracht, um dann Dörfer und Städte ohne Gegenwehr einzunehmen.
Noch auf andere Weise machen die Taliban sich die sozialen Netzwerke zunutze: Sie durchforsten "Facebook" und Co, um herauszufinden, wer mit westlichen Kräften zusammengearbeitet hat.
Digitale Spuren verwischen
Viele Afghanen versuchen nun, ihre digitalen Spuren zu verwischen. "Sie mögen zwar politisch archaisch sein, aber technisch kennen sie sich wirklich gut aus", sagte der Netzjournalist Simon Hurtz gegenüber dem "Deutschlandfunk Kultur".
Angesichts der zahlreichen Informationen im Netz von und über die Taliban, meint Lohlker: "Man braucht also kein sensationsheischendes Interview, vielmehr nüchterne Information."
Man könne die Taliban verstehen, wenn man sie nicht zu menschenfeindlichen Monstern stilisiere. "Sie sind aus einer bestimmten Geschichte entstanden, und die sollte man erst einmal verstehen", argumentiert der Experte.
Verwendete Quellen:
- Interview Rüdiger Lohlker
- Deutschlandfunk Kultur: Alles löschen, um den Taliban zu entgehen. 23.08.2021
- Kronen-Zeitung: "Wir nehmen eure straffälligen Asylbewerber zurück". 30.08.2021
- Spiegel.de: "Die Taliban haben den Informationskrieg gewonnen". 31.08.2021
Taliban bejubeln US-Abzug: Letzter US-Soldat hat Afghanistan verlassen
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.