Deutschlands Ärzteschaft hat vor wachsenden Engpässen bei Medizin und Pflege in Deutschland gewarnt und einen Gesundheitsgipfel bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gefordert.

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"Es ist völlig unverständlich, dass wir einen Chemie- und Autogipfel im Kanzleramt haben, aber keinen Gesundheitsgipfel", sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt am Dienstag zur Eröffnung des 128. Deutschen Ärztetags in Mainz.

"Man kann nicht über die Zeitenwende reden und dann nicht die Zeichen der Zeit verstehen", sagte Reinhardt in Anspielung auf Scholz` Rede zu einer "Zeitenwende" nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Reinhardt mahnte, die Zahl der Praxen, die aus Altersgründen aufgegeben würden, steige bedrohlich. Auch in den Kliniken gingen in den nächsten Jahren viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen. "Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit."

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) räumte ein, über Jahre seien auch aus Spargründen zu wenig Ärztinnen und Ärzte ausgebildet worden. Stattdessen hole Deutschland immer mehr ausländische Mediziner ins Land. "Das ist nicht ethisch und kann so nicht weitergehen." Zudem müssten die Kliniken zu stark ökonomischen Zwängen folgen. Die Pflege leide unter hoher Belastung und Unterbesetzung. Bei Digitalisierung und Forschung liege Deutschland hinter seinen Nachbarländern zurück.

Lauterbach versprach Verbesserungen auf allen zentralen Feldern. "Wir arbeiten derzeit an insgesamt 15 Gesetzen", sagte der Minister. Aber: "Diese Reformen sind noch nicht fertig, sie sind jetzt in einer ganz kritischen Phase." So werde man eine kritische Länder-Stellungnahme zur geplanten Klinik-Reform prüfen, kündigte Lauterbach an. Auch gute Vorschläge seien enthalten. Die Länder hatten zahlreiche Änderungen an dem Projekt gefordert, bei dem unter anderem die Bezahlung der Kliniken völlig geändert werden soll.

Lauterbach will mit der Krankenhaus-Reform heutigen Missständen an Kliniken begegnen, wie er bekräftigte. Vor allem kleinere Kliniken unternähmen zum wirtschaftlichen Überleben oft auch kompliziertere Eingriffe, die besser an erfahreneren Häusern gemacht würden oder gar nicht unbedingt nötig seien. Künftig solle anders als heute 60 Prozent der Vergütung der Kliniken zum Vorhalten von Leistungen statt für die Behandlung einzelner Fälle fließen. Der Druck, immer mehr Patientinnen und Patienten zu behandeln werde sinken.

Reinhardt lobte Lauterbach ausdrücklich für seinen Mut für die Klinik-Reform. Insgesamt forderte der Präsident der Bundesärztekammer Lauterbach auf, die Expertise der Ärzteschaft einzubeziehen. Lauterbach warb bei der Ärzteschaft seinerseits um Mitarbeit: Man stehe in der Gesundheitspolitik tatsächlich vor einer "Zeitenwende".

Zur viertägigen Hauptversammlung der Bundesärztekammer haben die 17 deutschen Ärztekammern rund 250 Abgeordnete nach Mainz entsandt. Das Ärzte-Parlament soll länderübergreifende Regelungen zum Berufsrecht erarbeiten und Positionen zu aktuellen gesundheits- und sozialpolitischen Diskussionen äußern.  © dpa

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