• Der etwas überraschende Impfverzicht von Bayern-Star Joshua Kimmich sorgt rund um die Bundesliga für heiße Diskussionen.
  • Die Kimmich-Kontroverse ist auch Thema im Sport1-"Doppelpass", unter anderem mit dem Gesundheitsexperten Karl Lauterbach.
  • Die Sendung nimmt sich rund 35 Minuten Zeit, kann dabei aber thematisch nur an der Oberfläche kratzen.
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Andreas Reiners dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Ausgerechnet" – das Wort wurde am Samstag in Zusammenhang mit Joshua Kimmich wohl am häufigsten benutzt. Denn ausgerechnet der Bayern-Star, der auf dem Platz stets vorangeht und als Profi eigentlich jemand ist, der über den Tellerrand schaut, hat sich dafür entschieden, sich noch nicht impfen zu lassen.

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Das Thema Impfen wird in Deutschland sowieso sehr emotional diskutiert. Und jetzt erklärt ausgerechnet ein Fußball-Profi seinen Impfverzicht? Die Kimmich-Kontroverse bestimmte aufgrund der Brisanz auch einen Teil des "Doppelpass" auf Sport1. Doch wie wurde das Thema aufgearbeitet und analysiert? Wir haben uns die Sendung angeschaut.

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Die Kontroverse

Kimmich hat nach dem 4:0-Sieg gegen die TSG Hoffenheim bestätigt, dass er nicht geimpft ist. Er habe "persönlich noch ein paar Bedenken, gerade, was fehlende Langzeitstudien angeht", sagte Kimmich bei Sky.

Er betonte, dass er es schade finde, dass es in der Auseinandersetzung mit der Thematik "nur noch geimpft oder nicht geimpft" gebe, so Kimmich weiter. "Und nicht geimpft bedeutet dann oftmals gleich, dass man Corona-Leugner oder Impfgegner ist. Aber ich glaube, es gibt auch ein paar andere Menschen zu Hause, die einfach ein paar Bedenken haben, was auch immer die für Gründe haben. Und ich finde, auch das sollte man respektieren. Vor allem, solange man sich an die Maßnahmen hält", sagte Kimmich. Er erklärte allerdings auch, dass es sehr gut möglich sei, dass er sich in Zukunft impfen lasse.

Die Kritik

Der Impfverzicht sorgt für kontroverse Diskussionen und auch für viel Kritik an Kimmich. Nicht nur, weil das im generellen Kampf gegen die Corona-Pandemie ein schlechtes Zeichen ist, sondern auch, weil Kimmich gemeinsam mit seinem Bayern-Teamkollegen Leon Goretzka die Aktion "We Kick Corona" ins Leben gerufen hatte. Wie könne man dann auf das Impfen verzichten, so der Vorwurf.

Von der grundsätzlichen Vorbildfunktion eines Fußball-Profis mal ganz abgesehen. Und ganz zu schweigen von der Sonderrolle, die der Fußball in der Corona-Pandemie eingenommen hat. Und dem Status Quo, dass das Impfen aktuell der einzige Weg aus der Pandemie ist. Unter dem Strich hat Kimmich eine in der Gesellschaft viel diskutierte Einstellung und Frage auf die große Bundesliga-Bühne gebracht. Die Frage am Sonntag: Was hat der "Doppelpass" daraus gemacht?

Was sagte die Runde?

Der Doppelpass warf die Thesen, dass Kimmichs Verhalten "extrem widersprüchlich" und er "kein gutes Vorbild" sei, zum Start der Sendung in die Runde mit Felix Magath, Stefan Effenberg und den Journalisten Manuel Bonke (TZ München), Dirk Adam (Focus Online) und Marian Laske (Funke Sport).

Magath ergriff umgehend Partei für Kimmich und setzte sich vehement für die Entscheidung des Nationalspielers ein. "Ich weiß nicht, warum wir einem Menschen nicht diese Meinung gönnen. Ich kann damit gut leben, dass er sich nicht impfen lässt. Mich stört es, dass man das nicht offen sagen kann. Warum soll er kein Vorbild sein?", fragte Magath: "Wir müssen ihn mit der Meinung leben lassen, er ist deshalb kein schlechterer Mensch."

Effenberg war "voll beim Felix", wie der frühere Bayern-Spieler erklärte. Er sieht die komplexere Situation aber differenzierter als Magath. "Es ist sein gutes Recht, es ist seine freie Entscheidung, die er vertreten kann. Ich gehe aber davon aus, dass er die Impfung kurzfristig machen wird. Fatal wäre es, wenn er irgendwann mal ausfallen würde. Das sollte er überlegen", so Effenberg.

Im Mittelpunkt stand die große Frage nach der Vorbildfunktion. Da bröckele die Fassade des Vorzeigeprofis, fand Bonke. Kimmich blicke trotzdem über den Tellerrand hinaus, sagte er: "Es gibt keine Impfpflicht, es ist sein Recht. Aber wir befinden uns auch weiterhin in einer Pandemie."

Für Adam kommt es vor allem "auf die Überzeugungsarbeit an. Es gibt genügend Argumente, es gibt genügend Studien." Natürlich habe Kimmich eine große Vorbildfunktion, betonte Effenberg: "Aber es ist seine freie Entscheidung, auch wenn ich überrascht war. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen Einfluss nehmen, dass er sich impfen lässt."

Eine Schalte an die Säbener Straße bringt keine neuen Erkenntnisse, die Verantwortlichen und auch Kimmich selbst wollen sich nicht weiter äußern. Für Effenberg ist das die richtige Vorgehensweise: "Jetzt müssen interne Gespräche geführt werden" Was auffiel: Effenberg versuchte, ein wenig den Druck aus der Diskussion zu nehmen, unterstrich aber stets, dass er hoffe, dass Kimmich sich noch impfen lasse.

Wie fundiert war die Diskussion?

Rund 35 Minuten nahm die Analyse des Themas in der Sendung ein, was der Komplexität natürlich nicht gerecht werden konnte, auch wenn die Beteiligten versuchten, Kimmichs Impfverzicht von allen Seiten zu beleuchten, Verständnis zu zeigen, aber auch auf die Folgen wie eine verheerende Vorbildfunktion hinzuweisen. Denn klar ist bei Kimmichs Entscheidung: Man muss sie – gerade in seinem Fall - nicht verstehen, muss sie aber trotzdem akzeptieren.

Bei der Diskussion kratzten Effenberg und Co. auch aus Zeitmangel größtenteils an der Oberfläche, was bis zu einem gewissen Grad aber völlig in Ordnung ist, da Diskussionen dieser Art wohl überall in der Republik auf diesem Niveau geführt werden. Was fehlte, war die Tiefe an wichtigen Stellen: So zum Beispiel die kritische Betrachtung der Einstellung generell, soll heißen: Was wäre, wenn alle so wie Kimmich denken würden? Bonke erwähnte zudem Kimmichs Besuch einer Kinderkrebsstation. Dass dies ohne Impfung geschah, wurde ebenfalls nicht tiefer thematisiert.

Gut: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach übernahm die wissenschaftliche Position.

Schlecht: Er bekam nur wenige Minuten, um sich zu einigen wenigen Fragen zu äußern, wodurch eine Chance verpasst wurde. "Ich war davon ausgegangen, dass er geimpft ist", zeigte sich Lauterbach überrascht von Kimmichs Entscheidung.

Für ihn ist hingegen wenig überraschend klar, dass der Impfverzicht ein schlechtes Zeichen ist. "Am besten wäre es, wenn die Impfung noch käme. Wir dürfen keinen Druck aufbauen, aber es wäre wertvoll, wegen der enormen Symbolwirkung."

Gibt es einen Mehrwert?

Durchaus. So stellte Lauterbach klar, warum es in Deutschland keine Impfpflicht geben wird. "Das ist nicht richtig", sagte er und erklärte: "Es gibt epidemiologisch keinen Grund für die Impfpflicht, weil wir mit der Freiwilligkeit die Impfquote erreichen können. Wir würden zudem einen Widerstand produzieren, den wir sehr schwer beherrschen können. Ein großer Teil derjenigen, die sich noch nicht haben impfen lassen, sind kategorische Impfgegner."

Er gab zudem zu, dass eine 2G-Regelung in der Freizeit, während Kimmich und Co. ungeimpft und ungebremst in Zweikämpfe gehen können, Fragen aufwirft. "Wir haben überall die Ausnahme für die Beschäftigten, und die Fußballer sind nichts anderes als ausgesprochen gutbezahlte, aber gewöhnliche Beschäftigte", so Lauterbach. "Der Zuschauer, der nur Freizeitaktivitäten nachgeht, muss aber 2G nachweisen. Da ist eine Lücke, die schwer begreiflich ist", sagte Lauterbach.

Bei Kimmichs Einwand, man befinde sich als Profi ja an der frischen Luft, warf Effenberg nicht zu Unrecht ein, dass er auch in der Kabine und im Hotel sei. Leider blieb aber auch Lauterbach zu wenig Zeit, um der Diskussion noch etwas mehr wissenschaftlichen Hintergrund zu geben.

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