• Eine mutierte Version des Coronavirus verbreitet sich aktuell rasant in Großbritannien.
  • Der Virologe Christian Drosten glaubt, dass die Mutation ihren Weg auch schon nach Deutschland gefunden hat.
  • Gleichzeitig warnt er aber vor voreiligen Schlüssen - denn die Datenlage zu der Virus-Variante ist aktuell noch nicht eindeutig.

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Der Virologe Christian Drosten geht davon aus, dass die in Großbritannien zirkulierende neue Variante des Coronavirus Deutschland bereits erreicht hat. "Ich denke, dass das schon in Deutschland ist", sagte Drosten am Montagmorgen im Deutschlandfunk.

"Dieses Virus ist ja jetzt gar nicht so neu. Davon darf man sich jetzt wirklich nicht irgendwie aus der Ruhe bringen lassen." Das Virus komme seit Ende September in England vor und sei im Oktober noch überhaupt nicht im Fokus gewesen.

"Wir wissen jetzt: Es ist schon in Italien, in Holland, in Belgien, in Dänemark - sogar in Australien. Warum sollte es nicht in Deutschland sein?"

Zur neuen Virus-Variante sagte Drosten: "Ich bin darüber nicht so sehr besorgt im Moment. Ich bin allerdings auch - genau wie jeder andere - in einer etwas unklaren Informationslage." Die öffentlich bekannten Dokumente seien noch lückenhaft, das würden britische Wissenschaftler genauso sehen.

Drosten: Datenlage ist sehr dünn

"Die sagen auch, sie müssen zumindest mal noch bis diese Woche warten, bis ein paar vorläufige Datenanalysen abgeschlossen sind, um überhaupt zu sagen, dass der Verdacht, den sie da äußern, stimmt."

Mit Blick auf erhöhte Infektionszahlen sei die Frage, ob überhaupt die neue Virus-Variante daran Schuld habe - "oder ist das so, dass einfach lokal (...) Übertragungsmechanismen zum Tragen gekommen sind, die auch jedes andere Virus hochgespült hätte."

Drosten betonte, dass die Mutation in Ländern wie Belgien, Dänemark, Italien und den Niederlanden zwar bereits nachgewiesen worden sei, aber bisher keine Entwicklung wie in Großbritannien erzeugt habe.

70 Prozent ansteckender? Drosten zweifelt daran

Die kürzlich entdeckte Variante sei um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form, hatte Premierminister Boris Johnson am Samstag gesagt. Drosten äußerte Zweifel an der wissenschaftlichen Gewissheit dieses Wertes.

"Diese Zahl ist einfach so genannt worden." Politiker würden solche Zahlen nennen, Medien nähmen diese auf. "Plötzlich steht so ein Wert im Raum - 70 Prozent - und keiner weiß überhaupt, was damit gemeint ist."

Zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland und "zur Limitierung des Eintrages und der schnellen Verbreitung der neuen Virus-Varianten" war am Sonntag beschlossen worden, dass bis zum 31. Dezember keine Flüge aus Großbritannien in Deutschland landen dürfen.

Auch andere EU-Länder haben bereits die Verkehrsverbindungen mit Großbritannien eingeschränkt. Jens Spahn erläuterte am Sonntagabend im ARD-"Bericht aus Berlin", man nehme die Meldungen aus Großbritannien sehr ernst.

"Die deutlich schnellere Übertragbarkeit, wie sie in diesem Fall vermutet wird, die würde natürlich viel verändern und deshalb ist es wichtig, den Eintrag nach Deutschland, auf Kontinentaleuropa zu unterbinden." Es sei wichtig, die Erkenntnisse über die Virus-Variante zu verifizieren und zugleich vorausschauend zu agieren.

Drosten zeigt für den Schritt angesichts der "äußerst erhitzten Nachrichtenlage" Verständnis. "Im Moment ist das, was aus England kommt, mit einem ganz schönen Alarm versehen", sagte er.

Experten sehen aktuell keine Gefahr für Wirksamkeit des Corona-Impfstoffs

Ersten Analysen britischer Wissenschaftler zufolge verfügt die neue Variante über ungewöhnlich viele genetische Veränderungen, vor allem im Spike-Protein. Dieses Protein sitzt auf der Oberfläche des Virus. Der Erreger benötigt es, um in die menschlichen Zellen einzudringen.

"Was man derzeit nicht weiß, ist, ob irgendeine dieser Mutationen zu Veränderungen des Virus führt", sagt Andreas Bergthaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM). Veränderungen könnten die Übertragbarkeit des Virus betreffen oder den klinischen Verlauf der Erkrankung.

Theoretisch können Mutationen auch die Wirksamkeit des Impfstoffes beeinflussen - der zielt nämlich genau auf das Spike-Protein. Ändert sich dessen Aufbau, könnte das Immunsystem auch nach einer Impfung blind für den Erreger sein, so die Überlegung.

Allerdings erzeuge der derzeit eingesetzte Impfstoff Immunreaktionen gegen das gesamte Spike-Protein, erläutert Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel. "Selbst wenn eine Mutation vorhanden ist, verhindert dies nicht die Erkennung durch das Immunsystem." Anders gesagt: Einzelne Mutationen reichen nicht aus, um der komplexen Immunabwehr zu entgehen.

Tatsächlich müssen auch Impfstoffe gegen andere Viruserkrankungen, etwa gegen Grippe, immer wieder an aktuell zirkulierende Virus-Varianten angepasst werden. Bei den neuartigen mRNA-Impfstoffen, zu denen der in Großbritannien eingesetzte Coronavirus-Impfstoff gehört, geht das vergleichsweise einfach.

Diese Impfstoffe enthalten keine vollständigen Viren, sondern nur eine genetische Information, eine Bauanleitung für ein Virus-Protein. Diese Bauanleitung lässt sich relativ schnell an einen neuartigen Erreger anpassen. (dpa/AFP/thp)

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