Frauen können heute ihre Eizellen einfrieren lassen, um eine Schwangerschaft auf spätere Jahre zu verschieben. Ein Experte erklärt, welcher Typ Frau sich für "Social Freezing" entscheidet und wie hoch die Risiken einer Schwangerschaft jenseits der 40 tatsächlich sind.
Seit Mitte der 1990er-Jahre ist der Frauenanteil an deutschen Hochschulen kontinuierlich gestiegen: Heute ist etwas mehr als die Hälfte der immatrikulierten Studierenden weiblich. Das hat unter anderem Einfluss darauf, dass Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes immer älter werden: Waren Frauen in Westdeutschland 1970 bei Kind Nummer eins im Mittel noch 24,3 Jahre alt, wurde der Durchschnitt im Jahr 2020 mit 30,2 Jahren das erste Mal Mutter. Doch ewig fortführen lässt sich dieser Trend nicht, denn die Biologie hält mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht Schritt. Kommt die Frau in die Menopause, ist es vorbei mit der Fruchtbarkeit. Zumindest war das bislang so.
"Social Freezing" oder Kryokonservierung soll dieses Dilemma lösen: Wer sich in jungen Jahren Eizellen entnehmen und einfrieren lässt, kann sich damit auch in späteren Jahren noch eine Schwangerschaft ermöglichen, lautet das Versprechen. Jörg Puchta ist Mitbegründer der Kinderwunschklinik an der Oper in München und war einer der ersten Reproduktionsmediziner, der das Verfahren der Kryokonservierung in Deutschland angeboten hat. Im Interview erklärt der Experte, wer die Frauen sind, die sich für "Social Freezing" entscheiden, was die Erfolgschancen beeinflusst und wie hoch die Risiken einer Schwangerschaft jenseits der 40 tatsächlich sind.
20 bis 30 Prozent der Eizellen kommen später zum Einsatz
Frauen haben heute die Möglichkeit, Ihre Schwangerschaft durch Kryokonservierung oder "Social Freezing" auf später zu verschieben. Wie viele Eizellen werden heute tatsächlich zu diesem Zweck eingefroren?
Jörg Puchta: In unserer Kinderwunsch-Klinik werden zwischen acht- und zehntausend Eizellen pro Jahr eingefroren. Die Zahl ist seit der Einführung in Deutschland 2007 kontinuierlich gestiegen. Damals waren wir die Ersten und Einzigen in Deutschland, die das angeboten haben. Seit 2013 kamen immer mehr Zentren dazu. Wie hoch die Zahlen heute deutschlandweit sind, kann ich nicht sagen. Dazu gibt es keine offiziellen Zahlen. Ich schätze, dass ungefähr 20 bis 30 Prozent der eingefrorenen Eizellen später tatsächlich zum Einsatz kommen. Aber seit 2007 ist noch nicht genug Zeit vergangen, um das vernünftig beantworten zu können. Ziel der ganzen Behandlung ist ja, dass die Eizellen erst viele Jahre später eingesetzt werden.
Wie muss man sich eine Kryokonservierung vorstellen?
Die Behandlungen basieren heute auf einer neuen Stimulationstechnik. Es werden keine Hormone mehr eingesetzt, sondern körpereigene Botenstoffe. Wir spritzen auch nicht mehr zwei Wochen lang täglich, sondern nur noch ein einziges Mal. Die Patientin bekommt die Spritze mit nach Hause und appliziert sich das Medikament am ersten Tag des Zyklus selbst. Dadurch werden die Eierstöcke stimuliert, Eizellen zu produzieren. Nach einer Woche kommt die Patientin zum Ultraschall und wir legen fest, wann wir die Eizellen entnehmen. Das ist meist in der Zyklus-Mitte, wenn die Frau einen Eisprung hat.
Entnahme dauert meist nur zehn Minuten
Ist für die Eizell-Entnahme eine stationäre Aufnahme erforderlich?
Die Entnahme selbst dauert nur zehn Minuten und wird unter einer kurzen Narkose durchgeführt, ähnlich wie bei einer Magenspiegelung. Normalerweise verursacht der Eingriff keine Schmerzen und die Frauen können nach zwei Stunden wieder nach Hause gehen. Bevor die Eizellen eingefroren werden, muss noch die Granulosa-Zellschicht entfernt werden, die die Eizelle umgibt. Das passiert bei der natürlichen Befruchtung auch. Erst dann können wir unter dem Mikroskop beurteilen, ob die Eizellen geeignet sind. Wenn die Patientin die Klinik verlässt, wissen wir also schon, wie viele Eizellen tatsächlich eingefroren werden.
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Mit welchen Risiken ist die Behandlung verbunden?
Früher war die Behandlung tatsächlich nicht ganz ungefährlich. Das Risiko einer Überstimulation war hoch. Mit den neuen Medikamenten ist das praktisch ausgeschlossen. Viele Frauen haben durch die Behandlung überhaupt keine Beschwerden. Wenn die Frau durch die Stimulation viele Eizellen produzieren, kann es sein, dass sie spürt, wie die Eierstöcke wachsen. Das kann als Druckgefühl empfunden werden, ist aber ungefährlich. Der Eingriff selbst ist minimalinvasiv und die operativen Risiken daher gering, wenn auch nicht gleich null. Das einzige noch bestehende häufigere Risiko sind Nachblutungen in der Scheide. Meistens ist das völlig harmlos und wird sofort behandelt. Größere Blutungen im Bauchraum sind extrem selten, da reden wir von einem von 10.000 Fällen. Dann muss man natürlich eingreifen und eine Bauchspiegelung machen, um die Blutung zu stoppen. Aber auch das ist keine Katastrophe. Die Risiken sind wirklich überschaubar.
Könnte das Einfrieren der Eizellen möglicherweise Auswirkungen auf das spätere Kind haben, die heute noch nicht abschätzbar sind?
Die Technik des Eizellen-Einfrierens ist nicht so neu, wie viele denken. In den USA wurde Eizellspende im Jahr 1978 für den kommerziellen Markt freigegeben, als sich die IVF etabliert hatte. Dort gibt es Eizell-Banken, die darauf spezialisiert sind, die Eizellen von Spenderinnen einzufrieren, um sie an Frauen abzugeben, die keine Kinder bekommen können. Dadurch wurden in über 40 Jahren riesige Datenmengen gesammelt, aus denen hervorgeht, dass die Kinder gesund sind und es keine Hinweise auf irgendwelche Schäden durch diese Technik gibt.
Karriere, Partnerwahl, Freizeit und Kinderwunsch
Wer sind diese Frauen, die zu Ihnen kommen, um Eizellen einfrieren zu lassen? Was sind da die Beweggründe?
Das Klischee lautet, das seien vor allem kalte Karrieristinnen sind, denen der Job über alles geht. Oder noch böser, Frauen, die noch keinen Mann abgekriegt haben und auf mehr Glück in der Zukunft hoffen. Aber was ich sehe, sind intelligente, technikaffine Frauen, die ihre Situation realistisch einschätzen. Ein früher Kinderwunsch ist biologisch zwar erstrebenswert, aber in unserer Gesellschaft oft nur schwer zu verwirklichen. Wir leben in einer Multi-Options-Gesellschaft, das heißt, wir haben viele Möglichkeiten, was Karriere, Partnerwahl und Freizeit anbelangt. Das führt dazu, dass die grundlegendste Entscheidung unseres Lebens, nämlich Kinder zu kriegen, verschoben wird. Oft sind auch die Männer das Problem, die das Thema Kinder aufschieben – aber den Frauen bleibt biologisch einfach weniger Zeit. Interessanterweise entscheiden sich viele dieser Frauen irgendwann dazu, das Kind alleine zu bekommen - ohne Partner.
Es gilt: "Je früher, desto besser"
Kann eine Frau mit 35 noch zu Ihnen zu kommen, um Eizellen einfrieren zu lassen, oder gibt es eine Altersgrenze für "Social Freezing"?
Es gibt diesen Grundsatz: Je jünger, desto besser. Aber das kann man das auch so nicht pauschalieren. Frauen sind extrem unterschiedlich, was ihre Fruchtbarkeit anbelangt. Das Alter, in dem Frauen in die Menopause kommen, liegt zwischen 35 und 65 - das ist eine Zeitspanne von 25 Jahren. Eine 35-Jährige, die zu uns kommt, ist also nicht unbedingt zu alt, denn es kann sein, dass sie eine extrem gute Fruchtbarkeit hat. Aber natürlich gibt es auch Fälle, in denen das nicht so ist. Vor der Entnahme messen wir daher die Fruchtbarkeit der Frau in einer Blutuntersuchung, um die Erfolgsaussichten einschätzen zu können.
Und wann sind die Erfolgsaussichten gut?
Um günstige Voraussetzungen zu schaffen, braucht man 20 Eizellen für ein Kind. Daher sollten pro Behandlung mindestens fünf Eizellen herauskommen, damit es einigermaßen effizient und für die Patientin zumutbar ist. Wenn wir nur zwei Eizellen pro Behandlung bekommen können, müsste sich eine Frau zehnmal Eizellen entnehmen lassen - das ist nicht zumutbar.
Wie hoch ist die Chance, dass es danach tatsächlich zu einer Schwangerschaft kommt?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Das hängt von mehreren Faktoren ab, wie zum Beispiel dem Alter der Patientin zum Zeitpunkt der Eizellenentnahme. War die Frau 20, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit extrem hoch. Wenn sie schon 40 war, ist die Chance höchstens mindestens um den Faktor 4 erniedrigt. Ein anderer Faktor, den wir überhaupt nicht einschätzen können, ist die Fruchtbarkeit des Partners. Die Spermienqualität variiert sehr stark und wenn der Mann extrem wenige oder schlechte Spermien hat, dann senkt das natürlich die Chance einer Schwangerschaft. Es ist sehr komplex und viele Faktoren spielen eine Rolle. Wenn es zur Befruchtung kommt und sich ein Embryo entwickelt, liegt die Erfolgschance bei circa 30 Prozent pro Transfer. Aber mit diesen Angaben muss man vorsichtig sein - natürlich können die Chancen auch höher oder niedriger liegen, je nach individuellem Fall.
Wie lange können die Eizellen noch eingesetzt werden?
Die Eizellen können sogar nach der Menopause noch eingesetzt werden. Dann müssen die Eierstöcke etwas mehr stimuliert werden, weil die Frau selbst keine Östrogene mehr produziert. Wie auch bei der Hormonersatztherapie in der Menopause werden dabei heute aber keine künstlichen Hormone mehr eingesetzt, sondern bioidentische Hormone. Im Grunde nutzen wir den ganz natürlichen Zyklus der Frau. Und das funktioniert hervorragend.
"Social Freezing": Die innovative Zukunft der Geburtsmedizin?
Nehmen die Komplikationen nicht zu, wenn die Frau mit über 40 schwanger wird?
Biologisch ist der Zusammenhang klar: Je älter die Frau, umso höher das Risiko von Fehlbildungen beim Kind und umso höher das Risiko für Komplikationen in der Schwangerschaft. Komplikationen nehmen also mit steigendem Alter zu - aber das Risiko steigt nicht so sprunghaft an, wie viele denken. Hoch ist das Risiko vor allem für Frauen mit Vorerkrankungen. Dass Frauen über 40 per se ein hohes Risiko haben, kann ich nicht bestätigen. Ich habe viele solche Frauen betreut und fast alle haben ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Man muss das in einem historischen Kontext sehen. Es hat sich einfach vieles verändert - bei den Frauen, aber auch in der Medizin. Die meisten Frauen sind mit 40 oder 50 heute viel fitter und gesünder als früher. Und die medizinischen Möglichkeiten, um eine Schwangerschaft zu überwachen, sind mittlerweile sensationell.
Wie hoch sind die Kosten in Deutschland?
Die Kosten für die Entnahme der Eizellen und für das Einfrieren liegen bei 2.500 EUR. Dabei gehe ich jetzt von relativ vielen Eizellen aus. Dann kommen noch die Kosten für die Spritze dazu, die liegen bei 700 EUR. Die Lagerung der Eizellen kostet rund 25 EUR pro Monat. Das spätere Einsetzen kostet je nach Menge der Eizellen noch einmal 1.500 bis 2.000 EUR.
… die die Patientinnen selbst bezahlen müssen, da Krankenkassen das weder übernehmen noch bezuschussen.
Nein, leider nicht. Ich persönlich halte das für ungerecht. Schon alleine, dass es bei einer Kinderwunsch-Behandlung einen Unterschied zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren gibt, ist ein Unding. Eine verheiratete Frau bekommt durch staatliche Unterstützung oder von der Krankenkasse drei Kinderwunsch-Behandlungen subventioniert, während eine Frau, die Eizellen einfrieren möchte, nichts bekommt. Das ist extrem bedauerlich, weil wir in einem Land mit niedrigen Geburtenraten leben und demografischer Wandel ein großes Thema ist. Es wäre fairer und unbürokratischer, wenn jede Frau in ihrem Leben das Recht auf drei solcher Behandlungen hätte - egal, ob die Eizellen eingefroren oder direkt im Anschluss eingesetzt werden. Ich bin der Ansicht, damit würde der Staat mehr Kosten einsparen, als durch den bürokratischen Aufwand heute entstehen. Und es wäre eine ein bisschen gerechtere Welt.
Ist "Social Freezing" aus Ihrer Sicht tatsächlich die Zukunft des Kinderkriegens?
Natürliche Geburten sind immer die bessere Wahl. Aber wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht geht, dann ist das eine gute Möglichkeit. Wir müssen uns einfach fragen: Was wollen wir als Gesellschaft? Wollen wir die Frauen wieder dahin umerziehen, dass sie mit 20 Kinder kriegen? Das wäre doch absurd. Ich verstehe Frauen, die in jungen Jahren darauf keine Lust haben. Wir leben in einer modernen Gesellschaft - und die Männer tun ja genau dasselbe.
Über den Gesprächspartner:
- Dr. med. Jörg Puchta ist Reproduktionsmediziner und Mitbegründer der Praxisklinik "Kinderwunsch und Hormon Zentrum an der Oper" in München.
Verwendete Quellen
- Telefoninterview mit Dr. med. Jörg Puchta
- statista.com: "Frauenanteil unter den Studierenden an Hochschulen in Deutschland"
- bpd.de: "Alter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder"
- destatis.de: Zahl der Woche
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