Ein einseitiger Kinderwunsch kann für eine Beziehung sehr belastend sein. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt ein Paartherapeut, wie Paare sich dieser Herausforderung stellen können.

Ein Interview

Was, wenn in einer Paarbeziehung ein einseitiger Kinderwunsch besteht, der eine gemeinsame Zukunftsplanung erschwert? Bedeutet diese Uneinigkeit automatisch, dass man sich trennen sollte? Im Gespräch mit unserer Redaktion ordnet ein Paartherapeut diese Herausforderung ein und erklärt, wie Paare einen Weg aus diesem Konflikt finden können.

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Herr Lauer, wie begründen Ihrer Erfahrung nach Männer und Frauen am häufigsten einen nicht vorhandenen Kinderwunsch?

Hans-Georg Lauer: Männer und Frauen äußern teilweise unterschiedliche Gründe, wenn sie keine oder noch keine Kinder wollen. Bei Frauen geht der nicht vorhandene Kinderwunsch häufig mit der Frage einher, wie sie zu ihrem eigenen Körper stehen und welche körperlichen Veränderungen mit einer Schwangerschaft einhergehen würden. Diesen Gedanken haben Männer verständlicherweise nicht. Bei Männern, aber natürlich auch bei Frauen, kann häufig der Gedanke, sich noch nicht bereit für ein Kind und die damit zusammenhängende Verantwortung zu fühlen, eine Rolle spielen.

"Die berufsbedingten Gründe sind nicht zu vernachlässigen"

Ist Ihr Eindruck, dass Frauen in diesem Zusammenhang nicht nur die Veränderungen ihres Körpers während einer Schwangerschaft an sich als Argument gegen ein Kind nennen, sondern auch die Zeit nach der Entbindung meinen?

Absolut. Meiner Erfahrung nach wird sogar weniger die Zeit der Schwangerschaft als vielmehr die Sorge vor der Zeit danach genannt. Häufig haben Frauen Bedenken, sich nach der Entbindung nicht mehr begehrenswert zu fühlen oder auch Idealen des Partners nicht mehr zu entsprechen. Ich beobachte, dass diese Gedanken Frauen häufig umtreiben.

Nichtsdestotrotz sind die berufsbedingten Gründe nicht zu vernachlässigen. Zwar gehört das klassische Rollenbild von Mann und Frau der Vergangenheit an; viele Frauen sind gut ausgebildet und wollen erwerbsfähig sein. Bei vielen kommt die Sorge auf, dass die angestrebte Karriere nach einer Schwangerschaft nicht mehr verfolgt werden kann. Hier spielt natürlich auch Gleichberechtigung innerhalb der Partnerschaft eine Rolle, an der die Frauen in diesem Zusammenhang zweifeln.

Wie arbeiten Sie mit Paaren, die Sie wegen eines einseitigen Kinderwunsches aufsuchen? Bleibt den Betroffenen nur die Trennung, wenn sie sich in dieser kompromisslosen Situation befinden?

Die Tatsache, dass ein Paar mit einseitigem Kinderwunsch eine Therapie aufsucht, zeigt, dass die beiden die Beziehung aufrechterhalten möchten. Meistens sind bereits vor dem Weg in die Paartherapie etliche Gespräche geführt worden. Dennoch konnte keine Lösung gefunden werden. Es ist für das Paar keine einfache Phase. Also will das Paar, ganz im Sinne der Beziehung, mit einer dritten Person herausfinden, welche Optionen möglich wären. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Therapie ist, dass beide ihr Leid miteinander teilen und an einer Lösung interessiert sind.

Was genau bedeutet das?

Aufgrund der persönlichen und emotionalen Lage muss das Paar bereit sein, sich auf Verständigung einzulassen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um neue Ideen und Optionen zu prüfen und sich selbst zu hinterfragen. Denn natürlich kann schnell die Idee entstehen, sich zu trennen. Der Fakt, dass man sich aber in eine Therapie begibt, zeigt, dass der Wille zur Beziehung im Vordergrund steht.

"Beim Thema Kinderwunsch gibt es schlichtweg keine halben Sachen"

Worum genau geht es dann in den Gesprächen?

In einer Therapie können auch Verhaltensweisen und Muster aus der eigenen Biografie aufgearbeitet werden. Manchmal spielen bei einem einseitigen Kinderwunsch nicht nur vordergründige Argumente wie etwa die Karriere oder der Gedanke, sich nicht reif genug für ein Kind zu fühlen, eine Rolle. In manchen Fällen lohnt sich der Einstieg in die eigene Biografie, um einzuordnen, welche Rollenbilder, Erwartungen oder auch Ängste bereits in jungen Jahren geprägt wurden, die es im Zusammenhang mit dem Thema Kinderwunsch aufzuarbeiten gilt. Wenn diese Punkte aufgearbeitet werden, kann letztlich auch die Beziehung gestärkt werden.

Bedeutet das also, dass bei einem Paar, das an der Beziehung festhält, ein Part dieser Partnerschaft von dem Kinderwunsch beziehungsweise Nicht-Kinderwunsch abweichen muss? Einen fairen Kompromiss gibt es in dieser Angelegenheit schließlich nicht.

Prinzipiell schon, beim Thema Kinderwunsch gibt es schlichtweg keine halben Sachen. Dennoch plädiere ich dafür, dass Paare sich nicht zu früh auf ein Ergebnis festlegen. Ich halte es für wichtig, das Verständnis zu vertiefen und die Gründe für die eigene Haltung besser zu verstehen. Indem dieses Verständnis wechselseitig vertieft wird, hilft es meiner Erfahrung nach beiden Parts, hinter die Kulissen des Gegenübers blicken zu können. Hat ein Mann beispielsweise Sorge, nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes eine nicht mehr so intensive Rolle im Leben seiner Frau zu spielen, muss herausgearbeitet werden, worin diese Ängste begründet liegen.

Möglicherweise können eben diese Ängste im Rahmen der Therapie ergründet und schrittweise aufgelöst werden, sodass sich auch die Haltung des Betroffenen zum Thema Kind ändert. Für eine solche Aufarbeitung gibt es natürlich nie eine Garantie und es ist ein langer Weg, aber es ist meist ein beziehungsschonender Weg, der den Paaren hilft, das wechselseitige Verständnis zu schärfen und danach möglicherweise nochmal neu über den Kinderwunsch nachzudenken.

Gilt dieses Beispiel auch umgekehrt für den Part in der Beziehung mit Kinderwunsch?

Ja, auch bei Menschen mit Kinderwunsch kann es Gründe in der eigenen Vergangenheit und Sozialisation geben, die für einen ausgeprägten Kinderwunsch sorgen. In diesem Fall ergibt es ebenso Sinn, genau hinzuschauen, welche Form der Befriedigung hinter diesem Wunsch steckt. Hier geht es darum, Fragen nach der inneren Belohnung oder Anerkennung aufzuarbeiten und zu beantworten. Aber auch die Rolle eines potenziellen Kindes steht im Fokus, um auch hier mehr Verständnis für den Kinderwunsch eines Gegenübers zu erzeugen.

"Viele Paare versuchen, das Kinderthema zunächst locker anzugehen"

Gibt es auch Paare, die sich mit Blick auf die Kinderfrage bereits in einer sehr verfahrenen Situation befinden?

Solchen Fällen begegne ich immer wieder. Die Situation ist dann von Anfang an sehr angespannt. Beide Partner scheinen verzweifelt. Einen Ausweg scheint es nicht zu geben. Der Kinderwunsch ist ein ganz wesentlicher emotionaler Akt. Wenn dieser schon sehr lange besteht und der Konflikt darüber entsprechend lange andauert, kann es zu extremen Herausforderungen für die Beziehung kommen.

Wie geraten Paare in diesen Konflikt?

Viele Paare versuchen, das Kinderthema zunächst locker anzugehen. Mir begegnen Paare, die das Thema eher wegschieben, es erscheint nur dann auf der Bildfläche, wenn etwa im Freundeskreis eine Schwangerschaft verkündet wird. Somit ist das Problem nicht gelöst, sondern lediglich aufgeschoben. Die Frustration wächst. Auch in dieser herausfordernden Situation gilt es zunächst wieder, die emotionale Komponente der Beziehung zu stärken und beide Betroffenen in ihrer jeweiligen Frustration ernst zu nehmen. Die Therapie sollte so angelegt werden, dass sich beide Parts in ihrem Leid verstanden fühlen und eine versöhnliche Haltung eingenommen werden kann.

Müsste die Frage nach dem Kinderwunsch also schon während der frühen Datingphase geklärt werden, um sicherzugehen, dass ähnliche Zukunftspläne vorliegen?

Nach meiner Erfahrung mit Paaren ist es sinnvoll, dass diese bereits in einer frühen Phase über ihre Lebensplanung sprechen. Jeder Partner könnte dadurch die eigene Lebensplanung offenbaren, ein ungeschminkter Austausch könnte stattfinden. Das bedeutet aber nicht, dass alles, was man sagt, automatisch in Stein gemeißelt ist. Deswegen sehe ich in der frühen Kommunikation der Lebensplanung auch einen Nachteil. Denn manche Partner können sich zu sehr auf das Gesagte versteifen und sich etwa auf einen während der Kennenlernphase geäußerten Kinderwunsch berufen.

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Nichtsdestotrotz bieten beispielsweise Dating-Apps die Möglichkeit, in der Profil-Bio anzugeben, ob ein Kinderwunsch besteht oder nicht.

Genau. Ich bin überzeugt davon, dass diese Angaben in Dating-Portalen absolut sinnvoll sind. Man sollte sich jedoch davor hüten, eine Angabe in einer Profil-Bio als ein ewiges Versprechen zu werten. Dafür ist die Welt und jeder einzelne Mensch zu vielen Veränderungen ausgesetzt. Darüber hinaus sind Menschen im Moment des Kennenlernens zu sehr mit Hormonen aufgeladen, als dass man sich auf jede anfangs getroffene Aussage versteifen sollte.

Zur Person:

  • Hans-Georg Lauer ist Psychologe und als Paarberater, Paartherapeut und Coach in Köln und Bonn tätig. In seine Beratungstätigkeit lässt er auch persönliche Erfahrungen einfließen: Als Ehemann und Familienvater von drei Kindern kennt er die Freuden und Schattenseiten langjähriger Paarbeziehungen.
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