Trotz sinkender Infektionszahlen und Aufhebung vieler Einschränkungen: Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei. Neben neuen Infektionen kämpfen zahlreiche Betroffene mit den Spätfolgen der Infektion. Sie leiden unter Long oder Post Covid - das Gesundheitssystem ist darauf kaum vorbereitet.

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Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Während in Deutschland bei sinkenden Coronazahlen über das Ende der Maskenpflicht gestritten wird, gibt es eine Gruppe von Betroffenen, die noch immer unter den Folgen der Infektion leidet: die Menschen mit Long Covid.

Der Begriff beschreibt gesundheitliche Beschwerden, die mindestens vier Wochen nach Beginn einer Covid-Erkrankung noch vorhanden oder neu entstanden sind. Viele Betroffene leiden auch nach drei Monaten immer noch unter Symptomen, die anderweitig nicht erklärbar sind. Wissenschaftler sprechen dann vom Post-Covid-Syndrom, einem Krankheitsbild, das Patienten monatelang stark einschränken kann.

Die Erkrankung ist in der ersten Zeit der Pandemie von vielen Ärzten als Einbildung belächelt worden, sie sei psychosomatisch oder eben nur eine langsame Form der Heilung. Inzwischen gibt es nicht nur eine offizielle Leitlinie für Ärzte als Hilfestellung zur Diagnostik, sondern auch die ersten Anträge bei den Sozialversicherungen für eine Erwerbsminderungsrente von Menschen, die nicht mehr arbeiten können.

Bodo Ramelow: Long Covid als "soziale Katastrophe"

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bezeichnete Long Covid bei einer Fachtagung in Jena als "forschungsmäßigen Notfall". Wenn man die Einschränkung der Lebensqualität und die große Zahl der Betroffenen sehe, dann sei das eine Notfallsituation. "Wir müssen alles dafür tun, dass wir die schweren Krankheitszustände besser verstehen", sagte Lauterbach. Auch andere Politiker sind alarmiert. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) fürchtet "eine soziale Katastrophe", die die Gesellschaft und die Sozialversicherungssysteme lange begleiten werde.

Diese Sorge scheint aufgrund der hohen Patientenzahlen gerechtfertigt. Jördis Frommhold, die in Rostock das bundesweit erste Long-Covid-Institut gegründet hat, bewertet Long Covid als neuartige Volkskrankheit und berichtet von Hunderttausenden Patienten, für die es derzeit kein passendes Versorgungsangebot gebe.

Die Zahl der Long-Covid-Fälle in Deutschland wird von einigen Experten sogar auf drei Millionen geschätzt, etwa zehn Prozent aller Coronafälle. Fachleute sind indes müde geworden über die genaue Zahl zu streiten, und das Robert-Koch-Institut (RKI) musste im November in einer Lagebewertung einräumen, dass es bisher nicht möglich sei, sicher abzuschätzen, wie häufig Long Covid nach einer Sars-CoV-2-Infektion auftritt.

Sicher ist, dass es sehr viele Menschen betrifft, die dann nur symptomatisch behandelt werden können und keine konkrete Perspektive haben, ob sie wieder vollständig gesund werden. "Viele von ihnen hatten vor der Erkrankung ein hohes Leistungsniveau und müssen jetzt mit einer völlig anderen Situation klarkommen", sagt Frommhold.

Long Covid auch bei Omikron

Trotz der veränderten Pandemielage befindet sich Long Covid nicht auf dem Rückzug. Bei den neuen Omikron-Varianten laufen die Covid-Erkrankungen zwar meistens milder ab und das Risiko der Spätfolgen ist geringer als bei früheren Virusvarianten. Die Impfung bietet einen zusätzlichen Schutz. Doch laut einer AOK-Studie zu Beschäftigten, die zunächst wegen Covid krankgeschrieben wurden, liegt der Anteil derjenigen, die später mit Long Covid erneut in den Daten der Krankenkasse auftauchen, immer noch bei zwei Prozent.

Inzwischen sind sich Mediziner auch sicher, dass Long Covid Kinder treffen kann. Die gute Nachricht: Die Heranwachsenden erholen sich schneller. "Bei Kindern kommt Long Covid weniger häufig vor und die Prognose für die jungen Patienten ist in der Regel besser", sagt Daniel Vilser, Leiter der Long-Covid-Ambulanz für Kinder an der Universitätsklinik Jena.

Rückblick: Im Frühsommer 2020 haben die ersten Long-Covid-Patienten die Ambulanzen der Uni-Kliniken aufgesucht. Damals begann die Erforschung einer neuen Krankheit, heute sind etwa 200 Symptome in zehn Organsystemen bekannt. Diese Vielfalt hat offenbar das Verständnis für die Erkrankung Long Covid erschwert, weil sie so beliebig erschien und zu einem Sammelbecken für unklare Beschwerden wurde – und nach Ansicht der Skeptiker lediglich dem Hype um die Corona-Infektion geschuldet sei.

Hausärzte schlecht vorbereitet

Diese Fehleinschätzung und Unkenntnis über die Symptome sei bei Ärzten immer noch verbreitet, berichtet Jördis Frommhold und fordert mehr Aufklärung gerade für Hausärzte, die häufig die ersten Ansprechpartner sind, aber das Krankheitsbild kaum kennen. Auf Long-Covid-Patienten wartet derzeit eine lange, zeitraubende und kräftezehrende Odyssee zu verschiedenen Fachärzten, weil noch immer keine Diagnostik anhand einfacher Laborparameter möglich ist.

Zwar werden neue Spezialambulanzen geschaffen, aber deren Zahl ist zu gering, als dass sie die Betroffenen monatelang betreuen könnten. Für viele Patienten ist der Weg zur Praxis schon eine kaum auszuhaltende Belastung. Die Hausärzte wiederum sind oft mit Symptomen konfrontiert, die sie im normalen Praxisalltag kaum behandeln.

Vier Subtypen erklären Vielfalt der Symptome

Immerhin lässt sich die Vielfalt der Symptome inzwischen verschiedenen Subtypen zuordnen. Nach mehr als zwei Jahren Forschung sind die Wissenschaftler überzeugt, dass das Virus verschiedene Krankheiten auslösen kann, die bisher unter Long Covid zusammengefasst werden. Dazu passt, dass selbst häufig genannte Beschwerden nur bei einem Teil der Betroffenen auftreten: 58 Prozent klagen über extreme Müdigkeit (Fatigue), 44 Prozent über Kopfschmerzen und 27 Prozent beobachten Aufmerksamkeitsdefizite, 24 Prozent Atemnot.

Am einfachsten abgrenzen lassen sich Patienten, die gar nicht an Long Covid direkt leiden, sondern mit den körperlichen und psychischen Schädigungen durch die künstliche Beatmung und Intensivmedizin kämpfen. Dieses Krankheitsbild gibt es schon lange und ist als Post-Intensive-Care-Syndrom bekannt.

Die anderen Subtypen scheinen hingegen direkte Folgen des Virus und häufig unabhängig vom Verlauf der akuten Covid-Erkrankung zu sein. Dass Infektionen über lange Zeit den Körper schwächen können, ist auch von anderen Erkrankungen bekannt, wie etwa nach einer Infektion durch das Epstein-Barr-Virus oder nach einer Sepsis. Auch das Vorläufervirus Sars-CoV-1 löste 2003 solche Spätfolgen aus.

Sars-CoV-2 benutzt ebenfalls den Rezeptor ACE2 für den Eintritt in die Zelle, und dieser Rezeptortyp ist nicht nur in der Lunge, sondern auch in vielen anderen Organen vertreten. Das führt dazu, dass Corona mehr ist als nur eine Lungenerkrankung, sondern auch die Auskleidung der Blutgefäße, das Endothel, angreifen kann. Die Folgen sind Schäden am Herz-Kreislaufsystem und der Leber sowie eine erhöhte Neigung zu Thrombosen, die Embolien, Infarkte oder Schlaganfälle auslösen können.

lkn

Chronische Müdigkeit, Schmerzen und Brain Fog

Viele Patienten entwickeln eine chronische Müdigkeit (ME/CFS) und halten keinerlei Belastung mehr aus. Als Ursache vermuten Mediziner eine fehlerhafte Regulation des Immunsystems, bei der sich körpereigene Antikörper gegen Rezeptoren im Gefäß-, Immun- und Nervensystem richten.

Ein weiterer Subtyp zeigt sich in neurologischen Beschwerden wie Kopf- und Muskelschmerzen oder permanenten Konzentrationsproblemen, die wie ein Nebel im Gehirn (Brain Fog) beschrieben werden. Hier vermuten die Forschenden eine Störung im Hirn-Stoffwechsel, es gibt auch Hinweise auf Veränderungen der Nervenzellen des Gehirns.

Trotz aller Verschiedenheit können die Subtypen auch überlappen. Im dritten Jahr der Pandemie ist eines inzwischen sicher: Long Covid ist eine komplexe Erkrankung und stellt die Gesundheitsversorgung in Deutschland vor eine ganz besondere Herausforderung.

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Verwendete Quellen

  • AWMF Online: S1-Leitlinie Long/ Post-COVID
  • RKI: Long COVID – eine Herausforderung für Public Health und Gesundheitsforschung
  • Wissenschaftliches Institut der AOK: Krankschreibungen aufgrund von Long-COVID oder Post-COVID: Wenige Betroffene, aber lange krankheitsbedingte Ausfallzeiten

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