Zwei Mal im Jahr stellen wir unsere Uhren um - und viele fragen sich am Tag darauf: Wie spät ist es eigentlich? Dass die Zeitumstellung nicht nur für Verwirrung sorgt, sondern auch unseren Organismus vor einige Herausforderungen stellt, erklärt Diplom-Psychologe Werner Cassel.

Ein Interview

Am 25. März ist es wieder so weit: In der Nacht auf den Sonntag wird uns eine Stunde geklaut. Viele Menschen belastet die Umstellung.

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Herr Cassel, finden Sie die Zeitumstellung sinnvoll?

Grundsätzlich nicht, weil sie jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst unnötigen Anpassungsstress provoziert. Ich bin natürlich - wie viele andere auch - ein Freund der Sommerzeit. Denn es ist einfach angenehmer, wenn man nach Feierabend noch etwas unternehmen kann, während es draußen hell ist. Aus schlafmedizinischer Sicht ist die lokale Sonnenzeit jedoch ideal.

Lokale Sonnenzeit, was bedeutet das?

Die innere Uhr des Menschen wird noch immer weitgehend durch Licht gesteuert. Es wäre also am gesündesten, wenn er nach der Sonnenzeit an seinem Ort lebt. Bis ungefähr 1860 gab es keine einheitliche Zeit in Deutschland. Es war immer 12 Uhr, wenn die Sonne am jeweiligen Ort am höchsten Punkt stand. Heutzutage ist es aber in Berlin und in Aachen zur gleichen Zeit 12 Uhr - vom Sonnenstand passt das für beide Orte nicht.

Die Winterzeit ist für Deutschland die "natürlichere" biologische Zeit, denn dann steht die Sonne um 12 Uhr im Zenith. Die Sommerzeit ist daher eine "unnatürliche Zeit", weil die Sonne erst um 13 Uhr ihren höchsten Punkt erreicht. Sie ist also um eine Stunde verschoben.

Was bedeutet denn "natürliche" Zeit?

Normalerweise werden wir wach, wenn es draußen hell wird und werden müde, wenn die Melatoninproduktion beginnt. Wenn wir perfekt nach der Sonnenzeit leben, haben wir zum Beispiel nachts um drei Uhr die niedrigste Körperkerntemperatur. Das sind die besten Voraussetzungen, um in der Dunkelphase gut zu schlafen und in der Hellphase aktiv zu sein.

Je mehr wir aber in der aufgezwungenen Sommerzeit von der biologischen Zeit abweichen, desto größer sind die Belastungen für den Organismus. Deswegen werden Schlafforscher immer für die Winterzeit als einheitliche Zeit plädieren.

Wir schlafen auch im Winter durchschnittlich circa 40 Minuten länger. Dazu trägt wahrscheinlich bei, dass es bei uns in der Sommerzeit unnatürlich lange hell ist.

Wie würde unser Körper vom Leben nach der Sonnenzeit profitieren?

Es wäre relativ einfach, zu einer vernünftigen Zeit, zum Beispiel 22:30 Uhr ins Bett zu gehen. Man könnte sich den angesprochenen Anpassungsstress halbjährlich sparen.

Wenn wir zum Beispiel im Frühjahr unsere Uhren um eine Stunde vorstellen, "verlieren" wir eine Stunde und das führt dazu, dass wir in den darauffolgenden Tagen messbar müder sind. Am Montag nach der Zeitumstellung passieren auch mehr Autounfälle und in Krankenhäusern werden 25 Prozent mehr Menschen mit Kreislaufbeschwerden aufgenommen.

Wen stresst die Zeitumstellung denn besonders?

Unter der Herbstzeitumstellung leiden vor allem jene Menschen, die chronobiologisch (also von ihrer inneren Uhr her) eher Frühaufsteher sind. Sie werden in der Winterzeit oft gegen fünf Uhr wach und können nicht einfach eine Stunde länger schlafen. Die Zeitumstellung im Frühjahr ist eher für den Spättypen problematisch.

Lassen sich auch langfristige Auswirkungen beobachten?

Niemand wird heute krank, weil er vor fünf Jahren die Zeit umstellen musste. Unabhängig von der Zeitumstellung gibt es aber sehr viele Menschen, die weitgehend ohne natürliche Zeitsignale leben. Sie sind tagsüber zu selten im Freien. Ihnen fehlen die natürlichen Signale, die unsere innere Uhr erwartet.

Das führt langfristig zu einem schlechteren Gesundheitszustand, Schlafproblemen und tagsüber wird man nicht mehr richtig wach.

Warum wurde die Zeitumstellung trotz vieler Komplikationen und gesundheitlicher Beschwerden noch nicht abgeschafft?

Viele Menschen genießen die Sommerzeit besonders, weil sie viele soziale Vorteile hat. Wenn wir um 17:00 Uhr aus der Arbeit kommen, freuen wir uns, wenn es noch drei oder vier Stunden lang hell ist. Anders kann ich mir das kaum erklären, denn die Energiespareffekte dieser Zeitumstellung konnten noch nie belegt werden.

Die einzige Erklärung, die ich habe, ist, dass unsere Politik in solchen Fragen ziemlich träge ist und sich viele Länder einigen müssten. Außerdem würde bei einer Abschaffung ein Streit losbrechen, weil viele die Sommerzeit behalten möchten.

Stimmt, eine Zeitumstellung hätte ja globale Auswirkungen.

Auch ich finde es immer sehr erstaunlich, dass nicht nur Berlin und Aachen in der selben Zeitzone liegen. Noch frappierender ist der Fall China: Das ganze Land orientiert sich bei der Zeit an Peking, obwohl es eine riesige Ost-West-Ausdehnung hat. Das ist eine extreme Abweichung zwischen sozialer Zeit und der tatsächlichen Sonnenzeit.

Haben Sie für all jene, die unter der Zeitumstellung leiden, einen Tipp für die Vorbereitung?

Grundsätzlich ist es empfehlenswert, an dem Wochenende ins Freie zu gehen. Das Sonnenlicht hilft uns dabei, unsere innere Uhr zu stärken.

Diplom-Psychologe Werner Cassel forscht am Schlafmedizinischen Zentrum des Universitätsklinikum Marburg.

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