Zwei Skelette sind über Jahrzehnte hinweg den falschen historischen Personen zugeordnet worden. Ein internationales Forschungsteam deckte den Irrtum auf und identifizierte die Überreste des legendären deutschen Räubers "Schinderhannes". Nun drängen sich aber neue Fragen auf.
Im 18. und 19. Jahrhundert sorgte ein Mann westlich des Rheins für Angst und Schrecken und wurde dadurch zu einem legendären deutschen Räuber. Johannes Bückler, bekannt als "Schinderhannes", soll mehr als 200 Verbrechen begangen haben, darunter Diebstahl, Raub, Erpressung und sogar Mord. Dennoch soll er in der Bevölkerung beliebt gewesen sein.
1799 lernte der "Schinderhannes" Christian Reinhard kennen, der unter dem Namen "Schwarzer Jonas" berüchtigt war. Die beiden Verbrecher zogen danach gemeinsam mit ihren Krämerwagen umher. Mit anderen Komplizen setzten sie ihre kriminelle Laufbahn fort.
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1802, nach mehreren Monaten erfolgloser Strafverfolgung, wurden beide schließlich in der Nähe von Wolfenhausen im Taunus verhaftet. Im Jahr 1803 wurden der "Schinderhannes", der "Schwarze Jonas" und 18 weitere Straftäter zum Tode verurteilt und in Mainz hingerichtet. Die Skelette der beiden berüchtigten Räuber kamen im Jahr darauf an die Universität Heidelberg, wo sie nun seit knapp 220 Jahren zur Anatomischen Sammlung gehören.
Dort kam ein Forschungsteam jetzt einer jahrelangen Verwechslung auf die Spur.
Forschungsteam entdeckt Irrtum bei Benennung zweier Skelette
In einer aktuellen Studie berichtet ein Forschungsteam der Universität Heidelberg und der Medizinischen Universität Innsbruck über seine aufwendige, interdisziplinäre Untersuchung. Dabei habe der historische "Kriminalfall" rund um den "Schinderhannes" gelöst werden können, heißt es in einer Mitteilung der Medizinischen Universität Innsbruck.

Wie sich herausstellte, seien offenbar zu Beginn des 19. Jahrhunderts Sammlungsnummern vertauscht worden - "und damit begann die falsche Zuordnung der Skelette", berichtet die Universität Heidelberg.
Durch eine Untersuchung mit verschiedenen Analysemethoden wurde jetzt deutlich, dass das vermeintliche Skelett des "Schwarzen Jonas" eindeutig dem "Schinderhannes" gehörte. Das angebliche Skelett des "Schinderhannes" sei aber nicht das des "Schwarzen Jonas".
Das tatsächliche Skelett des "Schwarzen Jonas" sei im Laufe der Zeit verloren gegangen, berichtet das Forschungsteam weiter. "Möglicherweise wurde es im Glauben, es handle sich um das Skelett des 'Schinderhannes', entwendet oder ausgeborgt und nie zurückgegeben?", mutmaßt Sara Doll vom Institut für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Die Studienautorin gibt jedoch auch zu bedenken: "Ironischerweise könnte diese Verwechslung letztendlich dazu geführt haben, dass wir heute noch im Besitz des echten Skeletts von 'Schinderhannes' sind."
Skelett des "Schinderhannes" dank verschiedener Methoden zugeordnet

Für seine Untersuchung kombinierte das internationale und interdisziplinäre Team aus Deutschland, Österreich, Schweden, Portugal und den USA verschiedene Analysemethoden. So konnten die Wissenschaftler die Identität der untersuchten Skelette immer weiter einkreisen.
Durch anthropologische Untersuchungen konnte etwa festgestellt werden, wo die beiden Personen, deren Skelette untersucht wurden, mutmaßlich ihre Kindheit und ihr späteres Leben verbracht hatten. Auch konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Informationen über das Alter, Geschlecht und mögliche Erkrankungen herausfinden, unter anderem durch chemische Analysen der Knochen.
Doll berichtet: "All diese Ergebnisse, gekoppelt mit einer sorgfältigen Analyse historischer Dokumente, deuteten auf eine mögliche Verwechslung der beiden Skelette hin."
Eine Vermutung, die durch die Analyse der sogenannten mitochondrialen DNA bestätigt wurde. Der Abgleich mit einem noch lebenden Nachkommen des "Schinderhannes" in fünfter Generation habe darauf hingewiesen, dass das Skelett, das dem "Schwarzen Jonas" zugeordnet worden war, vom "Schinderhannes" stammen könnte.
Die eindeutige Identifikation des "Schinderhannes"-Skeletts sei durch eine neuartige molekulargenetische Methode ermöglicht worden, "die die Bestimmung von Verwandtschaftsverhältnissen sogar bei Individuen erlaubt, die über fünf Generationen hinweg getrennt sind", erklärt Walther Parson, Erstautor der Studie. Der Fall "Schinderhannes" sei der erste historische Fall, in dem man diese neue Technologie erfolgreich angewendet habe.
"Ein 220 Jahre alter Irrtum konnte so aufgeklärt und korrigiert werden."
"Die Kombination forensischer, genetischer und historischer Techniken ermöglichte dieses Ergebnis und dient als Modell für künftige Untersuchungen", erzählt Parson von der Medizinischen Universität Innsbruck. "Ein 220 Jahre alter Irrtum konnte so aufgeklärt und korrigiert werden."
Datenanalyse zeigt Aussehen des "Schinderhannes"
Dem Forschungsteam gelang es außerdem, das Aussehen des "Schinderhannes" zu rekonstruieren - zumindest Teile davon. "Die Daten deuten darauf hin, dass 'Schinderhannes' braune Augen, dunkle Haare und einen eher blassen Hautton hatte", erklärt Parson, der die Daten analysiert hat. Hinweise auf das Aussehen des Verbrechers hatten bislang lediglich Gemälde gegeben, die nach dessen Tod entstanden waren und laut den Forschenden eher auf künstlerischer Freiheit als auf authentischen Vorlagen beruht hatten.
Zwei große Fragen sind jetzt allerdings noch offen: Wo ist der "Schwarze Jonas" abgeblieben und wer steckt hinter dem jetzt "verwaisten Skelett"? Das konnte das Forschungsteam noch nicht beantworten. "Es bleibt also spannend", sagt Sara Doll.
Korrektur: In einer früheren Version stand, der "Schinderhannes" sei in Mainz verhaftet worden. Das ist nicht richtig, er wurde in Mainz hingerichtet. Wir haben die entsprechende Passage korrigiert.
Verwendete Quellen
- Studie in Forensic Science International: Genetics: "Remains of the German outlaw Johannes Bückler alias Schinderhannes identified by an interdisciplinary approach"
- Pressemitteilung der Universität Heidelberg: "Historischer Räuber 'Schinderhannes' eindeutig identifiziert"
- Pressemitteilung der Medizinischen Universität Innsbruck: "Jahrhundertealte Verwechselung aufgeklärt: Historischer Räuber 'Schinderhannes' identifiziert"