- Psychische Erkrankungen haben durch die Pandemie zugenommen. Vor allem die Zahl an Angststörungen und Depressionen ist stark angestiegen.
- Schlechte Stimmung und Enttäuschung sind in der aktuellen Situation nachvollziehbar, halten negative Gefühle aber länger an, sollte man sich Hilfe holen.
- Positive Erlebnisse helfen dabei, optimistisch zu bleiben und psychischen Erkrankungen vorzubeugen.
Die Corona-Inzidenzzahlen in Deutschland sind so hoch wie noch nie seit Ausbruch der Pandemie. Das Robert-Koch-Institut meldet 65.371 Neuinfektionen innerhalb eines Tages (Stand 18.11.2021). Viele Menschen plagen Ungewissheit und Zukunftsängste. Keiner kann abschätzen, wie sich die nächsten Wochen entwickeln werden, ob es doch wieder Schulschließungen und eine Art von Lockdown geben wird. Das belastet.
Aber auch Enttäuschung macht sich bei vielen breit. Weihnachtsmärkte und andere geplante Großveranstaltungen werden abgesagt. Dinge, auf die man sich gefreut hat, können nicht stattfinden. Viele Menschen, beispielsweise Schüler und Lehrer, müssen in Quarantäne und sich sozial isolieren, das drückt auf das Gemüt.
Detlef Dietrich, Ärztlicher Direktor und Leiter des Zentrum Diagnostik und Therapiesteuerung am Ameos Klinikum in Hildesheim, kennt die Sorgen: "Die Menschen sind die ganze Situation und die Umstände leid, sie sagen häufig, sie möchten ihr altes Leben zurück. Unbeschwert das tun können, wozu man gerade Lust hat. Aber die Einschränkungen sind überall, wir können unser Leben aktuell nicht so leben, wie wir es uns wünschen. Das ist das große Problem. Es ist in der jetzigen Situation vollkommen normal, dass man nicht immer guter Laune ist und es ist klar, dass solch schwere Belastungen an den Kräften zehren. Man darf traurig, enttäuscht und wütend sein, das sind ganz natürliche Reaktionen auf eine derartig schwierige Situation."
Wie schnell und gut man sich auf neue Lebensumstände einstellen kann, wie beispielsweise die von der Regierung verhängten Einschränkungen, hängt nicht nur von der Persönlichkeit ab. Auch die beruflichen und privaten Umstände spielen eine große Rolle. Denn nicht jeden treffen die Einschränkung gleich. Je nach beruflichem Umfeld merken manche Menschen vielleicht gar keine große Veränderung, andere hingegen sind einer viel stärkeren Belastung ausgesetzt, zum Beispiel im Gesundheitswesen. Das kann man nicht pauschal vergleichen.
"Die Menschen sind es leid, dass der Stresspegel momentan so hoch ist, gerade diejenigen, die überbelastet sind. Wenn man sich mit Freunden trifft, ins Kino oder Restaurant geht, tut man sich etwas Gutes. Und das gelingt derzeit nicht mehr so gut, der Ausgleich fehlt. Dennoch muss man zusehen, dass man sich die schönen Dinge, die man gerne macht, erhält. Denn je länger eine solche Situation anhält, desto belastender ist sie", sagt der Experte im Gespräch mit unserer Redaktion.
Nur verstimmt oder schon depressiv?
Moment schlechter Stimmung sind vollkommen normal. Häufen sich aber negative Gedanken und niedergedrückte Stimmung und verliert man Freude an Dingen, die man mag, können das Warnsignale für eine depressive Erkrankung sein. Einzuschätzen, ab wann professionelle Hilfe nötig ist, ist häufig nicht einfach. Oft bemerken Betroffene ihre Veränderung zuerst nicht selbst, sondern werden von Angehörigen darauf hingewiesen.
Ab wann man von einer behandlungsbedürftigen Depression spricht
Zu den Hauptsymptomen gehören niedergedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Interessenlosigkeit und leichte Erschöpfbarkeit. Nebensymptome sind vor allem Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, negatives Grübeln, aber auch körperliche Symptome wie Schmerzen und eine Appetitstörung. Treten über einen Zeitraum von zwei Wochen mindestens zwei Hauptsymptome und gleichzeitig mindestens drei bis vier Nebensymptome auf und wird der Alltag dadurch beeinträchtigt, spricht man von einer behandlungsbedürftigen Depression.
Sich bei Verdacht frühzeitig Hilfe zu holen, ist sehr wichtig. Denn eine frühzeitige Diagnose trägt erheblich zum erfolgreichen Therapieverlauf bei. Wer sich unsicher ist, kann sich zunächst mit Freunden und Bekannten austauschen oder seinen Hausarzt aufsuchen. Liegt eine behandlungsbedürftige Depression vor, kann der Arzt Therapiemöglichkeiten vorschlagen.
Auch wenn die Corona-Pandemie bereits jetzt zu einem Anstieg psychischer Erkrankungen geführt hat, wird davon ausgegangen, dass die Zahlen in den nächsten Monaten weiter steigen werden. "Erkrankungen aufgrund psychischer Belastung entwickeln sich manchmal erst viele Monate nach der akuten Belastung. Wir sind gerade am Anfang der vierten Pandemie-Phase und können noch gar nicht überblicken, welche Auswirkungen das langfristig haben wird", so Dietrich.
Zahl psychischer Erkrankungen stark gestiegen
In der NAKO Gesundheitsstudie, die während des ersten harten Lockdowns im Mai 2020 in Deutschland durchgeführt wurde, gaben 32 Prozent der Teilnehmenden an, sich einsam zu fühlen. Jeder Zweite fühlte sich während des Lockdowns einsamer als davor. Frauen waren häufiger betroffen als Männer. Einen Zusammenhang von Einsamkeit und negativer psychischer Gesundheit wurde bereits nachgewiesen, sie gilt neben übermäßigem Stress als einer der Hauptauslöser von Depressionen.
Dass nicht nur die Angst vor einer Ansteckung, sondern auch die Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie als schädlich für die psychische Gesundheit wahrgenommen wurden, geht aus einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von Mai 2021 hervor. In einigen OECD-Ländern hat sich die Anzahl an Angststörungen und Depressionen im Vergleich zum Jahr vor der Pandemie verdoppelt. Risikofaktoren wie Arbeitslosigkeit und Armut erhöhen dabei die Gefahr einer Depression. Vor allem bei jungen Menschen haben psychische Leiden stark zugenommen, heißt es.
Auch eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung kommt hinsichtlich der Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie zu einem ähnlichen Ergebnis. Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 wiesen etwa 25 Prozent der Jugendlichen Symptome von Depressionen auf. Im Jahr vor der Pandemie waren es lediglich zehn Prozent in dieser Altersgruppe.
Präventive Selbsthilfe
Die Corona-Pandemie fördert den sozialen Rückzug, trägt zur Verringerung von Aktivität bei und auch häufig zu einer schlechteren Ernährung. Auf seinen Körper hören, ihm Erholungsphasen gönnen und Warnsignale ernst nehmen und grundsätzlich ein gesunder Lebensstil, helfen auch die mentale Gesundheit zu erhalten. Da jede Erkrankung unterschiedliche Ursachen haben kann und die Lebensumstände bei jedem Patienten anders sind, ist es schwierig allgemein gültige Tipps zur Prävention psychischer Erkrankungen zu geben.
Ein paar Dinge helfen aber regelmäßig: Vor allem Bewegung unterstützt den Körper dabei Stress abzubauen. Und Stress ist einer der Hauptfaktoren für das Auftreten von körperlichen und psychischen Erkrankungen. Ausreichend körperliche Aktivität trägt nachweislich zu langer Gesundheit bei.
Grundsätzlich sollte man so oft es geht Dinge tun oder unternehmen, die einem Spaß machen und bei denen man sich wohl fühlt. "Das hebt die Stimmung. Ob das nun Sport, Lesen oder der Austausch mit anderen ist - jeder muss für sich eine Strategie entwickeln," betont Dietrich.
Negative Gedanken sollte man versuchen wegzuschieben und sich bewusst mit den Dingen beschäftigen, die einem guttun. "Eine positive Stimmung und Einstellung wirkt sich auf das Denken, auf die Gefühle und sogar auf das Immunsystem aus. Das verstärkt wiederum die Möglichkeit optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Man darf nicht in einen negativen Gedanken-Strudel kommen, sondern muss möglichst viele positive Ereignisse schaffen. Erwischt man sich beim negativen Grübeln, sollte man die Gedanken mit Dingen unterbrechen, die einem guttun. Etwa das Lieblingsgericht kochen, sich mit Freunden treffen, einfach ablenken," so der Experte.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Prof. Detlef Dietrich
- NAKO: Pressemitteilung-NAKO Studie zur Einsamkeit während der ersten Welle der Corona-Pandemie in Deutschland
- Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Studie zu den Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie
- OECD: Supporting young people’s mental health through the COVID-19 crisis
- OECD: Tackling the mental health impact of the COVID-19 crisis: An integrated, whole-of-society response
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