Carlos Davila von der spanischen Umweltorganisation SEO/Birdlife kämpft gegen Pläne der Regionalregierung von Andalusien, verbotenen Erdbeeranbau in einem der europaweit wichtigsten Hotspots der Biodiversität zu legalisieren. Das ganze Gebiet droht auszutrocknen, warnt er.

Das Doñana-Schutzgebiet in Andalusien im Mündungsgebiet des Flusses Guadalquivir gehört mit seinen Lagunen, Dünen und Feuchtgebieten zu den wichtigsten Hotspots der Biodiversität in Europa. Doch die andalusische Regionalregierung will dort nun den verbotenen Erdbeeranbau legalisieren. Das würde den Grundwasserspiegel beschleunigt absinken lassen.

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Wissenschaftler warnen vor den Folgen weiterer Entwässerung, Naturschützer laufen gegen die Pläne Sturm. Denn die Dürre in Südspanien hat dem Gebiet – das sich mit einem Nationalpark, einem Naturpark und einem europäischen Natura-2000-Schutzgebiet über mehr als 50.000 Hektar erstreckt – schon massiv zugesetzt. Irreparabler Schaden droht, warnt Carlos Davila. Er leitet die Niederlassung der spanischen Natur- und Vogelschutzorganisation SEO/Birdlife im Doñana-Gebiet.

Herr Davila, warum ist das Doñana-Gebiet ökologisch so wichtig?

Carlos Davila: In dem Schutzgebiet leben mehr als 200 endemische und gefährdete Pflanzen- und Tierarten, die auf diesen aquatischen Lebensraum angewiesen sind. Etwa 400 verschiedene Vogelarten kommen über das Jahr verteilt vor, darunter über 100 Arten, die direkt von unserem Feuchtgebiet abhängig sind.

Riesige Artenvielfalt ist bedroht

Woher kommt diese Vielfalt?

Doñana bietet verschiedene Lebensraumtypen und eine große Variabilität im Lauf des Jahres. Die Ausdehnung der Wasserflächen wächst und schrumpft mit den Jahreszeiten, Niederschläge sind sehr ungleich über das Jahr verteilt. Im Ergebnis ist der Lebensraum für sehr viele Arten auf ganz unterschiedliche Weise geeignet und wichtig.

Seit wann gibt es Probleme mit dem illegalen Anbau von Erdbeeren?

Erdbeerfarmen gibt es bereits seit den 1980er-Jahren. Ihre Zahl nahm im Laufe der Jahre massiv zu. Und neben den Landwirten, die über die Erlaubnis verfügten, das Wasser aus dem Untergrund zu nutzen, tauchten bald auch illegale Betriebe auf, die ohne jegliche Rechte oder Kontrollen Wasser abzapfen. Die schiere Anzahl der illegalen Brunnen macht es inzwischen unmöglich, zu beurteilen, wie viel Wasser auf diese Weise entnommen wurde. Auf die wenigen und seltenen Versuche der Behörden, sie zu schließen, reagieren die betroffenen Landwirte feindselig.

Wie viele illegale Brunnen gibt es?

Nach vorsichtigen Schätzungen mehr als tausend.

Illegaler Anbau ist eine Bedrohung

Wie wirkt sich der illegale Anbau auf das Schutzgebiet aus?

Die falsche Wasserbewirtschaftung im Gebiet des Doñana ist kurz-, mittel- und langfristig die größte Bedrohung, die den natürlichen Wert des Gebiets gefährdet. Die Gesetzesvorschläge der Regionalregierung sind ein Beispiel für genau das sozioökonomische Modell, das Doñana an den Rand des Abgrunds gebracht hat. Die Zahl der Betriebe, die Grundwasser entnehmen, kann nach dem Willen der Regierung steigen – anstatt zu sinken, wie es dringend geboten wäre.

Welche Vögel sind für das Gebiet besonders charakteristisch?

Um nur drei zu nennen: der Iberienadler, das Kammblässhuhn und die Weißkopfruderente. Alle drei hatten ihre letzten Hochburgen im Doñana, aber das hat sich leider schnell geändert. Das Kammblässhuhn und die Weißkopfruderente sind aufgrund der Wasserprobleme nicht mehr in der Lage, sich auf natürliche Weise im Nationalpark zu vermehren. Das Kammblässhuhn kann nur noch durch ein Zuchtprogramm gerettet werden.

Und wie geht es dem Iberienadler?

Der hat es wenigstens geschafft, der Ausrottung zu entgehen. Aber das liegt bezeichnenderweise daran, dass er im Rest der iberischen Halbinsel wieder zugenommen hat. Ausgerechnet im Doñana-Gebiet, wo er bis vor kurzem seine letzte Hochburg hatte, findet er nicht mehr genug Nahrung. Das ist bitter.

Hochburg für Zugvögel

Wie wichtig ist der Doñana für Zugvögel?

Unser Schutzgebiet ist für das Überleben vieler Zugvogelpopulationen von entscheidender Bedeutung: Doñana ist ein Feuchtgebiet, das günstig an einer der wichtigsten Zugrouten von Vögeln liegt, die zwischen Europa und Afrika wandern. Dort finden die Vögel Zuflucht, Nahrung und gegebenenfalls einen geeigneten Platz zum Brüten. Doñana ist deshalb schon lange ein Paradies für Vogelbeobachter.

Haben die umstrittenen Eingriffe wegen der Bedeutung für den Vogelzug auch überregionale Bedeutung?

Das Verschwinden des Doñana-Feuchtgebiets ist nicht nur ein spanisches Problem, sondern betrifft den ganzen europäischen Kontinent: Die Zahl der nordeuropäischen Graugänse oder Uferschnepfen, die früher zu Hunderttausenden nach Doñana kamen, ist in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen.

"Der Gesetzesvorschlag ist Wahlkampf vom Feinsten"

Welches Ziel verfolgt die Regionalregierung mit ihren Plänen zur Legalisierung bisher illegalen Erdbeeranbaus?

Der Gesetzesvorschlag ist Wahlkampf vom Feinsten. Die verantwortlichen Parteien versuchen, in der Region Doñana Unterstützer dazuzugewinnen, indem sie einen eng begrenzten Kreis von Gesetzesbrechern begünstigen, die sich schon länger über die Regeln für die Wasserentnahme hinwegsetzen.

Diese Leute repräsentieren in keiner Weise den andalusischen Agrarsektor – und ausgerechnet ihnen will die Regionalregierung helfen, obwohl das zuständige spanische Ministerium bereits erklärt hat, dass die Wasserreservoirs übernutzt sind und der Zustand des Gebiets sich entgegen unserer internationalen Verpflichtungen, etwa bei IUCN und der UN-Ramsar-Konvention für den Schutz der Feuchtgebiete, verschlechtert.

Was passiert, wenn der Gesetzesvorschlag in Kraft tritt?

Auf zusätzlich 1.500 Hektar Fläche dürfte zusätzlich legal Wasser entnommen werden.

Feuchtgebiete sind fast vollständig ausgetrocknet

Ist die Lage bei Ihnen wegen des aktuellen Wassermangels, der in Südfrankreich wie in Südspanien herrscht, nicht sowieso schon angespannt?

In diesem Frühjahr sind die Feuchtgebiete von Doñana, die sich über etwa 30.000 Hektar erstrecken, fast vollständig ausgetrocknet. Das wirkt sich ganz schlimm auf die Brutzeit der Vögel aus, viele Bruten sind zum Scheitern verurteilt. Der Reproduktionserfolg der Vögel geht schon seit zehn Jahren zurück. Seit 2019 hat sich der Abwärtstrend noch beschleunigt. Wir sind ein Nationalpark und stecken mitten in einer Biodiversitätskrise!

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Wie will BirdLife Spanien die Regionalregierung aufhalten?

Wir prangern den Kurs der Regionalregierung öffentlich an und haben das andalusische Parlament aufgefordert, ihren Vorstoß abzulehnen. Zudem wollen wir, dass im andalusischen Parlament ein Antrag debattiert wird. Ziel ist es, dass die Regierung in Madrid von ihrer Befugnis Gebrauch macht, das Doñana-Gebiet als einen in seiner Existenz gefährdeten Lebensraum zu deklarieren. Das wäre ein Wendepunkt, denn das würde alle Behörden verpflichten, die Schutzbemühungen zu verstärken.

Breite Unterstützung in der Öffentlichkeit

Wie viel Unterstützung erhalten Sie von der breiten Öffentlichkeit?

Wir haben mit unserer Petition schon mehr als 143.000 Unterschriften für den Schutz des Gebietes gesammelt und wollen sie dem andalusischen Parlament vorlegen. Die Wissenschaft, alle Naturschutzgruppen, die Mehrheit der politischen Fraktionen, die rechtmäßig wirtschaftenden Landwirte des Doñana, Ramsar, IUCN stehen zu uns.

Die Europäische Kommission hat gewarnt, dass es sich um einen Verstoß gegen die Habitat-Richtlinien handeln würde und dass sie Maßnahmen gegen Spanien ergreifen würde. Es ist klar, dass die Gesellschaft als Ganzes den Vorstoß der Regionalregierung ablehnt. Sollte der Vorschlag dennoch angenommen werden, hat die spanische Regierung erfreulicherweise bereits erklärt, dass sie dagegen Berufung einlegen wird.

Deutschland importiert viel Obst und Gemüse aus Spanien. Sollten die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher versuchen, Erdbeeren aus dem Doñana-Gebiet zu boykottieren?

Nein, denn ein Boykott gegen alle Produkte aus dem Doñana-Gebiet würde bedeuten, dass auch alle Landwirte, die sich immer an die Gesetze gehalten haben, für die Sünden einer kleinen Gruppe bezahlen müssten. Das kann keine Lösung sein.

Aber wer behauptet, mit dem Gesetzentwurf die Wirtschaft zu fördern, sollte bedenken, dass die Abnehmer unserer Produkte immer genauer hinsehen, unter welchen Bedingungen sie hier angebaut wurden. Zudem gefährdet es natürlich auch die Attraktivität unserer Region für den Tourismus, wenn die Austrocknung weitergeht. Da droht großer wirtschaftlicher Schaden. Das scheinen die Verantwortlichen noch nicht verstanden zu haben.

Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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