Während sich in jüngster Zeit überall rund um den pazifischen Feuerring Spannungen zwischen den tektonischen Platten in Erdbeben entladen, bleibt die Lage in Kalifornien noch immer ruhig, obwohl Experten dort seit Jahren schon "The Big One" erwarten - ein unvermeidbares und gigantisches Beben. Ist also die Ruhe eine gute Nachricht? Nicht wirklich.

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Häusergerippe ragen in die Luft, Flammen fressen sich durch die Trümmer, Rauch steigt auf: ein Bild der Verwüstung wie in den europäischen Großstädten nach den Bombenangriffen des 2. Weltkriegs – wären da nicht Pferdekutschen und Damen mit Reifröcken auf den Straßen.

Gefährliche Spannungen am Feuerring

Vor genau 110 Jahren bot die Stadt San Francisco dieses Bild. Am 18. April erschütterte eines der folgenschwersten Erdbeben die Region und forderte Tausende Tote. Mit einer Stärke von 7,8 auf der Richter-Skala erreichte es eine ähnliche Magnitude, wie das vor drei Tagen in Ecuador.

Eines haben die beiden Regionen gemeinsam: Sie liegen am so genannten Feuerring, der den pazifischen Ozean auf drei Seiten umschließt. Er verdankt seinen Namen der Tatsache, dass die meisten aktiven Vulkane der Welt hier zu finden sind und die stärksten Beben der Erde entlang dieser geologisch hochaktiven Zone passieren.

"An jedem Ort entlang des Feuerrings gibt es im Abstand von hundert Jahren immer wieder ein Erdbeben von der Stärke, wie wir es in Ecuador und in Japan gesehen haben", sagt Günter Asch vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam.

Damit hören die Gemeinsamkeiten jedoch schon auf. Während das Beben in Ecuador etwa darauf zurückzuführen ist, dass sich dort eine tektonische Platte unter die andere geschoben hat, hatte das Beben in San Francisco eine abweichende Ursache: die wohl berühmteste und am besten untersuchte Verwerfung der Welt, den San-Andreas-Graben.

Dort gleiten zwei tektonische Platten aneinander vorbei, die Pazifische und die Nordamerikanische. Weil Los Angeles auf der Pazifischen Platte liegt und San Francisco auf der Nordamerikanischen Platte, bewegen sich die beiden Städte jedes Jahr rund sechs Zentimeter aufeinander zu.

Forscher warnen vor "The Big One"

Doch diese Annäherung erfolgt nicht in allen Bereichen der San-Andreas-Verwerfung gleichmäßig. In einigen Gebieten verhaken sich die tektonischen Platten ineinander und verschieben sich dann plötzlich mit einem starken Erdbeben ruckartig um mehrere Meter.

So geschehen in San Francisco im Jahr 1906: Ganze sechs Meter bewegte sich die Platte schlagartig, seismische Wellen erschütterten die Stadt, gut zu sehen in dieser Animation der US-Erdbebenwarte USGS.

Seit Jahren wird nun ein möglicherweise noch verheerenderes Beben für die Region erwartet: "The Big One". Ein Szenario, welches 2015 im Katastrophen-Streifen "San Andreas" verfilmt wurde. Wie sich Hollywood "The Big One" vorstellt, sehen Sie hier im Filmausschnitt.

"Wir wissen, dass das Beben kommen wird. Und es könnte das ganz große werden", meinte bereits Experte Professor John Vidale von der University of Washington in der "Welt".

Ein Team von Wissenschaftlern des GFZ hat in Zusammenarbeit mit der Universität von Südkalifornien in einer Studie die zu erwartenden Erdbeben entlang solcher Verwerfungen untersucht.

Die bei der Verschiebung der Platten entstehenden Erdbeben können Stärken bis zu einer Magnitude 8 erreichen und treten zudem meistens in geringen Tiefen auf. Für "The Big One" erwarten Experten eine Stärke zwischen 8,0 und 8,6 - es wäre eine Naturkatastrophe mit furchtbaren Folgen.

Wissenschaftler John Vale von der University of Washington vermutet sogar, dass die Cascadia-Subduktionszone, die sich von Nordkalifornien bis nach Kanada, erstreckt ein Beben von der apokalyptischen Stärke 9,0 auslösen könnte. Das wäre dann "The Really Big One", meint Vale.

Bis zu 13.000 Todesopfer

Die "Federal Emergency Management Agency" (FEMA), die nationale Katastrophenschutzbehörde der USA, rechnet im schlimmsten Fall mit bis zu 13.000 Toten.

"Wir erklären die größeren Magnituden dieser Beben damit, dass sich während des Bruches eine höhere Spannung entlädt. Es wird mehr Energie in der gleichen Zeit freigesetzt, was zu größeren Magnituden führt", erklärt GFZ-Wissenschaftlerin Patricia Martínez-Garzón, Leitautorin der gemeinsamen Studie von GFZ und der Universität Südkalifornien.

Die Situation in Kalifornien war in letzter Zeit stabil. Das letzte Beben in der Region der San Francisco Bay war 1989 und hatte eine vergleichsweise geringe Stärke. Es war zuletzt also nicht nur ruhig, sondern zu ruhig für viele Erdbebenforscher.

"Als Seismologe werde ich umso nervöser, je mehr Zeit in Kalifornien ohne ein großes Beben vergeht", sagt Thomas Jordan, Direktor des Southern California Earthquake Center. "Weil ich weiß, dass wir irgendwann Erdbeben bekommen werden, in denen sich all diese Energie, die sich an den Plattengrenzen aufgestaut hat, entlädt."

Bis dahin bleibt den Kaliforniern nur, mit ihrem bisherigen Vorsorgeplan weiterzumachen: Die Transportwege, Häuser, Brücken und die Wasserversorgung entlang der San-Andreas-Verwerfung noch besser gegen Erschütterungen abzusichern, Smartphones über Apps nicht nur mit den Frühwarnsystemen zu vernetzen, sondern künftig sogar als Seismografen einzusetzen.

Ideen für eine noch bessere Vorbereitung gibt es einige. Auch wenn keiner genau weiß, wann es Kalifornien erwischen wird, eines ist sicher: "The Big One" kommt.

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