- An der Ostseeküste gelten Sanddorn-Produkte als Kulturgut.
- Doch seit einigen Jahren sterben komplette Plantagen, was Rätsel aufgibt.
- Ein Forschungsprojekt soll nun die Ursachen klären.
Im Onlineshop ist die Sanddorn-Welt noch in Ordnung. Ob Saft, Marmelade, Likör, Tee, Bonbons oder Seife: Die Produkte, die sich aus den kleinen orangefarbenen Beeren herstellen lassen, scheinen grenzenlos.
"Ein echtes Wunder der Natur", heißt es auf der Website von Frank Spaethe. Der 53-jährige Bio-Bauer betreibt südlich von Schwerin in Ludwigslust eine Sanddorn-Plantage. Bisher konnte er davon gut leben. Kaum ein Biergarten, kaum ein Café, das an der Ostsee nicht wenigstens eine Sanddorn-Schorle auf der Karte hat. Auch zum Küstenschutz lassen sich die Gewächse gut einsetzen.
Die Hälfte der Sanddorn-Pflanzen ist tot
Doch so groß die Nachfrage auch ist, so groß ist der Rückgang des Angebots: "Bis vor zwei, drei Jahren hatte ich noch eine Anbaufläche von 120 Hektar", sagt Frank Spaethe. Inzwischen sei fast die Hälfte der Pflanzen tot.
"Manche vertrocknen schon im Austrieb", sagt Spaethe, "bei anderen sterben die Früchte ab." Ist der Klimawandel schuld? Eine unbekannte Krankheit? Sind es Schädlinge? Oder etwas komplett anderes? Spaethe weiß es nicht. Klar ist nur, dass er mit seinem Problem nicht alleine dasteht.
Nicht nur europäische Regionen, auch Russland und China haben mit einem massiven Sanddorn-Sterben zu kämpfen. Betroffen sind Anbaugebiete und Wildbestände gleichermaßen. "Wenn uns der eigene Anbau wegbricht, bleibt nur noch der Import", sagt Spaethe. "Dann fehlt ein Teil unserer Identität."
Die "Zitrone der DDR" wird an der Ostseeküste seit den 1980er-Jahren im großen Stil angebaut. Sanddorn enthält viel Vitamin C, außerdem werden ihm antibakterielle und entzündungshemmende Eigenschaften nachgesagt. Die Ernte findet zwischen Ende August und Mitte September statt.
Sanddorn-Ernte geht rapide zurück
Weil die Beeren sehr fest sitzen, müssen die Erntehelfer die Äste zunächst per Hand abschneiden. Erst nach einem Schockfrosten bei minus 79 Grad lassen sich die Beeren mit einer "Fruchttrennungsmaschine" von den Ästen separieren. Viel Aufwand für eine Pflanze, die Landwirtinnen und Landwirten immer mehr Kummer bereitet.
In Mecklenburg-Vorpommern ist die Lage besonders prekär. Dort mussten wegen des Sanddorn-Sterbens bereits komplette Plantagen schließen. Doch auch im restlichen Land sieht es nicht gut aus: Lag die Erntemenge in der Bundesrepublik im Jahr 2017 noch bei über 1.000 Tonnen, sind sie im vergangenen Jahr auf 740 Tonnen zurückgegangen.
In Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt sich die Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei (LFA) schon seit Längerem mit Sanddorn. Auf einem Versuchsfeld in Gülzow-Prüzen (Landkreis Rostock) haben die Forschenden insgesamt 50 verschiedene Sorten angepflanzt, die unter anderem aus dem alpinen Raum stammen.
"Ursprünglich wollten wir schauen, wie sich die Erträge steigern lassen", erklärt Daniela Kuptz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LFA. "Jetzt geht es vor allem um den Gesundheitszustand."
Bewässerung steigert Ertrag
Bisher schlagen sich die Pflanzen ganz gut. Auf dem Versuchsfeld ragen einige mehr als zwei Meter in die Höhe. An anderer Stelle sind aber ebenfalls abgestorbene Büsche zu sehen. "Wir experimentieren nun mit verschiedenen Einflussfaktoren", sagt Kuptz.
Ob Bewässerung, Düngung oder Hygiene beim Verschneiden: All das könne sich auf das Leben (oder Sterben) der Pflanzen auswirken, je nach Sorte vermutlich unterschiedlich stark. "Eine erste Tendenz können wir schon beobachten", so Kuptz.
"Bei steigender Bewässerung nehmen Wuchs und Ertrag zu." Übertreiben dürfe man es aber auch nicht: "Ein zu Viel an Wasser wirkt sich eher rückläufig auf den Ertrag aus."
Während sich Tendenzen ableiten lassen, was dem Sanddorn guttut und was nicht, bleibt das Grundproblem bestehen: Die Ursache des Absterbens ist weiterhin unklar. In China haben Forschende in einer Studie einen Pilz als mögliche Ursache identifiziert (Plant Disease 12/2021).
Das Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei in Mecklenburg-Vorpommern konnte eine solche Pilz-Infektion im Labor ebenfalls nachweisen. Diese verstopfe die Gefäße des Sanddorns, wodurch er keine Nährstoffe und kein Wasser mehr aufnehmen könne.
Nadine Liesz, Leiterin der Abteilung Pflanzenschutz beim Landesamt, glaubt trotzdem nicht, dass das Sanddorn-Sterben damit geklärt ist. "Wir haben drei Pilze isoliert, die häufig in den Proben vorkommen", so Liesz.
Ist der Klimawandel schuld?
Ob die Büsche wegen der Pilze aber tatsächlich eingehen – oder nur bereits geschwächte Pflanzen – sei immer noch unklar. "Vermutlich gibt es mehrere Ursachen", sagt die Expertin. "Aber noch sind die Ergebnisse nicht eindeutig." Auch der Klimawandel könnte eine Rolle spielen. Ungewöhnlich lange Trockenphasen stressen Pflanzen, wodurch sie womöglich ebenfalls anfälliger für Krankheiten werden. (Menschen geht es da nicht anders.)
Spricht man die Forschenden auf diese Theorie an, geben sie sich allerdings zurückhaltend. Der Klimawandel könnte ein Faktor von vielen sein. Genau wisse man das aber noch nicht.
Derweil wollen sich in Gülzow die Betroffenen des Sanddorn-Sterbens von dem Forschungsprojekt ein Bild machen. Bei einem Besuchstag Ende Mai treffen Wissenschaftlerinnen und Landwirte auf dem Versuchsfeld aufeinander.
Doch auch hier gehen die Meinungen auseinander, was hilft und was nicht. "Ich bin kein großer Freund von ständiger Bewässerung", meint Frank Spaethe, der Sanddorn-Produzent aus Ludwigslust. "Wenn wir das Tag und Nacht machen, ist irgendwann das Grundwasser weg."
Verschnitten und eingegangen
Hans-Otto Facklam, ein Landwirt im Ruhestand, der einige Sanddorn-Gewächse als Hobby bewirtschaftet, plädiert für eine andere Schnitt-Technik: "Ein Stamm soll dominieren", sagt Facklam, "dann haben wir keine Probleme und das Sanddorn-Sterben ist geklärt."
LFA-Mitarbeiterin Daniela Kuptz widerspricht: "Das ist eine Theorie", sagt sie. Frank Spaethe aus Ludwigslust glaubt ebenfalls nicht, dass die Lösung allein im Verschneiden liegt: "Herr Facklam hat es auf meiner Plantage selbst probiert, und die Büsche sind trotzdem eingegangen." Das wiederum will Facklam nicht stehen lassen: Die betroffenen Gewächse seien einfach nicht mehr zu retten gewesen.
Der Frust sitzt tief bei den Betroffenen, und sie sehnen sich nach Lösungen. Doch so schnell werden die nicht kommen. Zwar ist man bei der Landesforschungsanstalt optimistisch, robustere Sorten und valide Pflegetipps zu finden. Bis aber die eigentliche Ursache des Sanddorn-Sterbens geklärt ist, wird noch einige Zeit vergehen – darin sind sich alle einig.
Walnüsse statt Sanddorn
Falls sich eine resistente Sorte oder eine neue Züchtung herauskristallisiert, wartet schon die nächste Herausforderung: Wie sollen die Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt werden? "Wenn ich komplett neu anbauen müsste, kämen schnell mehrere Hunderttausend Euro zusammen", sagt Landwirt Frank Spaethe. "Wer soll das bezahlen?"
In seinem Betrieb will er deshalb umsatteln: Abgestorbene Sanddorn-Büsche ersetzt er nach und nach durch Walnussbäume. "Ich suche Kulturen, die zum veränderten Klima passen", sagt der 53-Jährige. "Hoffentlich ist Walnuss eine gute Alternative."
© RiffReporter
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