Ein Igel flitzt in der Dämmerung durch den Hinterhof? Im Busch neben dem Parkplatz tschilpt eine Horde Spatzen und unter dem Dachvorsprung fliegen Mauersegler ein und aus? Für die meisten Menschen sind wildlebende Tiere in der Stadt eine liebenswerte Überraschung. Dabei sind sie ganz alltägliche Mitbewohner - und können uns allen helfen, wenn sie von Anfang in die Stadtplanung mit einbezogen werden.

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Immer dichter werdende Bebauung drängt viele Tierarten zurück. Die energetische Sanierung von Gebäuden macht es gebäudebrütenden Vogelarten oder Fledermäusen schwer, genug Nistmöglichkeiten und Nahrung zu finden. In Hamburg steht der Spatz seit 2018 auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten und auch in München ist er nur noch selten zu hören.

In der Regel wird die Besiedelung von Städten durch Tiere dem Zufall überlassen. Dabei sind die tierischen Nachbarn kein Nice to have, sondern ein wichtiger Baustein für genug Biodiversität und Lebensqualität.

Dass es auch anders geht, beweist die Methode des sogenannten Animal-Aided Designs (AAD). Kernidee des AAD ist, das Vorkommen wildlebender Tieren von Anfang an beim Planen von Häusern und Gebäuden mit einzubeziehen. "Bei der zukünftigen Stadtplanung kann AAD helfen, dringend benötigten Wohnraum zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig die Anpassung der Städte an den Klimawandel und seine Folgen zu erleichtern", erklärt der Landschaftsarchitekt Thomas Hauck.

Das Design zum Schutz der Tiere plant die Bedürfnisse von Tieren schon im Voraus mit ein, im Unterschied zum sonst üblichen Nachrüsten mit kurzlebigen Blumenansaaten oder nachträglich angebrachten Nistkästen. Damit sich Tierarten in überlebensfähigen Populationen ansiedeln können, muss genauer hingeschaut werden.

Für jede Lebensphase brauchen die Tiere den jeweiligen Bedürfnissen entsprechende Angebote: Schutz in der Balz- und Brutzeit, reichhaltige Futterquellen, die gut zu erreichen sind, und Einrichtungen zur Gesunderhaltung und Körperpflege, zum Beispiel ein trockenes Staubbad oder Zitronenmelisse für die Federpflege.

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Animal-Aided Design im Praxistest

Wie sich die tierfreundliche Methode in der Baupraxis umsetzen lässt, wurde in München in der Brantstraße in einem ersten Forschungsprojekt untersucht. Die vor dem Bau der vier neuen Wohnblocks auf dem Grundstück lebenden Tiere sollten später wieder den passenden Lebensraum vorfinden.

Dafür wurden vorab von den Wissenschaftlern vier Tierarten ausgewählt: Fledermaus, Igel, Spatz und Grünspecht waren schon auf dem Grundstück heimisch und sind bei den meisten Menschen beliebt. Das hilft später bei der notwendigen Rücksichtnahme. Haben sich die ausgewählten Zielarten gut eingelebt, ziehen auch andere Tiere nach.

In die Fassaden planten die Architektinnen und Architekten fertige Nistbausteine und Fledermauskästen ein. Nach dem Verputzen der Wände sind davon nur noch unscheinbare Löcher und Schlitze zu erkennen. Damit der Fledermauskot beim Ein- und Ausfliegen nicht auf den darunterliegenden Balkons landet, muss schon bei der Planung der Grundrisse mitberücksichtigt werden, wo die Fledermäuse später unterwegs sind. Und für den in der Brantstraße ansässigen Grünspecht wurde eigens eine "Spechtlampe" entwickelt: zwei Weichholzblöcke zum Selber-Zimmern, die an eine Mastleuchte erinnern.

Ohne Akzeptanz geht es nicht

Den Freianlagen zwischen den Häusern kommt im AAD eine besondere Rolle zu, erklärt Thomas Hauck: "Freiräume mit der darin wachsenden Vegetation sind ganz zentrale Grundlagen für Nahrung, da hängt die ganze Kette dran. Ohne Fressen ist alles nichts und die Nistkästen bleiben leer."

Am liebsten ernähren sich Wildtiere von ungeplant sprießenden Pflanzen, deren Samen aus der Natur eingeflogen sind und die nicht zu den üblicherweise gepflanzten Blumen und Zierpflanzen gehören. Brennnessel und Gänsefuß zum Beispiel sind sehr beliebt, werden aber vom Mensch eher als Unkraut verstanden und machen für viele den Eindruck von Verwahrlosung. Um wilden Tieren in der Stadt den passenden Lebensraum zu bieten, wird ein Umdenken nötig sein.

Für die Landschaftsarchitekten und -architektinnen, die die Grünanlage geplant haben, war es eine ganz neue Erfahrung, wildlebende Tiere in den Entwurf mit einzubeziehen. Wildnis wagen heißt, sich auch mit unfertigen Sachen zufriedenzugeben. Dazu gehört, dass die Natur als Designerin andere Vorstellungen hat.

Ohne die Akzeptanz der Anwohnenden für ihr tierisches Wohnumfeld geht es nicht. Es braucht Verständnis und Wissen, warum manche Ecken verwildert aussehen und manchmal, zum Beispiel zur Brutzeit, nicht durchstöbert werden dürfen. Die Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG hat dafür eine App mit vielen Infos rund um das Tier-Design und die tierischen Nachbarn herausgegeben. Gerade Kinder sind sehr offen für die neuen Ideen und ideale Multiplikatoren in die Familien hinein. Für sie werden die wildwachsenden Pflanzenbeete, in denen es Tiere zu beobachten gibt, idealerweise das neue Normal.

Zur Person: Der Wiener Landschaftsarchitekt Prof. Dr. Thomas E. Hauck hat gemeinsam mit dem Biologen Prof. Dr. Wolfgang W. Weisser aus München das Studio Animal-Aided Design gegründet. Die neue Methode soll das Überleben der Tiere in den Städten sichern. "Tiere sind wichtig für die Biodiversität und unsere Lebensqualität."

Verwendete Quellen:

  • Persönliches Gespräch mit Dr. Thomas E. Hauck am 11.05.2023
  • Broschüre Anwendung-von-AAD-im-Wohnungsbau, Hauck, T. E. und Weisser, W. W. (2023)
  • Abschlusskonferenz Animal-Aided Design in München am 01.02.2023
  • GEWOFAG: Artenschutz in der Großstadt
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