Ein schauriges Monster, das ein Wissenschaftler aus Leichenteilen zusammengebastelt hat, rächt sich furchtbar an ihm: Das ist die Geschichte von Frankensteins Monster. Doch hat die Kreatur wirklich gelebt – womöglich in einer Burg in Hessen?
Hohe Stirn, großer Kopf, Bolzen im Hals, riesiger Körper und hängende Lider: Dieses Bild des künstlichen Menschen haben die meisten Menschen wohl sofort vor Augen, wenn sie an "Frankenstein" denken. Es stammt aus einer Verfilmung von 1831, als Boris Karloff die Kreatur verkörperte.
Der künstliche Mensch ist furchterregend anzusehen mit seinen gewaltigen 2,44 Metern und seinen nicht zusammenpassenden Körperteilen, die von mehreren Leichen stammen.
Das ist die Geschichte eines der bekanntesten Gruselromane aller Zeiten: "Frankenstein oder der moderne Prometheus".
Der Name "Frankenstein" steht für ein Monster mit tragischem Schicksal – dabei ist das Geschöpf eigentlich namenlos. In der literarischen Vorlage von Mary Shelley wird es nur "Kreatur" oder "Dämon" genannt. Der Titel des Buchs bezieht sich auf den Schöpfer des Wesens. Um seine Entstehung ranken sich viele Legenden.
"Frankenstein" und ein Schreibwettbewerb
Kurios: Der Roman ist tatsächlich das Ergebnis eines Wettkampfs. Mary Shelley und ihr Ehemann Percy besuchten 1816 ihren Freund Lord Byron in Genf. Doch der Sommer war verregnet, und Lord Byron kam auf eine skurrile Idee.
Die drei britischen Freunde, allesamt Dichter, könnten sich die Zeit mit einem Gruselgeschichten-Wettbewerb vertreiben. Mary Shelley, damals gerade 18 Jahre alt, erschuf den später weltberühmten Frankenstein. Zwei Jahre danach wurde der Roman zunächst anonym veröffentlicht.
Die Kreatur war ein Vegetarier
So furchterregend es aussieht: Im Buch ist das Wesen zu Beginn naiv und arglos. Es fühlt und denkt wie ein echter Mensch. Auch wenn es außerordentliche Kräfte besitzt, ist sein Wesen eher sanft. Tiere würde es nie essen, denn es sagt: "Meine Nahrung ist anders als die der Menschen; ich töte weder Lamm noch Zicklein, um meinen Hunger zu stillen. Eicheln und Beeren genügen mir."
Doch die Kreatur bleibt nicht so harmlos, sie wandelt sich zum Monster – und rächt sich furchtbar an ihrem Schöpfer Dr. Victor Frankenstein.
Der junge Schweizer Wissenschaftler hatte das Monster zuvor heimlich aus Leichenteilen zusammengebaut. Dann erweckte er es in seinem Labor in Ingolstadt zum Leben. Doch sein eigenes Werk erschreckt Dr. Frankenstein so sehr, dass er den künstlichen Menschen einfach im Stich ließ.
Der künstliche Mensch flieht und sucht Zuflucht bei anderen Menschen. Aber immer wieder wird er zurückgestoßen und enttäuscht.
Der Wandel zum Monster
Aus Verzweiflung kehrt er zu seinem Schöpfer zurück und fordert ihn auf, ihm eine Frau zu erschaffen. Dr. Frankenstein hat Mitleid und beginnt, aus weiteren Leichenteilen eine weibliche Kreatur zu erschaffen. Er fürchtet aber, dass die beiden Geschöpfe Kinder zeugen könnten, und vernichtet deshalb die fast vollendete Frau.
Erst nach diesem Verrat entwickelt sich das einsame und verwirrte Wesen zu einem Monster und tötet die frisch angetraute Ehefrau des Wissenschaftlers in der Hochzeitsnacht. Danach jagt er alle Menschen, die seinem Schöpfer nahe stehen. Am Ende hetzen sich Schöpfer und Kreatur gegenseitig – bis in die eisigen Weiten der Antarktis.
Experimente an toten Tieren und Menschen
Die gruselige Geschichte über einen aus Leichenteilen gebauten Menschen entstand vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Mary Shelley war offensichtlich beeinflusst von zahlreichen Berichten über Versuche mit der damals neu entdeckten Elektrizität.
Im Jahr 1800 war die elektrische Batterie erfunden worden, und viele Wissenschaftler experimentieren mit Spannungen, oft an toten Körpern.
Der Italiener Giovanni Aldini hatte um 1803 dem Leichnam eines hingerichteten Mörders Stromstöße versetzt. Dadurch bewegten sich die Muskeln und Gliedmaßen so heftig, dass die Zuschauer entsetzt waren – und einer davon angeblich sogar vor lauter Schreck tot umfiel.
Auch Mary Shelleys Ehemann Percy dürfte einige Geschichten beigesteuert haben: Er war als Jugendlicher oft zu Gast beim schottischen Mediziner James Lind gewesen. Dieser war bekannt für seine Forschungen mit Elektrizität und toten Fröschen.
Die Burg Frankenstein bei Darmstadt
Aber woher kam der Name Frankenstein? Ist es nur ein seltsamer Zufall, dass eine Burg und ein Adelsgeschlecht in Hessen ebenfalls Frankenstein heißen? Die Shelleys machten während ihrer Europareise schließlich nicht nur in Genf halt.
Manche Historiker vermuten, dass sie dabei auch Schloss Frankenstein in der Nähe von Darmstadt besuchten. Angeblich soll ein verschollenes Tagebuch Mary Shelleys von diesem Aufenthalt berichten. Warum aber ist dann in dem Roman nie von einer Burg die Rede?
Um das Gemäuer rankt sich eine Sage, die circa 1531 spielt: Ritter Georg von Frankenstein hatte demnach einen Lindwurm besiegt. Das Untier terrorisierte nicht nur ein nahegelegenes Dorf, sondern fraß auch das Fleisch junger Mädchen. Ritter Georg tötete den Lindwurm nach einem langen Kampf, wurde dabei aber von diesem vergiftet, so dass er ebenfalls starb.
Ein Alchemist, der mit Leichen experimentiert?
Auf der Burg wurde 1673 außerdem der Alchemist Konrad Dippel geboren. Für seine vielen Experimente soll er Leichen ausgegraben haben, genau wie Victor Frankenstein. War Dippel also das Vorbild für die Frankenstein-Geschichte? Die Experten sind sich nicht einig. Während einige wenige sicher sind, dass Dippel der wahre Dr. Frankenstein war, gehen die meisten Historiker davon aus, dass es sich um einen Mythos handelt.
Mehrere Schriften, die in der Burg entdeckt wurden, berichten nur von Versuchen Dippels, Gold herzustellen, sowie von einem Lebenselixier, das er erfinden wollte. Damit wollte er Menschen vor dem Tod bewahren. Von Versuchen mit Leichen ist aber nie die Rede.
Doch es gibt noch weitere angebliche Verbindungen zwischen Mary Shelley, der Burg Frankenstein und den Romanfiguren. Tatsache ist, dass Mary Shelleys Schwiegermutter Mary Jane Clairmont die Märchen der Gebrüder Grimm ins Englische übersetzte.
Jacob Grimm erwähnte in einem Brief an Clairmont einen Zauberer, der auf Burg Frankenstein lebte und aus Leichenteilen künstliche Menschen erschuf. Meinte er Dippel?
Brief und Tagebuch sind wohl nur Erfindungen
Diese mögliche Verbindung elektrisierte Experten – bis sich herausstellte, dass der Brief von Jacob Grimm gar nicht existiert. Weitere Recherchen ergaben, dass die Shelleys zwar in der Nähe der Burg im hessischen Gernsheim verweilten, diese aber nie besuchten. Es gibt keinen Beweis, dass sie von seiner Geschichte erfuhren. Das angebliche Tagebuch Mary Shelleys ist bis heute ebenfalls nicht aufgetaucht.
Ins Reich der Phantasie gehört auch eine weitere merkwürdige Theorie rund um die Burg: Nicht nur sei Frankenstein dort entstanden, sondern der deutsche Raketenforscher Werner von Braun habe in den Gemäuern geforscht.
Dass tatsächlich einmal ein Monster gelebt hat, das aus Leichenteilen zusammengenäht wurde, gilt für Wissenschaftler als völlig ausgeschlossen. Mary Shelley hat nicht nur eine tragische, gruselige Figur geschaffen. Ihr Roman "Frankenstein" wird heute vielfach als erster Science-Fiction-Roman der Welt betrachtet.
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