- Forscherinnen und Forschern zufolge hat sich das Nordpolarmeer bereits früher erwärmt, als sie bislang angenommen hatten.
- Das fanden sie mithilfe von bestimmten Einzellern heraus, die anzeigen, wie warm, salzhaltig und nährstoffreich das Wasser war, in dem sie lebten.
Die Erwärmung des Arktischen Ozeans hat nach Forscherangaben früher begonnen als bisher angenommen. Mittels Bohrkernanalysen rekonstruierte ein internationales Team die Meerestemperatur an der Westküste der Inselgruppe Spitzbergen in den vergangenen 800 Jahren. Die Wissenschaftler fanden, dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehr warmes und salzigeres Wasser aus dem Atlantik ins Nordpolarmeer floss.
Die Studie des Teams um Tommaso Tesi vom Istituto di Scienze Polari in Bologna (Italien) und Francesco Muschitiello von der University of Cambridge (Großbritannien) ist im Fachmagazin "Science Advances" erschienen. Ihre Veröffentlichung sehen die Forscher als Vorschlag zur Verbesserung von Klimaprognosen an, keinesfalls aber als Zweifel an den Klimamodellen generell.
Temperatur im Nordpolarmeer steigt seit mindestens 40 Jahren
"Die Erwärmungsrate in der Arktis ist aufgrund von Rückkopplungsmechanismen mehr als doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt", wird Muschitiello in einer Mitteilung seiner Universität zitiert. Eine dieser Rückkopplungen ist der Unterschied zwischen Eis und offenem Wasser: Während das helle Eis den größten Teil der eintreffenden Sonnenstrahlen reflektiert (hohe Albedo), nimmt das dunklere Wasser mehr Sonnenenergie auf und erwärmt sich schneller.
Je stärker das Eis schmilzt, desto mehr dunkle Meeresfläche wird frei. Seit etwa 1900 ist der Arktische Ozean etwa zwei Grad Celsius wärmer geworden.
Seit etwa 40 Jahren registrieren moderne Messinstrumente bis hin zu Satellitenmessungen ein Ansteigen der Temperatur im Nordpolarmeer. Doch Tesi, Muschitiello und Kollegen wollten wissen, wann diese Entwicklung begonnen hat.
Sie konzentrierten sich dabei auf den östlichen Teil der Framstraße, das Meeresgebiet zwischen Spitzbergen und Grönland. Dort führt einer der nördlichsten Ausläufer des Golfstroms entlang, der Westspitzbergenstrom. Er gilt als die Hauptquelle für Salz und Wärme im Arktischen Ozean.
Forscherteam rekonstruiert Entwicklung von Wassereigenschaften
Die Wissenschaftler nutzten einen Bohrkern aus dem Kongsfjord auf Spitzbergen, den sie auf verschiedene chemisch-physikalische Marker hin untersuchten. Vor allem analysierten sie die Menge an mikroskopisch kleinen Lebewesen, hauptsächlich Foraminiferen.
Durch ihre Vorlieben für bestimmte Umgebungsbedingungen zeigen diese Einzeller an, wie warm, salzhaltig und nährstoffreich das Wasser war, in dem sie lebten. Auf diese Weise haben die Forscher, die Entwicklung dieser Wassereigenschaften rekonstruiert.
Über die meiste Zeit der 800 Jahre waren die Werte ziemlich konstant. "Aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekommt man plötzlich diese deutliche Veränderung von Temperatur und Salzgehalt – das sticht wirklich heraus", sagt Tesi. Er und seine Kollegen sehen eine Verbindung zum Ende der "Kleinen Eiszeit" am Ende des 19. Jahrhunderts.
Die um die Wende zum 20. Jahrhundert ansteigenden Temperaturen hätten auch Auswirkungen auf die Meeresströmungen gehabt. So sei der subpolare Wirbel südlich von Grönland schwächer geworden, so dass wärmeres und salzigeres Atlantikwasser bis in den Arktischen Ozean gelangte. Als Wendepunkt ergibt sich aus den verschiedenen Messreihen das Jahr 1907.
Puzzlestück in Klimamodellierung fehlt
Diesen Wendepunkt versuchten die Forscher, auch durch Simulationen in den neuesten weltweiten Klimamodellen zu finden, doch es gelang ihnen nicht. Dies bedeute, dass das Verständnis der Mechanismen, die die Erwärmung des Arktischen Ozeans durch Atlantikwasser antreiben, in der Klimamodellierung unvollständig sei, betont Tommaso.
Er ergänzt: "Wir verlassen uns auf diese Simulationen, um den zukünftigen Klimawandel zu prognostizieren, aber das Fehlen jeglicher Anzeichen einer frühen Erwärmung im Arktischen Ozean ist ein fehlendes Puzzlestück." (ff/dpa)
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