Seit 150 Millionen Jahren ziehen Meeresschildkröten ihre Bahnen durch die Ozeane – doch damit könnte es bald vorbei sein, wie Hannes Jaenicke im neuesten Teil seiner ZDF-Doku-Reihe "Im Einsatz für Meeresschildkröten" zeigt.
Der Schauspieler engagiert sich seit 2008 mit der TV-Reihe für bedrohte Tierarten. Nach Orang-Utans, Delfinen und Eisbären zeigt er nun die dramatische Lage der schwimmenden Reptilien.
Meeresschildkröten sind die ältesten Reptilien im Ozean. Die robusten Tiere haben die Dinosaurier und die Eiszeit überlebt und sie verfügen über faszinierende Fähigkeiten, wie man gleich zu Beginn der neuen Jaenicke-Dokumentation lernt. Sie können 1.000 Meter tief tauchen, für sechs Stunden die Luft anhalten und ihren Stoffwechsel so stark verlangsamen, dass ihr Herz nur noch alle neun Minuten schlägt.
Besonders große Gefahr geht vom Plastikmüll aus
Doch all das nutzt den Meeresschildkröten nichts angesichts der vielen Bedrohungen, die heute auf sie lauern: Sieben verschiedene Arten gibt es auf der Welt – sie alle sind vom Aussterben bedroht. Wie konnte es so weit kommen?
Um das herauszufinden, reist
Die Tiere geraten in Schiffsschrauben oder landen als Beifang auf Fischkuttern. Häufig würden sie von Fischern erschlagen, denn noch immer sähen viele in ihnen Konkurrenten um die immer dünner werdenden Fischbestände, wie die Wildtierbiologin Eirini Kasimati der griechischen Gesellschaft zum Schutz von Meeresschildkröten Archelon Jaenicke erklärt. Wilderer jagen die Tiere wegen ihrer begehrten Panzer oder, um aus ihrem Fett Öl zu kochen, das von allerlei Krankheiten heilen soll. Besonders groß ist jedoch die Gefahr, die von Plastikmüll in den Ozeanen ausgeht.
Meeresschildkröten verenden im Plastikmüll
150 Millionen Tonnen Plastik treiben in den Ozeanen und jeden Tag kommen laut Jaenicke zwei Lkw-Ladungen hinzu. Allein im Atlantik treibt ein Müllstrudel, dessen Fläche etwa fünfmal so groß wie Deutschland ist. Doch das ist sprichwörtlich nur die Spitze des Eisbergs, denn 70 Prozent des Plastikmülls im Meer befinden sich unter der Wasseroberfläche, zersetzt in kleinste Partikel.
Über die Nahrung findet dieses Mikroplastik den Weg zurück zum Menschen. Fünf Milligramm nimmt der Mensch durchschnittlich pro Woche über die Nahrung auf, das entspricht der Plastikmenge einer Kreditkarte. Welche Schäden dadurch in unserem Körper entstehen, ist noch längst nicht vollständig geklärt.
Welchen Schaden Plastik bei Meeresschildkröten anrichtet, ist dagegen offensichtlich: Sie verenden in abgerissenen "Geisternetzen" von Fischkuttern, die millionenfach durchs Meer treiben, oder an verschluckten Plastikteilen. Besonders eindrücklich zeigt sich das in einer Videoaufnahme, die in der Doku gezeigt wird. Darin ziehen Meeresbiologen einen circa 15 Zentimeter langen Plastikstrohhalm aus der Nase einer Meeresschildkröte.
Zum Glück sind Plastikstrohhalme in der EU mittlerweile verboten. Helfen wird es den Meeresschildkröten und anderen Meeresbewohnern jedoch kaum: Laut Prognosen wird sich die weltweite Kunststoffproduktion bis 2060 verdoppeln – und vieles davon wird früher oder später im Meer landen.
Krebs nimmt bei Meeresschildkröten zu
Die Verschmutzung der Meere könnte für Schildkröten noch einen weiteren, dramatischen Effekt haben: Immer mehr Meeresschildkröten erkranken an Krebs, der sogenannten Fibropapillomatose. Jaenicke besucht ein Forschungszentrum in Florida, das sich mit diesem Phänomen beschäftigt. Verursacht werden die blumenkohlartigen Wucherungen von Herpes- und Papillomaviren. Bekannt ist das schon lange, doch seit den 1990er-Jahren nehmen die Krebsfälle bei Meeresschildkröten zu.
Was genau hinter der Zunahme steckt, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Wissenschaftler vermuten jedoch, dass schlechte Umweltbedingungen die Tiere schwächen und so Tumorerkrankungen leichter auftreten können. In Regionen nahe der Küste, insbesondere in der Nähe von Landwirtschaft, sei die Zunahme zu beobachten.
Klimawandel beeinflusst das Geschlecht der Meeresschildkröten
Auch die menschengemachte Klimakrise trägt zum Aussterben der Meeresschildkröten bei. Das Geschlecht der Schildkröten wird nämlich entscheidend von der Umgebungstemperatur der Eier beeinflusst: Bei über 30 Grad entwickeln sich die Embryos zu Weibchen. Liegen die Temperaturen darunter, schlüpfen Männchen. Doch weil die Temperaturen durch den Klimawandel generell ansteigen, gibt es immer mehr weibliche Meeresschildkröten, was langfristig zum Aussterben der Tiere führen wird.
Gibt es denn überhaupt noch Hoffnung für die Meeresschildkröten? Die deutsche Meeresbiologin Christine Figgener zeigt sich auf die Frage optimistisch. "Meeresschildkröten gibt es seit Millionen von Jahren, sie sind unglaublich widerstandsfähig", erklärt die Wissenschaftlerin im Gespräch mit Jaenicke. "Mit ein bisschen Hilfe müssen wir es doch eigentlich hinkriegen, dass wir noch in Zukunft Meeresschildkröten haben."
Und natürlich gibt es positive Beispiele, die zeigen, wie sich Menschen für den Schutz der Meeresschildkröten einsetzen, wie etwa die griechische Organisation Archelon, die verletzte Tiere aufpäppelt und wieder auswildert. In Kenia besucht Hannes Jaenicke ein Projekt, in dem die kleinmaschigen und unsichtbaren Nylonnetze örtlicher Fischer durch großmaschige Baumwollnetze ausgetauscht werden. Dadurch konnte der Beifang von Schildkröten in der Region um über 50 Prozent reduziert werden.
Höchste Zeit, dass wir uns retten – und mit uns die Meeresschildkröten
Die Küsten werden aufgeforstet, Fangverbotszonen und Schonzeiten eingerichtet. Auch im kenianischen Küstenort Batam hat man erkannt, dass man die Meeresschildkröten schützen muss – nicht zuletzt, weil sie Touristen anlocken. Wo tagsüber Urlauber das Meer genießen, werden die Strände nachts leer geräumt, damit die Schildkröten in Ruhe ihre Eier ablegen können. Sonnenschirme und Liegen dürfen nur von qualifiziertem Personal aufgestellt werden, damit keines der Gelege zerstört wird.
Doch so positiv diese kleinen Maßnahmen sind: Sie werden nicht ausreichen, um das Überleben der Meeresschildkröten zu sichern. "Alles, was wir den Tieren antun, tun wir uns letztlich selbst an", sagt Jaenicke am Ende der Dokumentation. Mikroplastik, Umweltverschmutzung und Klimawandel bedrohen schon heute unsere Gesundheit und Existenz. Höchste Zeit, dass wir uns retten – und mit uns die Meeresschildkröten.
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