Eine mysteriöse Mordserie hält die Einwohner Hamburgs 1947 in Atem. Innerhalb von vier Wochen findet die Polizei vier nackte Leichen in den Ruinen der Stadt. Alle Opfer sind auf die gleiche grausame Art getötet worden, doch niemand vermisst sie. Und es gibt keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Die Polizei jagt den Trümmermörder– und tauft ihn "Bestie in Menschengestalt".
Tausende Bomben haben Hamburg im Krieg in Schutt und Asche gelegt. Zwei Jahre nach Kriegsende fordert zudem ein eiskalter Winter die Einwohner der Stadt heraus: Über vier Monate zeigen die Thermometer bis minus 20 Grad an.
Aber nicht nur der Neuaufbau und die eisigen Temperaturen quälen die Hamburger im Januar und Februar 1947: Ein Serienmörder versetzt die Bürger in Angst und Schrecken.
Der Trümmermörder ist das Gesprächsthema Nummer eins. Die Bürger sollen zur Sicherheit nur noch gut sichtbar in der Straßenmitte laufen, sie sollen nicht mit Fremden reden, sich schon gar nicht im Auto mitnehmen lassen und keine unbekannten Schlafquartiere aufsuchen.
60.000 Plakate hängt die Polizei in der Stadt und im angrenzenden Land auf. Wer nützliche Hinweise liefert, um den Täter zu fassen, soll eine Belohnung von 5.000 Reichsmark und 1.000 Zigaretten erhalten - später sind es sogar 10.000 Reichsmark. Doch was war geschehen?
Zwei Leichen in sechs Tagen
Am 21. Januar 1947 spielen Kinder in den Trümmern eines Industriegeländes. Plötzlich trauen sie ihren Augen nicht: Sie finden eine tote, nackte Frau.
Die Polizei beschreibt die Leiche so: junges Mädchen im Alter zwischen 18 und 22 Jahren, schlank, mittelblond mit halblangem Haar, blaue Augen, mit vollständigen Zähnen - eine gepflegte Frau. Sie ist erdrosselt worden.
Nur sechs Tage später muss die Mordkommission erneut zum Schauplatz eines Verbrechens eilen. Am 27. Januar entdecken Fußgänger eine weitere nackte Leiche.
Diesmal ist es ein Mann, zwischen 65 und 70 Jahren, mit grauem Haar, einem langen Schnurrbart, blauen Augen und leicht gebogener Nase. Seine Hände sind gepflegt, aber er hat keine Zähne. Auch er ist stranguliert worden.
Ein Oberkommissar ermittelt gründlich
Die Suche nach dem Täter läuft auf Hochtouren. Beide Opfer werden ausgeraubt und ohne Ausweis gefunden. Wer sind die Toten?
Überall werden Fotos und Beschreibungen ausgehängt, die Polizei nennt den Killer "Bestie in Menschengestalt". Doch niemand in ganz Hamburg scheint die junge Frau und den alten Mann zu vermissen. Wer sie sind, weiß keiner.
Das macht den Fall ungeheuer schwer für den ermittelnden Oberkommissar Ingwersen. Wo soll er anfangen zu suchen? Als erstes befiehlt er seinen Kriminalbeamten, alle Schwarzhändler, Tauschläden und Geschäfte auf verdächtige Ware zu durchsuchen.
In Ausgabestellen für Lebensmittelkarten fragen die Beamten nach Personen, die ihre Karte in den letzten Tagen nicht abgeholt haben. Zahnärzte werden nach Patienten mit Prothese befragt. Auch Bahnhöfe lässt der Oberkommissar beschatten. Das Ergebnis: nichts.
Zwei weitere Morde in weniger als zwei Wochen
Dann, am 3. Februar, gibt es eine neue Spur in der Trümmerstadt: eine weitere Leiche. Die Menschen in Hamburg sind fassungslos. Hat der bestialische Mörder ein drittes Mal zugeschlagen?
In einem Fahrstuhlschacht einer zerstörten Matratzenfabrik findet ein Schiffswächter den nackten Leichnam eines Mädchens. Sechs bis acht Jahre jung ist es, mittelblond und etwa ein Meter groß. Auch sie ist erwürgt worden. Und wieder vermisst niemand die Tote.
Nach nur einer Woche geschieht am 13. Februar das Unfassbare: Ein Schrottsammler sucht in den Trümmern nach Teilen für Öfen und findet stattdessen eine nackte Leiche. Wieder ist eine Frau erstickt worden.
Die Polizei schätzt sie auf 35 bis 40 Jahre. Sie ist 1,55 Meter groß, hat mittelblondes, halblanges Haar. Ihre Zähne fallen auf: Im Oberkiefer hat sie eine Zahnprothese, im Unterkiefer trägt sie hinten zwei Goldkronen. Von ihrer Kleidung und ihren Wertsachen gibt es keine Spur.
Spekulationen um eine Bestie in Menschengestalt
Innerhalb von vier Wochen sind in den Trümmern von Hamburg vier Opfer auf eine ähnliche grausame Art und Weise ermordet worden: Sie wurden entkleidet, gefesselt, erwürgt, ausgeraubt und vom Tatort an den späteren Fundort gebracht.
Aber zwischen den Opfern gibt es keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten. Welches Motiv hatte der Mörder?
Die Polizei spekuliert, dass es sich bei den Opfern allesamt um wohlhabende Leute auf der Durchreise handelte. Möglicherweise waren sie sogar miteinander verwandt. Schließlich wurde keiner von ihnen als vermisst gemeldet.
Der ermordete Mann könne der Vater der beiden Frauen und der Urgroßvater des Mädchens gewesen sein. Weil es damals noch keine DNA-Analyse gibt, bleibt es bei reiner Spekulation.
Polizei und Bürger sind ratlos - und alle haben Angst. Doch der Killer schlägt nicht noch einmal zu, der Fall wird eingestellt. Die Opfer bleiben ebenso namenlos wie der Täter.
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