Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat begonnen. Noch handelt es sich um Kanonenschüsse ohne größere erwartbare Folgen. Wirtschaftsexperte Stefan Baron warnt jedoch vor einer Eskalation – und erklärt, worum es bei der Auseinandersetzung geht.

Ein Interview
von Fabienne Rzitki

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Herr Baron, die USA haben einen Handelskrieg mit China begonnen. Was steckt dahinter?

Stefan Baron: Die USA wollen die Hegemonialstellung verteidigen, die sie in der Weltwirtschaft und Weltpolitik seit Jahrzehnten innehaben und die sie durch Chinas Aufstieg zunehmend bedroht sehen.

Der Handelskrieg soll dazu dienen, China wirtschaftlich, technologisch, militärisch und politisch zu schwächen und einzuschränken.

Das Ganze ist Teil einer großen geostrategischen Auseinandersetzung. Der Abbau des amerikanischen Handelsbilanzdefizits ist nur vorgeschoben. Wer volkswirtschaftlich betrachtet so wenig spart und investiert und so viel konsumiert wie die USA, muss ein Handelsbilanzdefizit haben.

Wieso bereitet der Fortschritt Chinas den USA Sorgen?

Wenn man die heutigen Wachstumsraten fortschreibt, wird China die USA zum Ende des kommenden Jahrzehnts überholen und zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen.

Die Regierung in Peking hat einen Plan namens "Made in China 2025" aufgestellt. Dieser sieht vor, dass das Land bis dahin bei allen wichtigen Zukunftstechnologien wie etwa Künstliche Intelligenz, Robotik, Biotechnologie zur Weltspitze gehört beziehungsweise Nummer eins ist. Mit den entsprechenden Folgen, die das auch militär- und machtpolitisch hat.

Die USA wollen diesen Plan durchkreuzen und China hinter sich halten.

Der Handelskrieg ist also Mittel zum Zweck?

Ja. Er soll das Wachstum der chinesischen Wirtschaft bremsen, den technologischen Fortschritt im Land verlangsamen und so China auf Distanz halten.

Mehr noch: China soll wie einst die Sowjetunion wirtschaftlich niedergerungen werden.

Sind die in Kraft getretenen Zölle auf chinesische Waren in Höhe von 34 Milliarden Dollar für China verkraftbar?

Für sich genommen ist das noch kein Volumen, über das sich Peking Sorgen machen müsste. Auch wenn, wie von den USA beabsichtigt, im September noch einmal weitere 16 Milliarden obendrauf kommen.

Chinas Masterplan sieht ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent in diesem Jahr vor. Wie werden sich die ersten verhängten US-Zölle darauf auswirken?

Der amerikanische Zollaufschlag von 25 Prozent auf Einfuhren aus China im Umfang von heute 34 und demnächst 50 Milliarden US-Dollar wird, so Berechnungen, die Wachstumsrate der chinesischen Wirtschaft um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte senken.

Der Handelskrieg hat demnach kurzfristig keine große Auswirkung?

Man darf die psychologische Wirkung nicht nicht außer Acht lassen, die ein Handelskrieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt entfaltet. Und zwar nicht nur in China und den USA selbst.

In der globalisierten Weltwirtschaft von heute haben wir es mit global eng verflochtenen Produktions-, Wertschöpfungs- und Lieferketten zu tun. Diese werden durch einen solchen Handelskrieg durcheinandergebracht.

Und die damit verbundene Unsicherheit, wie es weitergeht, führt zu weltweiter Zurückhaltung bei neuen Investitionen und schwächt so das Wachstum. Wir sehen bereits einen deutlichen Rückgang beim Geschäftsklima-Index für weltweit tätige Großunternehmen.

Wie wird es weitergehen?

Die Chinesen haben auf die US-Zölle mit Gegenmaßnahmen in gleicher Höhe reagiert. Auf die im September folgenden US-Maßnahmen werden sie genauso reagieren. Dann sind wir auf beiden Seiten bei 50 Milliarden...

... danach hat Trump bereits Zölle für ein Importvolumen von weiteren 200 Milliarden angedroht. Was ist dann von den Chinesen zu erwarten?

China importiert seinerseits ja nur Waren im Wert von 130 Milliarden Dollar aus den USA. Es müsste sich, wenn es tatsächlich so weit kommt, also andere Vergeltungsmassnahmen einfallen lassen.

Aber da gibt es genug Möglichkeiten. So könnte Peking etwa dafür sorgen, dass chinesische Touristen einen Bogen um die USA machen oder amerikanische Unternehmen in China mit administrativen Maßnahmen piesacken, wie es bei früheren Auseinandersetzungen mit anderen Ländern geschehen ist.

Welchen Unternehmen schadet der Handelskrieg am meisten?

Trumps Zölle treffen nicht zuletzt US-Unternehmen. Ein großer Teil der Exporte aus China in die USA kommt von amerikanischen Firmen wie Apple.

Aber auch deutsche Unternehmen sind betroffen. BMW und Mercedes sind die größten Auto-Exporteure aus den USA nach China und haben deshalb unter den chinesischen Vergeltungsmaßnahmen für die amerikanischen Zölle stark zu leiden.

Chinas Zölle sollen aber vor allem Unternehmen in US-Bundesstaaten treffen, die bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen für Donald Trump gestimmt haben, also besonders landwirtschaftliche Betriebe im Mittleren Westen.

Im Herbst sind in den USA Kongresswahlen. Mal sehen, wie die ausgehen und ob sich Trump mit seinem Handelskrieg politisch ins eigene Fleisch geschnitten hat.

Was, wenn die Republikaner die Wahlen nicht verlieren?

Dann wird Trump sich in seiner Politik enorm ermutigt fühlen. Und die von ihm bereits angedrohten Zölle auf weitere 200 Milliarden Dollar Handelsvolumen könnten Wirklichkeit werden.

Was passiert, wenn Trump tatsächlich auf 250 Milliarden Dollar erhöht?

Das wäre der totale Handelskrieg mit China und hätte schlimme Folgen für die gesamte Weltwirtschaft. Wenn es so weit kommt, gibt es eine globale Rezession.

China stand zuletzt für fast 40 Prozent Wachstum in der Weltwirtschaft. Wenn das Land aufgrund der US-Zölle deutliche Wachstumseinbußen hinnehmen müsste, ginge es auch für die Weltwirtschaft nach unten. Und wir in Europa haben ja ohnehin schon jetzt nur wenig Wachstum aufzuweisen.

Ist eine Deeskalation noch denkbar? Inwiefern könnte sich die Welthandelsorganisation WTO einschalten? Bisher hat man eher den Eindruck, sie führt nur noch ein Schattendasein …

Brüssel und Peking haben bei der WTO Klage gegen die USA eingereicht. Aber bis da etwas entschieden wird, drohen Jahre zu vergehen.

Das liegt auch daran, dass die Amerikaner seit einiger Zeit die Neubesetzung freigewordener Stellen in den WTO-Schiedsgerichten blockieren. Europa und China setzen sich zwar gemeinsam für Reformen in der WTO ein, so dass künftig auch schneller entschieden werden kann. Auf kurze Sicht aber ist hier nichts zu erwarten.

Eine Deeskalation könnte es allerdings geben, wenn die Republikaner die Kongresswahlen im Herbst verlieren und die Börsenkurse an der Wall Street einbrechen.

Das heißt, alles liegt alleine bei Trump?

Die Entscheidung, ob es ein Einlenken gibt, muss in Washington getroffen werden. Die USA haben den Handelskrieg begonnen, sie müssen ihn auch beenden.

China wollte ja im Vorfeld einlenken. Peking hat angeboten, den Import von US-Waren um 70 Milliarden US-Dollar zu erhöhen und das Handelsdefizit der USA entsprechend zu verringern. Trump hat das abgelehnt. Was zeigt, dass es ihm um etwas ganz anderes geht.

Hat demnach allein Trump an dem Handelskrieg Schuld?

Ich denke schon. Man mag ja gegen Chinas staatskapitalistische Politik einiges vorbringen. Aber das rechtfertigt nicht einen Handelskrieg.

Zwar wird das eigentliche Ziel, das dem Handelskrieg zugrunde liegt, China hinter den USA zu halten, von beiden Parteien im Kongress mehrheitlich geteilt. Allerdings sind die Meinungen darüber geteilt, ob ein Handelskrieg das richtige Mittel ist, dieses Ziel zu erreichen.

Pokert Trump mit seiner "Macht-des-Stärkeren"-Strategie zu hoch?

Pokern ist Trumps Politikstil. Ob er in der Auseinandersetzung mit China sein Blatt überreizt, muss sich erst noch herausstellen.

Meine Prognose ist, dass er und mit ihm die USA bei Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses am Ende die größten Verlierer sein werden. Sie werden den weiteren Aufstieg Chinas vielleicht verlangsamen und die Machtablösung an der Weltspitze hinausschieben, aber letztlich nicht verhindern können.

Und sie werden dafür einen sehr hohen Preis in Form von Wohlstandsverlusten und zusätzlicher Verschuldung zahlen müssen. Die Chinesen sind leidensfähiger als die Amerikaner und sie können warten. Ihre Zeit wird so oder so kommen.

Welche Rolle spielt Europa in den Überlegungen Trumps?

Um China zu bekämpfen, setzt Trump auch Europa unter Druck. So will er zum einen zig Milliarden Militärausgaben in der NATO einsparen und sie den europäischen Bündnispartner aufbürden.

Zum anderen dienen die bereits verhängten Zölle auf europäische Waren und die angedrohten weiteren Zölle auf europäische Automobile aus meiner Sicht letztlich dazu, den Europäern im Kampf gegen die Chinesen einen Unkostenbeitrag abzuverlangen und sie zugleich davon abzuhalten, sich auf die Seite Chinas zu schlagen.

Wir sehen derzeit, wie unentschlossen Europa in dieser Frage agiert. Nur, irgendwann muss es sich entscheiden: Will es die USA in ihrem geostrategischen Ringen mit China unterstützen und dabei auch eigene Interessen hintanstellen oder sich ein Stück weit von dem traditionellen Verbündeten emanzipieren und eine eigenständige ganz an seinen Interessen orientierte Politik betreiben?

Zur Person: Stefan Baron ist studierter Volkswirt und Co-Autor des Buches "China - Psychogramm einer Weltmacht", das Land und Leute aus einer neuen Perspektive beleuchtet.
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