Echte Zugeständnisse oder doch wieder nur leere Versprechungen? Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras soll mit neuen Reformvorschlägen nach Brüssel gereist sein. Die Kreditgeber zeigen sich bislang aber eher unbeeindruckt.
Die Nachricht gibt zumindest Anlass zu neuer Hoffnung. Noch in der Nacht zum Montag bezeichnete der Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident
Das, was der hellenische Ministerpräsident Alexis Tsipras da im Gepäck hatte, als er am Morgen nach Brüssel reiste, soll griechischen Medienberichten zufolge erstmals eine Menge Zugeständnisse enthalten: Bisherige Tabuthemen sollen nun offenbar Gegenstand der Verhandlungen werden. Damit erhofft sich Tsipras zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe. Im Gegenzug hofft er auf das Ja der Geldgeber – EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds sowie Europäische Zentralbank – die verbleibenden Hilfsgelder von 7,2 Milliarden Euro aus dem zweiten Hilfspaket freizugeben.
Unter anderem sollen die neuen Vorschläge eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für Grundnahrungsmittel wie Reis und Nudeln von 13 auf 23 Prozent enthalten. Das lehnte Tsipras bislang mit der Erklärung ab, dass viele Menschen in seinem Land schon jetzt kaum mehr Geld haben, sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Nun scheint er zu Zugeständnissen bereit. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel kommt für die griechische Regierung aber weiterhin nicht in Frage: Denn schon jetzt sind 40 Prozent der Bevölkerung nicht oder nicht mehr krankenversichert. Medikamente müssen sie aus eigener Tasche bezahlen.
Hingegen plant die Regierung nun offenbar, die Mehrwertsteuer im Hotelgewerbe anzuheben. Der bisherige Satz von 6,5 Prozent soll demnach auf 13 Prozent verdoppelt werden. Auch der Mehrwertsteuersatz in Restaurants und Cafés soll um zehn Prozent auf 23 Prozent steigen. Diese Abgabe, die ausgerechnet die vom Linksbündnis Syriza dominierte Regierung wieder abschaffen wollte, soll nun doch bleiben: Durch sie erhofft sich Athen weitere Einnahmen von 2,6 Milliarden Euro.
Eigentümer teurer Jachten, Luxuswägen und Pools will Tsipras den Verlautbarungen nach ebenfalls zur Kasse bitten. Bislang musste sich der linke Regierungschef immer wieder Vorwürfen stellen, dass er sich standhaft weigere, die Reichsten des Landes, die bis heute mit extrem günstigen Steuerkonditionen bis hin zum Nulltarif (wie etwa die Reeder) davonkommen, an der Sanierung der Staatskasse zu beteiligen. Auch eine Sondersteuer liegt nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters nun auf dem Tisch. Wer mehr als 30.000 Euro pro Jahr verdient, soll einen zusätzlichen Obolus zwischen einem und sieben Prozent an den Staat abtreten. Gleiches ist offensichtlich für Unternehmen, die 2014 mehr als 500.000 Euro Gewinn erwirtschaftet hatten, geplant.
Beim bisher größten Streitpunkt – der Rentenreform – will Tsipras offensichtlich ebenfalls Zugeständnisse machen. Versprechungen dazu hat es allerdings schon vorher gegeben – ein entsprechendes Gesetz hat das Parlament aber nicht passiert. Zudem sah der bisherige Vorschlag weitreichende Ausnahmen vor, die das Rentenalter faktisch nur auf dem Papier angehoben hätten. Nun will der 40-jährige Regierungschef scheinbar die meisten Frührenten abschaffen – und das Eintrittsalter in den kommenden Wochen, statt wie vorher geplant im nächsten Jahr anheben.
Selbst den erbitterten Kampf um Rentenkürzungen scheint Tsipras nun aufgeben zu wollen. Immer wieder hatten ihn Experten des Internationalen Währungsfonds darauf hingewiesen, dass Streichungen möglich seien, ohne die Ärmsten der Bevölkerung weiter zu belasten. Vor allem im öffentlichen Dienst gibt es noch immer Raum für Kürzungen. Tsipras soll nun vorgeschlagen haben, bei den hohen Zusatzrenten anzusetzen. Denn teilweise bekommen Ruheständler bis zu 1.000 Euro zusätzlich zu ihrer gesetzlichen Rente. Von der Maßnahme wären etwa 80.000 Hellenen betroffen – das Sparpotenzial für die Staatskasse wäre dementsprechend hoch.
Zu guter Letzt wagt sich der Syriza-Chef auch an ein Thema, das trotz hoher Ausgaben bislang eher unter den Tisch gekehrt wurde – zum Teil sicher auch, weil deutsche und französische Rüstungsfirmen davon im besonderen Maße profitierten: das Militär. Bisheriges Argument auf griechischer Seite war der Schutz gegen den türkischen Nachbarn. Trotzdem ist Tsipras nun offenbar bereit, bis zu 500 Millionen Euro zu streichen. Noch 2009 hatte seine Partei gefordert, die Rüstungsausgaben zu halbieren, hatte das Thema aber im Wahlkampf Anfang des Jahres nicht mehr angesprochen.
Zwar sind die Militärausgaben in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich deutlich geschrumpft – von ursprünglich sieben Milliarden auf 3,5 Milliarden in diesem Jahr. Trotzdem liegt Griechenland mit 1,8 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung, die für das Militär aufgewendet werden, immer noch über dem Nato-Durchschnitt von 1,5 Prozent. Zudem hat die Vorgängerregierung unter Antonis Samaras noch im vergangenen Herbst Munition und Waffen im Wert von 52 Millionen Euro bei Rheinmetall bestellt, im April unterschrieb die neue Links-Rechts-Regierung einen Vertrag zur Modernisierung von Militärflugzeugen über 500 Millionen Euro mit einem US-Rüstungskonzern. Sparpotenzial gibt es also noch reichlich. Nikos Toskas, der stellvertretende Verteidigungsminister, weiß auch schon wo: "Und zwar durch Verringerung von Verschwendung, durch Rationalisierungen und Schließung überflüssiger Standorte", sagte er unlängst. Bei 500 Militärstützpunkten dürften einige unter diese Kategorie fallen.
Konkrete Beschlüsse hat es aber noch in keinem der Punkte gegeben – zumal Tsipras nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern auch von seinem Koalitionspartner, der rechtspopulistischen "Anel", mit Widerstand rechnen muss: Verteidigungsminister Panos Kammenos von den rechtspopulistischen "Unabhängigen Griechen" erklärte auf der Website seines Ministeriums: "Wir werden die Sicherheit unseres Landes nicht mit den tagträumenden Gläubigern verhandeln. Sie sollten nicht glauben, dass wir den Rüstungshaushalt um auch nur einen Euro kürzen werden." Die Erweiterung der Mehrwertsteuer, die auch für Luxusferieninseln gelten soll, sieht der Rechtspopulist als Kriegserklärung gegen seine Partei als Koalitionspartner. "Ich werde einer Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Inseln nicht zustimmen, auch wenn das das Ende der Regierung bedeutet", gab er sich kampfeslustig.
Vorläufig wird es aber weder im griechischen Parlament noch in der Eurogruppe zu einer Abstimmung über weitere Maßnahmen kommen. Zwar bescheinigte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem Tsipras dessen "unbedingten Willen, zu einer Einigung zu kommen". Diese Einigung müsse aber tragbar sein. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnte vor falschem Optimismus. "Viele versuchen öffentlich Erwartungen zu schüren, die aber in der Sache bisher nicht getragen sind." Mit anderen Worten: Es fehlt offenbar noch immer an konkreten Ausarbeitungen der neuen Vorschläge. Und das Misstrauen gegen die Syriza-dominierte Regierung ist inzwischen groß. Politikwissenschaftler Pawel Tokarski von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht darin das größte Problem: "Die grundlegende Frage ist die, ob der griechischen Regierung in der aktuellen Situation überhaupt getraut werden kann, was ihre Versprechungen zu Reformen betrifft. Die Glaubwürdigkeit ist im Augenblick sehr gering und wird eine schwere Last für die Verhandlungen in letzter Minute." Dass es heute Abend zu einer Einigung im Kreise der Staats- und Regierungschefs kommen kann, scheint kaum noch möglich.
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