Sie ist eine der deutschen Schlüsselindustrien, war aber schon vor der Coronakrise skandalgeplagt: Die deutsche Autoindustrie. Mit Milliarden-Maßnahmen will der Staat die Branche vor dem Absturz retten – und erwägt Kauf- und Abwrackprämien. Mehrere Ministerpräsidenten befürworten die Maßnahme, die Wirtschaftsweisen üben Kritik. Verdient die Autobranche die Unterstützung? Zwei Wirtschaftsexperten nehmen Stellung.

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Es hat die Autoindustrie zu einem ungünstigen Zeitpunkt mitten ins Mark getroffen: Gerade noch waren der VW-Dieselskandal und die verschlafene Wende zur E-Mobilität Hauptgesprächsthema, da sorgt die Coronakrise für gestörte Lieferketten, Produktionsstopps in den Fabriken und rückläufige Nachfrage.

Mit Milliarden in Form von Kurzarbeitergeld leistet die Regierung bereits Hilfe: Mehr als 830.000 Stellen in der Branche und indirekt etwa zwei Millionen betroffenen Arbeitsplätzen machen die Autoindustrie zu einem der Sorgenkinder des Staates.

Kauf- und Abwrackprämien sind im Gespräch - ist das noch zeitgemäß?

Aktuell sind vor allem Kauf- und Abwrackprämien im Gespräch – 3.000 Euro für Verbrenner ab Schadstoffklasse 6d-Temp, 4.000 Euro zusätzlich für Plug-in-Hybride, Elektro- und Wasserstoffautos. Union und SPD wollen am Dienstag über ein milliardenschweres Programm verhandeln, um die Wirtschaft in der Coronakrise in Schwung zu bringen. Besonders die "Auto"-Bundesländer Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg, für die die Branche eine Schlüsselindustrie ist, hoffen auf Umsetzung.

Kritik vom Ifo-Institut an Autoindustrie

Kritisch sieht das das Ifo-Institut. Zwar kurbelten Kaufprämien kurzfristig die Autoverkäufe an, mittelfristig werden aber kaum mehr Fahrzeuge abgesetzt. Abwrackprämien hätten in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 "zumindest kurzzeitig den Autoabsatz belebt, das ist sicher belegt", erklärte Ifo-Forscher Felix Rösel am Sonntag in Dresden. "Auf die Party folgte jedoch der Kater."

Denn fast alle Studien zeigten, dass viele Verbraucher damals aufgrund der Prämie einfach Autokäufe vorgezogen hätten, die ohnehin geplant waren.

Die Einführung einer schnellen, niederschwelligen, zeitlich begrenzten Innovationsprämie für die Anschaffung von Neu- und Jahreswagen sei angesagt, meinte dagegen selbst der Grüne Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, in der "Stimme".

Warum keine Hotelgutscheine?

Aber sind ist die milliardenschwere Unterstützung für die Autoindustrie gerechtfertigt? Schließlich bezieht BMW beispielsweise Kurzarbeitergeld, zahlt aber weiterhin hohe Dividenden an seine Aktionäre.

Dem Konzern "Lufthansa", bei dem der Staat plant, Anteilseigner zu werden, wäre die Auszahlung künftiger Dividenden untersagt. "Kurzarbeitergeld ist jedoch keine spezifische Hilfe für die Autoindustrie, es kann in jeder Branche beantragt werden und dient zu verhindern, dass Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren", erinnert Georg Gebhardt von der Universität Ulm im Gespräch mit unserer Redaktion.

Es gäbe keinen Grund, eine Branche hier auszunehmen. "Verteilungswirkungen, über die auch die Aktionäre der Automobilbranche profitieren, muss man in Kauf nehmen. Auch wenn das nicht das Ziel der Maßnahme ist", meint der Wirtschaftswissenschaftler.

Autoindustrie verschläft Mobilitätswende

"Der Ausschluss einer Branche wäre Industriepolitik und nicht Aufgabe des Staates", sagt Gebhardt. In eben diese Richtung geht jedoch die Kritik von Arne Schulz, der für den "NDR" schreibt: "Kurzarbeit - das ist belegt - wirkt nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Nämlich dann, wenn es der Wirtschaft richtig schlecht geht und wenn die Krise der Unternehmen konjunkturell ist, also auf die allgemein schlechte Lage der Wirtschaft zurückgeht."

Das sei bei der Autobranche aber nicht der Fall – hier krisele es, weil die der Wandel zur E-Mobilität verschlafen wurde.

"In solchen Fällen ist ein Kurzarbeitergeld oft kontraproduktiv", meint Schulz. Im schlimmsten Fall hielte es Hersteller künstlich am Leben, die ohnehin nicht mehr zu retten sind - und das auf Kosten der Allgemeinheit.

Klaus Schmidt von der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht das im Gespräch mit unserer Redaktion anders: "Es handelt sich um eine hochprofitable Industrie, die nicht kurz vor dem Ende steht", sagt er.

Wirtschaftsweisen üben Kritik an BMW, VW und Co.

Kauf- und Abwrackprämie halten beide Experten hingegen für das falsche Instrument. Damit schließen sie sich der Einschätzung der deutschen Wirtschaftsweisen an, die von "purem Lobbyismus" sprechen und eine durchschlagende konjunkturelle Wirkung negieren.

"Viele Branchen leiden, die Autoindustrie nicht einmal am stärksten", sagt Experte Gebhardt. Immerhin könne sie weiterhin produzieren und sei nicht von einem direkten Verbot betroffen – wie etwa Konzert- oder Reiseveranstalter. So könne man fragen, warum es parallel zur Kauf- und Abwrackprämie keine Hotel- oder Restaurantgutscheine gäbe.

Bereits 2008 wollte der Staat mit der Abwrackprämie die Wirtschaft wieder ankurbeln. "Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass das Instrument nicht sehr effektiv ist", bilanziert Experte Schmidt. Es sei viel Geld ausgegeben worden, habe hohe Mitnahmeeffekte gegeben und eine geringe Wirkung auf die Konjunktur.

"Auch aus Erfahrungen der Amerikaner wissen wir, dass nur wenige Autokäufe vorgezogen wurden und vor allem kleine Autos gekauft wurden – hauptsächlich ausländischer Hersteller", sagt Schmidt. So dürfte auch diesmal wieder viel Geld ins Ausland fließen, weil durch eine Kaufprämie vor allem der Kauf von Kleinwagen angeregt werde.

Konjunktur- vor Klimapolitik?

In Deutschland konnte man ein Auto damals bereits mit neun Jahren verschrotten. "Eine Verschwendung unter Umweltgesichtspunkten", kommentiert Gebhardt.

Auch jetzt würde eine Kauf- und Abwrackprämie der Umwelt nicht zugutekommen, denn auch Autos mit Verbrenner-Motoren würden gefördert werden. In den Augen von "Spiegel"-Kolumnist Michael Sauga ohnehin zweitranging. Er schrieb: "Konjunkturpolitik ist jetzt wichtiger als Klimapolitik."

Aber selbst wenn man das Klima zur Prämisse bei der staatlichen Förderung machte, die Prämie etwa nur für Elektro-Autos, verbunden mit Investitionen in Ladeinfrastrukturen, realisierte: Alle Probleme wären nicht gelöst. "Man kann in diesem Jahr eigentlich gar kein Elektroauto mehr kaufen. Die Wartezeiten sind lang, die deutschen Hersteller haben Lieferprobleme", sagt Schmidt.

Gebhardt meint deshalb: "Eine eierlegende Wollmilchsau, die die Nachfrage ankurbelt, den Unternehmen und der Umwelt hilft, ist konzeptionell schwierig." Das Instrument solle deshalb generell vom Tisch.

"Abwarten und nachsteuern"

So sehen es auch die Wirtschaftsweisen. Sie schlagen drei Maßnahmen zur Rettung der Wirtschaft vor: Neben der Ausweitung der Möglichkeiten zum steuerlichen Verlustrücktrag und -vortrag, sollten die Energiepreise reformiert werden sowie private und öffentliche Investitionen gefördert werden.

"Der Staat hat bereits viel gemacht", meint Gebhardt. Seine Devise lautet deshalb: "Lieber jetzt abwarten und eventuell nachsteuern." Die Autonachfrage könne sich, zumindest in Deutschland, wieder von selbst erholen. "Ohne eine zweite Welle bin ich optimistisch, dass sich die Lage hier schnell stabilisiert", so der Experte.

Über die Experten:
Prof. Dr. Georg Gebhardt ist Leiter des Instituts für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Ulm. Der Volkswirt forscht zu Arbeits- und Kapitalmärkten sowie zu Fragen der Wettbewerbspolitik.
Prof. Dr. Klaus M. Schmidt ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums und lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Wettbewerbspolitik, politische Ökonomie und experimentelle Wirtschaftsforschung.

Verwendete Quellen:

  • Süddeutsche Zeitung: So kann sich die Wirtschaft erholen
  • Spiegel: Konjunkturpolitik ist jetzt wichtiger als Klimapolitik
  • NDR: Kurzarbeit in Autoindustrie falsches Instrument
  • Stimme.de: Kretschmann wegen Autokauf-Prämien in der Kritik
  • Statista: Beschäftigte in der deutschen Automobilindustrie in den Jahren 2005 bis 2019
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