Wenn wir den Kanal voll haben, dann nehmen wir das Smartphone in die Hand und googeln nach "Digital Detox". Das ist nicht nur paradox, sondern ein Herumdoktern an der Oberfläche. Denn ein paar Tage das Handy wegzulegen, verkennt das eigentliche Problem. Welches das ist, erklärt Jan Böhmermann am Freitagabend in seinem "ZDF Magazin Royale".
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Hochformat, Querformat, Philipp Amthor
Doch diesmal hat man es nicht mit einer handelsüblichen Folge zu tun, beziehungsweise: eigentlich schon. Sagen wir lieber: Sie beginnt ungewöhnlich, geht ungewöhnlich weiter, zeigt aber durch genau diese Ungewöhnlichkeit wie gewöhnlich ein Problem auf seine eindrücklichste Weise. Aber machen wir’s mal ganz konkret und lassen Böhmermann ein kleines Experiment aufbauen aus einem Stück Alufolie, 500 ml destilliertem Wasser, vier Minzdragees, drei Teelöffeln Kurkuma, und Böhmermanns Frage: "Worum geht es heute?"
Doch von hier an fährt der Schnitt alles auf, was er so an audiovisuellen Effekten zu bieten hat. Böhmermann macht sich gerade an die Erklärung, worum es in dieser Ausgabe gehen soll, als er permanent unterbrochen wird. Splitscreens, Second Screen, Hochformat, Querformat, Handyklingeln, Video einer Jahrmarkt-Attraktion, Video von Olaf Scholz, Rückblick, was er schon alles gemacht hat in seinem "ZDF Magazin Royale", welche Gäste bereits da waren und so weiter.
Böhmermann hetzt von Screen zu Screen, von Inhalt zu Content und zurück, beginnt eine Erklärung, experimentiert weiter, lässt sich ablenken, lenkt ab und wird abgelenkt. Er beginnt, unterbricht, wird unterbrochen, redet weiter, kommt von einem zum anderen, ist rastlos, switcht, springt, leitet über, verliert den Faden und nimmt ihn wieder auf.
"ZDF Magazin Royale": Wie haben veränderte Medien die Menschen verändert?
Zwischen all dem Chaos versucht Böhmermann zu erklären, worum es denn diesmal gehen soll, doch wer etwas zwischen den Zeilen lesen kann, weiß das natürlich längst. "Es ist nicht nur insane, was für eine Scheiße im Internet zu finden ist – inhaltlich. Es ist noch viel insaner, dass niemand darüber spricht, mit welchem Prinzip uns das Internet an diese insanen Inhalte fesselt, ohne, dass wir es nur merken oder uns auch nur wehren können", erklärt es Böhmermann zwischendurch trotzdem noch einmal.
Nun ist die Redewendung "dass niemand darüber spricht" in den meisten Fällen ein rhetorisches Mittel, sollte einem keine gute Überleitung einfallen. Gleichzeitig kann sie aber auch der Selbsterhöhung dienen, behauptet sie doch: "Niemand erkennt das Problem oder traut sich, darüber zu sprechen – bis auf uns, die Klugen und Mutigen". In der Regel ist sie aber eine völlig unzulässige Behauptung, denn natürlich spricht nicht niemand über das, über das angeblich niemand spricht. Im konkreten Fall wird sogar ausgesprochen oft über die Prinzipien, wie uns "das Internet" an seine Inhalte fesselt, gesprochen. Es gibt sogar Menschen, die sprechen nicht nur darüber, sondern haben ganze Bücher geschrieben.
Daher ist es gar nicht so außergewöhnlich klug und mutig von Böhmermann und seinem Team, darüber zu sprechen. Die Art, wie sie es tun, aber schon. Denn Böhmermann erklärt zwischendrin das übergeordnete Problem: "Medien haben sich verändert. Aber wie haben veränderte Medien uns Menschen verändert? Unsere Sehgewohnheiten, unsere Psyche, unsere Erwartungen und unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit?"
Die Antwort auf all diese Fragen gibt Böhmermann mit seinem Ablenkungschaos und irgendwann glaubt man, es ist genug, hat man verstanden, worum es gehen soll. Um das eigene Verhalten, um die ständige Suche nach Neuem, um Gesellschaftskritik an den Inhalten, die wir uns da ansehen, an den Produkten, die wir kaufen, an der geringen Aufmerksamkeitsspanne. Da ist es natürlich ein naheliegender Kniff, uns durch permanente Ablenkung und "miesen Content" auf unsere Konzentrationsschwächen, auf die Ablenkungstricks und den "miesen Content" aufmerksam zu machen.
Gleichzeitig macht es all der audiovisuelle Rummel natürlich schwer, Böhmermanns Kritik auf einer Sachebene zu folgen. Aber genau das macht Böhmermanns Kniff aus: Denn es ist gar nicht nötig, ihm auf einer Sachebene zu folgen. Es reicht völlig, das Chaos am eigenen Leib zu erleben. Weil wir das Chaos besser verstehen, wenn wir es spüren, als wenn wir es erklärt bekommen. Weil es das erst richtig anschaulich macht und wir nur so merken, was wir anscheinend im Alltag schon nicht mehr merken: "Was der Medienwandel mit uns und aus uns gemacht hat."
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Trotzdem erklärt es Böhmermann dem Zuschauer ganz am Ende noch einmal in einer längeren Sequenz, die sich lohnt, komplett nachzuhören: "Wir würden nicht akzeptieren, wenn das Fernsehen so wäre wie das Internet ist. […] Wir geben uns dem ziellosen und unendlichen Content-Strom hin. Jeden Tag, der programmiert ist, uns abzulenken und dranzuhalten. Und vor lauter Angst, etwas zu verpassen in den Timelines, die durch unsere Hände rinnen, rinnt uns das echte Leben durch die Hände. Aus Yolo wird Fomo."
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