Gut möglich, dass sich beim neuen "Tatort" aus München schon nach kurzer Zeit viele Zuschauer aus der Tiefe des Sofas hochwuchten - denn ein konventioneller Krimi sieht anders aus. Und verwirrend ist der neue Fall von Batic und Leitmayr auch noch. Wer aber dranbleibt, bekommt zumindest ein filmisches Experiment geboten.

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Wie nervenzerfetzend ist die Spannung?

Dass Meister-Regisseur Dominik Graf ("Im Angesicht des Verbrechens") die Zuschauer auf eine Belastungsprobe stellt, ist schnell ersichtlich. Allerdings liegt das nicht gerade daran, dass man verschlungenen Mordermittlungen folgen muss, bei der sich die Tätersuche komplex, gefährlich und irgendwie zum Mitfiebern geeignet darstellt. Statt auf Spannung setzt der "Tatort" hier nämlich auf das Prinzip Verwirrung – und auf eine ausgeklügelte Ästhetik mit harten Schnitten, greller Überbelichtung und rasanten Zooms.

Ergibt das alles Sinn?

Dass doch ein wenig mehr als nur eine Schlagzeilen-Story über raffgierige Spekulanten, korrupte Beamten und einen skrupellosen Feine-Villa-unfeine-Menschen-Clan hinter der Erzähloberfläche stecken muss, ist auch schnell klar. Allerdings braucht man schon viel guten Willen, den verwirrten Kommissaren bis in die skurrilen Spielarten einer eigenwilligen Dreiecksbeziehung, die Gedankengänge einer schießwütigen Alten (Erni Mangold) und in die bitteren ersten Hungerwochen nach dem Kriegsende in München zu folgen. Wem alles auf einen Blick sonnenklar vorkommt, sollte sich vielleicht in Behandlung begeben. Das Manko des Films ist in jedem Fall sein Anspruch, mal wieder alles mit allem in Verbindung setzen zu müssen.

Braucht man das Drumherum?

Das Drumherum ist diesmal alles. Selten hat man die Weißwurst-Hauptstadt München so wenig postkartengerecht gesehen wie hier. Und der in jeder Hinsicht geschmeidigen Meret Becker bei Yoga-Übungen zusehen zu können, hat auch seinen Reiz.

Würde man diese Kommissare im Notfall rufen?

Selbstverständlich. Die Frage ist nur, ob die liebenswert grantigen älteren Herren überhaupt noch einsatz- und leistungsbereit sind. Einmal mitten im Film entfährt ihnen der Fluch: "Herrschaftszeiten, warum haben wir nicht wieder einen einfachen Fall?" Man möchte ihnen dafür mitfühlend auf die Schultern klopfen.

Wie fies sind die Verbrecher?

Dass Kommissar Batic von den gedrungenen Ustascha-Schlägern im Spielsalon nicht zusammengeschlagen wird, nimmt man mit Erleichterung auf. Ansonsten signalisiert allein schon die Verpflichtung der großartigen Finsterlinge Martin Feifel und Mišel Maticevic, wie hier die Sympathien verteilt sind. Besonders fies agieren die beiden in ihren Rollen dennoch nicht.

Muss man das sehen?

Bedingt. Wer einen Sonntagskrimi von der Stange erwartet, muss auf die nächsten Fälle konventionellen Krimihandwerks warten. Als filmisches Experiment mit Verwirrspiel-Charakter ist der Münchner "Tatort" aber zumindest ein Erlebnis.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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