Drogenhandel, Korruption, organisierte Kriminalität – der "Polizeiruf 110: Im Schatten" war bis obenhin vollgepackt. Doch warum Rostock? Wer ist die 'Ndrangheta überhaupt? Und ist die Verbrecherorganisation wirklich in Deutschland aktiv?

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Die Rostocker Ermittler observieren einen Drogenkurier am Hafen. Doch die Tarnung fliegt auf, der Drogenkurier nimmt ein Mädchen als Geißel – und wird erschossen. Wenig später liegt der Einsatzleiter der Polizeiaktion tot unter einer Autobahnbrücke. Der Racheakt eines Drogenkartells?

Im "Polizeiruf" am Sonntag tauchen die Kommissare König (Anneke Kim Sarnau) und Bukow (Charly Hübner) ein in die Welt der organisierten Kriminalität. Die Spuren führten die Ermittler zunächst zur italienischen Verbrecherorganisation 'Ndrangetha, später gerieten auch die eigenen Kollegen unter Verdacht.

Bei Drogenschmuggel denkt der Zuschauer wohl zuerst an Mexiko oder südamerikanische Kartelle und nicht an die beschauliche Hansestadt an der Ostsee.

Drogenhandel in Rostock – wie kam es zu diesem Thema?

Drehbuchautor Florian Oeller ist kein "Polizeiruf"-Anfänger. 2012 schrieb er seinen ersten Fall für das Team aus Rostock, zwei Jahre später folgte das zweite Buch. Dass sich Oeller für seinen dritten Fall den Rostocker Hafen als Zentrum des Geschehens ausgesucht hat, ist kein Zufall.

Für den gebürtigen Münchner ist der Hafen einer seiner Lieblingsorte, wie er in einem Presse-Gespräch mit dem NDR erzählt. Dass er diesen Ort mit Verbrechen verbindet, liegt an Roberto Saviano. In dem jüngsten Buch des italienischen Journalisten "ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht" schildert Saviano ("Gomorrha"), dass Rostock als Drogenumschlagplatz für die 'Ndrangheta fungiere. Für Oeller die Initialzündung für sein Drehbuch.

Wer ist die 'Ndrangheta?

Camorra, Cosa Nostra, Yakuza, Triade – in der Welt der organisierten Kriminalität gibt es viele "Vereinigungen". Die 'Ndrangheta ist eine davon. Ihren Ursprung hat die Organisation in Kalabrien, der südlichsten Festlandregion Italiens. Dort liegt auch immer noch ihr Zentrum, inzwischen ist die 'Ndrangheta aber fast weltweit aktiv.

Ihre Ursprünge lassen sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Entführungen und Schutzgelderpressungen waren die Haupteinnahmequellen, als eines der Hauptgeschäftsfelder gilt heute der Drogenhandel.

2014 hat das kalabrische Forschungsinstitut Demoskopika versucht, in einer Studie Licht in die Strukturen und Geschäfte der 'Ndrangheta zu bringen. Das Ergebnis lässt einen schaudern: Der Studie zufolge beträgt der Jahresumsatz der 'Ndrangheta etwa 53 Milliarden Euro. Etwas weniger als die Hälfte, nämlich 24,2 Milliarden Euro, stammen dabei aus dem Drogenhandel. Damit ist die 'Ndrangheta weltweit führend. Zum Vergleich: Die beschlossenen Ausgaben des Bundeshaushalts für das Jahr 2016 liegen bei 317 Milliarden Euro.

Ist die 'Ndrangheta wirklich in Deutschland aktiv?

Ja. Laut der Demoskopika-Studie gehören 380 Familien der Organisation an. Weltweit aktiv sind 113, zwölf davon in Deutschland. Auch im "Polizeiruf" läuft der Drogenhandel über ein Mitglied der 'Ndrangheta. Als Restaurantbesitzer setzt dieser Drogenkuriere ein, die das Kokain über den Rostocker Hafen nach Nordeuropa schmuggeln.

Dass sich die 'Ndrangheta auch in Deutschland breitgemacht hat, wurde spätestens 2007 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In der Nacht vom 14. auf den 15. August feierten der Wirt eines Duisburger Restaurants und vier Verwandte den 18. Geburtstag eines Lehrlings. Als die Feiergesellschaft nachts nach draußen ging und in ihre Autos stieg, eröffneten zwei Männer das Feuer – alle sechs Menschen starben.

Bereits kurz nach der Tat kursierten Gerüchte, es handle sich um eine Familienfehde der 'Ndrangheta. Hintergrund soll in der Tat ein Familienstreit gewesen sein, der bereits 1991 seinen Anfang nahm. Der Haupttäter wurde 2009 in Amsterdam verhaftet und 2011 in Kalabrien zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch im "Polizeiruf" nahmen die Ermittler Bezug auf den Duisburger Fall.

Warum hieß die "Polizeiruf"-Folge "Im Schatten"?

So aufsehenerregend die Morde in Duisburg damals waren, so ungewöhnlich waren sie auch. Denn die Mitglieder der 'Ndrangheta gelten eigentlich in ihrem Verhalten als unauffällig. Vor allem ihre Geschäfte sollen sie sehr diskret betreiben.

Das Bild der um sich schießenden Mafiosi passt deshalb nicht zur 'Ndrangheta, wie auch Roberto Scarpinato, leitender Oberstaatsanwalt des Anti-Mafia-Pools in Palermo, 2010 in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erklärte: "Dieses Bild wurde leider von den Medien geprägt. Doch der wirklich gefährliche Teil der Mafia ist unsichtbar, vor allem in Ländern, in denen sie investiert."

Drehbuchautor Florian Oeller hat das im Titel seines "Polizeirufs" aufgegriffen: "Der Titel spiegelt die Unsichtbarkeit, mit der die 'Ndrangheta eine Parallelwirtschaft in Deutschland errichtet hat, verborgen von den Augen und Ohren der deutschen Öffentlichkeit und Justiz, aber mit realen Auswirkungen auf unser aller Leben", erklärte Oeller in einer NDR-Presseinformation.

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