Auf dem Sofa vor dem Fernseher kennen sie die Antworten zu Günther Jauchs Fragen – ob ihnen das auch gelingt, wenn sie tatsächlich bei "Wer wird Millionär" auf dem Ratestuhl sitzen? Die Quizsendung stellt die Klugscheißer in seinem Überraschungsspecial auf die Probe.

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"Wer wird Millionär" ist etabliert. Die Rateshow mit Günther Jauch ist ein Klassiker im deutschen Fernsehen – und vielleicht wird gerade das langsam zum Problem. Der Schritt vom allseits geliebten Klassiker zum angestaubten Dauerläufer ist ein kleiner. Wenn ein traditionsreiches Unterhaltungsschlachtross wie "Wetten, dass ..?" zur Fernsehschlachtbank geführt werden kann, kann die Quizsendung nicht mit Gnade rechnen, wenn der Wind denn mal dreht. Denn obwohl die Zuschauerzahlen auch nach beinahe 15 Jahren gut sind, sieht sich die Sendung doch immer wieder mit Konkurrenz konfrontiert. Konkurrenz mit neuen Ideen und mit einem großen Publikum – so wie dem Ableger der äußert erfolgreichen App "Quizduell", der im TV allerdings einen Fehlstart hinlegte. Nervös dürfte das die WWM-Macher allemal machen. Was also macht eine Sendung, die Angst hat, bald zum alten Eisen zu gehören? Sie erfindet sich neu - zumindest ein bisschen. Nach Promi- und Zocker-Special, Blind Dates, Zweiten Chancen, "Let’s Dance"- und Familien-Raterunden, gibt es jetzt also noch das "Überraschungsspecial".

Die Überraschung sind dabei die Kandidaten. Die haben sich nämlich nicht selbst für die Rateshow angemeldet, sondern wurden ohne ihr Wissen von Kollegen, Familie oder gar einer ganzen Schulklasse durch den Bewerbungsprozess bis auf den heißen Stuhl geschleust. So wie Elli Frick, die von ihrer Familie als Klugscheißerin charakterisiert wird und Zuhause während der Sendung weder SMS-Piepen noch Familienmitglieder vor dem Fernseher duldet. Bei Jauch auf dem Stuhl ist die Klappe erwartungsgemäß nicht ganz so groß und auch der Gewinn fällt wohl kleiner aus, als bei der heimischen Raterunde. Bei 32.000 Euro steigt sie aus. Allein die erste Frage an die "Klugscheißerin" ist schon köstlich – auch wenn sie sich als Scherz herausstellt. "Welches Element hat bei einer Temperatur von Null Grad und einem Druck von 1.013 Millibar eine Dichte von 0,08988 kg/m³" will Jauch da für 50 Euro von Elli Frick wissen. So schön kann Rache sein.

Nichtsdestotrotz beschleicht einen das Gefühl, dass "Wer wird Millionär" mit diesem Special nun ganz bei RTL angekommen ist. Mit versteckter Kamera wird in Wohnzimmer gefilmt, Töchter und Ehemänner plaudern aus dem Nähkästchen und am Ende überrascht ein Reporter die ahnungslose Kandidatin. So schön wird im Privatfernsehen eigentlich immer gemenschelt, WWM war nur eine angenehme Ausnahme ohne die Erwähnung tragischer Schicksalsschläge und unterlegter Klaviermusik.

So fällt es einem nämlich auch schwer die Kandidaten unsympathisch zu finden und sich über ihr Unwissen zu amüsieren – dabei ist das doch der halbe Spaß der Rateshow. Bei Chefkoch Tino Graf, der mit gerade einmal 1000 Euro brutto Frau und Kind ernähren muss, hält aber auch der herzlosteste Zuschauer beide Daumen gedrückt. Glück hat der Überraschungskandidat allerdings schon bevor er überhaupt auf den Ratestuhl kommt. Günther Jauch holt ihn persönlich aus dem Publikum der "Ultimativen Chartshow" ab – man kann annehmen, dass er dort nicht der einzige Gast war, der für so ein Wunder gebeten hat. Gemeinsam mit seiner Chefin erspielt der 32-Jährige 32.000 Euro – rund vier Netto-Jahresgehälter.

Star der Überraschungsshow ist allerdings Lehrer Tobias Kunkemöller, alias Mr. Kay, der von seiner Schulklasse angemeldet wurde und ahnungslos im WWM-Publikum saß. Der charmante Gymnasiallehrer schlägt sich wacker und erspielt 125.000 Euro – 100.000 für die Kölner Schule, der es an Sportgeräten und Technik fehlt, 25.000 Euro für sich selbst. Und die will Mr. Kay in seine baldige Hochzeit investieren – im Hintergrund entgleisen da den Schülerinnen der 9. Klasse die Gesichtszüge. Ein bisschen Gefühl schadet WWM nicht – und doch sollte sich die Sendung in seiner kleinen Midlife Crisis nicht dazu hinreißen lassen, von der Quizshow zur Reality-Doku zu werden.

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