Nicht die Zeit für Klamauk: Am Dienstag haben Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf 15 Minuten Sendezeit bei ProSieben gewonnen. Die nutzten sie am Mittwochabend für ein bewegendes Kurz-Konzert aus einem Bunker in der gerade umkämpften Stadt Charkiw in der Ukraine.

Christian Vock
Eine Kritik
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"Hast du 'ne Idee?", fragt Klaas Heufer-Umlauf seinen Kollegen am Dienstagabend, als dieser in seiner Show "Late Night Berlin" zu Gast ist - und ja, offenbar hat Winterscheidt eine Idee. Jedenfalls beugt er sich zu Heufer-Umlauf und flüstert ihm etwas ins Ohr. "Oh Gott, nein, nein, nein. Ich weiß genau, was du machen willst", schnellt Heufer-Umlauf plötzlich zurück. Winterscheidt schiebt noch ein "Und 'nem Meerschweinchen" hinterher, doch für Heufer-Umlauf ist die Entscheidung schon gefallen: "Das geht auf keinen Fall."

Nun weiß man weder, was Winterscheidt gesagt hat, noch, ob das Ganze inszeniert war. Das Einzige, das man sicher weiß ist, dass in den Minuten zwischen 20.15 und 20.30 Uhr im Programm von ProSieben am Mittwochabend kein Meerschweinchen zu sehen war.

Wenn Sie bisher nur "Idee" verstanden haben, es geht um Folgendes: Am Dienstagabend haben die Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf die Spielshow "Joko & Klaas gegen ProSieben" und damit 15 Minuten Zeit gewonnen, das ProSieben-Programm am Mittwochabend mit was immer sie wollen zu füllen. In der Vergangenheit haben sich hier ernste Themen und Klamauk abgewechselt, diesmal aber, so erklären es die beiden, sei nicht die richtige Zeit für Späße.

"Joko & Klaas Live": Schalte nach Charkiw

"Der unbegreifliche Terror und das menschliche Leid in der Ukraine bestimmen unsere Gedanken", beginnt Heufer-Umlauf und erklärt, dass sie diese Tragödie nicht ignorieren können und wollen. Gleichzeitig hätten die Möglichkeiten der beiden aber auch Grenzen. Sie seien weder Politiker, die wichtige Entscheidungen treffen, noch Journalisten, die ihr Leben riskieren, um einen Angriffskrieg zu erklären. Aber sie könnten "denjenigen eine Bühne bieten, die tagtäglich das erleben müssen, was wir hier nur aus Schlagzeilen kennen und die uns ihre Perspektive darauf schildern können".

Was sich genau dahinter verbirgt, erklärt Joko Winterscheidt: "Diese Bühne steht heute etwa 1.600 Kilometer entfernt, im schwer umkämpften Osten der Ukraine, in der Stadt Charkiw. Vor wenigen Wochen saßen die Menschen von Charkiw noch in den Bars und Cafés, studierten und arbeiteten oder tanzten nachts in den Clubs der Stadt. Heute liegt Charkiw an der Front eines menschenverachtenden Angriffskriegs und die BewohnerInnen versuchen verzweifelt, aus der Stadt zu fliehen oder suchen in Bunkern und Kellern Schutz vor den Bomben, Granaten und Geschossen, die rings herum um sie einschlagen."

In einem dieser Keller unter Charkiw leben Alexander und seine Freunde, zu denen ProSieben nun schaltet. Eigentlich hatten sie sich dort ein Studio eingerichtet, nun wohnen sie hier mit evakuierten Menschen aus der Donbass-Region, um sich vor russischen Raketen zu schützen. "Das ist nun unser alltägliches Leben", berichtet Alex und erklärt, während die Kamera Bilder aus dem Bunker zeigt: "Tagsüber hören wir den Beschuss und die Sirenen, aber für uns hier unten ist das mittlerweile normal."

Selo i Ludy geben Konzert aus ukrainischem Bunker

Trotzdem, so erklärt Joko Winterscheidt, würden Alex und seine Band Selo i Ludy weiterhin Konzerte spielen. "Es hilft einem, einfach weiterzumachen", erklärt Alexander den Grund und fährt fort: "Das ist hier in der Ukraine eine oft diskutierte Frage: Was tust du, wenn du das Gefühl hast, nicht genug zu tun? Und die Leute sagen immer: Tu' einfach, was du kannst, und tu' es so gut wie du kannst." Und genau das machen Alex und seine beiden Musiker-Kollegen von Selo i Ludy dann auch und geben ein kurzes Konzert aus ihrem Bunker.

"It's My Life" von Bon Jovi, Rammsteins "Du Hast" und zum Schluss noch David Bowies "Space Oddity" spielen Alex und seine beiden Freunde. Dass sie nur zu dritt sind und Schlagzeug-Playback nutzen müssen, erklärt Alex, liege daran, dass der Drummer mit seiner Frau fliehen musste. Zwischen den Liedern spricht Frontmann Alex über die Situation in der Ukraine. Der Krieg dauere im Grunde schon acht Jahre. Es sei eine unerträgliche Belastung und eine riesige Bedrohung, die die meisten Menschen einfach verdrängen wollten bis sich diese Bedrohung nicht mehr ignorieren lasse.

Es ist ein bewegender Auftritt, der sein Ziel, die Perspektive der Kriegsopfer zu schildern, eindringlich erfüllt. Daran ändert auch nicht, dass das Gespräch und das Kurzkonzert nicht live sein konnten, wie ProSieben vorab mit einem Hinweis erklärt: "Um keine der beteiligten Personen unnötigen Gefahren auszusetzen und eine sichere Übertragung zu gewährleisten, wurden die nun folgenden 15 Sendeminuten voraufgezeichnet."

"Wir geben unser Bestes, um zu überleben"

Ob es falsch gewesen wäre, aus den 15 Minuten irgendeine Ulk-Veranstaltung zu machen – darüber kann man lang und breit streiten. Worüber sich nicht streiten lässt, ist, dass es richtig war, die 15 Minuten Sendezeit so zu füllen, wie es Heufer-Umlauf und Winterscheidt getan haben. Man mag aus unterschiedlichen Kulturen kommen und manchmal andere Ansichten haben, erzählt Alex, "Aber wenn es ums Überleben geht, und ich meine damit nicht, einfach nur am Leben zu bleiben, sondern auch, die Werte unserer Gesellschaft nicht zu verlieren, dann sind wir doch alle irgendwie gleich."

Das Gefühl, dass Zivilisation etwas Beständiges ist, etwas, das die Menschen immer vereint hat, gebe ihm Hoffnung. Alex verspricht, mit seiner Band nach Deutschland zu kommen und dort Live-Konzerte zu spielen. Und er gibt noch ein zweites Versprechen an diesem Abend: "Wir geben unser Bestes, um zu überleben. Wir geben unser Bestes, die Grenzen der zivilisierten Welt zu schützen. Und unser Land."

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