Jenke von Wilmsdorff hat am Dienstagabend sein neues "True Crime"-Format "Jenke. Crime" präsentiert. In der Auftaktfolge konfrontiert der TV-Allrounder Ex-Drogenbaron und -Schmugglerkönig Hubertus Becker mit dessen Opfern und Tatorten. Der 69-Jährige bleibt dabei erstaunlich emotionslos.

Eine Kritik
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Der Boom des "True Crime"-Genres scheint kein Ende zu nehmen. Egal, ob Ted Bundys minutiös aufbereitete Taten, Jeffrey Dahmers bis ins abstoßendste Detail sezierter Wahnsinn oder die Grausamkeiten des Hamburgers Fritz Honka: Serienmörder und andere Verbrechen scheinen die Zuschauer zu faszinieren.

Nach zwei Folgen "Autopsie - Mysteriöse Todesfälle" lässt es sich ja auch wirklich noch ganz wunderbar bei einer weiteren "Medical Detectives"-Ausgabe fernsehschlafen. Und ein Tag ohne den Kriminalbiologen Mark Benecke ist sowieso kein guter.

Vier Ganoven und ein TV-Generalist

Mit seinem neuen Format "Jenke. Crime" holt auch TV-Generalist Jenke von Wilmsdorff zwielichtige Gestalten vor den Vorhang. Um die Abgründe des Menschen zu erforschen. "ProSieben" hob den Vierteiler gleich in die beste Sendezeit, um dort ergründen zu lassen, warum der Mensch zum Täter werden kann.

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Hierfür setzte sich Von Willmdorff mit vier kriminellen Schwergewichten an einen Tisch, von denen es drei zusammen auf mehr als 70 Jahre Haft bringen: der einstige Drogenschmuggler und Geldwäscher sowie heutige Autor Hubertus Becker, der ehemalige Neonazi Philip Schlaffer sowie der Bankräuber Siegfried Massat.

Den vierten Ganoven, der Martin "The One" genannt werden will, wird Von Wilmsdorff in einer kommenden Folge zum Prozess begleiten.

Zum Drogenschmuggel wie Pontius ins Credo

In der Auftaktfolge am Dienstagabend drehte sich alles um die Biographie von Hubertus Becker, die Von Wilmsdorff aufdröselte und begreifen wollte. Insgesamt 24 Jahre verbrachte der 69-Jährige wegen Drogenhandels, Hehlerei und Geldwäsche im Knast.

Becker stammt aus gutem Hause, wollte Maschinenbauer werden und kam über ein Angebot eines Bekannten zum Drogenschmuggel wie Pontius ins Credo. Für schnelles Geld beförderte er plötzlich Haschisch aus Marokko nach Deutschland.

Das Geschäft florierte sofort, was Becker rasch zum Drogenbaron aufsteigen ließ. "In den 70ern konnte man noch am Telefon ganz cool einen Deal fixieren", verriet er über die Annehmlichkeiten seines alten Jobs. Mit 21 Jahren zog er mit einem Komplizen in ein Luxus-Penthouse, um in München der Dekadenz zu frönen.

Hubertus Becker: "Wir gefielen uns als Gangster"

Es ging zwar nicht um Hardcore-Verbrechen wie jene von Bundy, Pitschuschkin oder Gacy, aber auch Beckers biografische Auszüge und Einblicke gestalteten sich durchaus spannend. Angenehm ebenso, dass Jenke von Wilmsdorff den Schmugglerkönig ungestört plaudern ließ und auf voyeuristischen Nervenkitzel weitgehend verzichtete.

"Wir gefielen uns als Gangster", gab Becker, den es Mitte der 1970er nach Ibiza verschlug, irgendwann zu. Ein Schurkengenosse legte ihm in dieser Zeit nahe, ins Big Business des Drogenhandels einzusteigen. "Für ein Kilo wollte er mir 250.000 Dollar zahlen. Das hat mich dann nicht mehr losgelassen", gestand Becker, der fortan chinesisches Heroin ("China White") in die USA schmuggelte und rasch selbst sein bester Kunde wurde.

"Wenn du kein Heroin hast, bekommst du sofort die Panik. Es ist ein furchtbares Leben", so der Ex-Gauner über die Zeit, in der der Absturz begann.

Becker als Kind sexuell missbraucht

"Sehr offen, sehr kommunikativ, ein Schnelldenker, selbstsicher und ein Freak mit Geschäftssinn. Er konnte nicht still sitzen, da musste immer was gehen", beschrieb Roman Ender, einer von Beckers einstigen Drogenkurieren, in "Jenke. Crime" seinen ehemaligen Chef, der als Kind, wie so viele Serientäter, sexuell missbraucht wurde.

"Da war im Internat so ein Fummler, der hat jede Gelegenheit genutzt", erzählte Becker unverblümt. Für Profilerin Suzanne Grieger-Lange, die sporadisch Texthäppchen ins Format warf, "weder ein Garant für eine kriminelle Karriere, noch eine Entschuldigung".

Ex-Frau Lisa: "Er war ein schrecklicher Ehemann"

Auch Beckers Ex-Frau Lisa durfte aus dem Nähkästchen plaudern: "Oh Gott, er war ein schrecklicher Ehemann", ließ sie Von Wilmsdorff wissen. Das Heroin habe "Hubi" nicht nur besetzt, sondern zusätzlich noch egoistischer gemacht. Auch in der Rolle des Vaters war der "Hubi" hochgradig überfordert.

Warum sein damals dreijähriger Sohn mit einem Geldschein das Schnupfen von Kokain nachspielte, erklärte Becker emotionslos wie folgt: "Wir hatten oft Besucher, und da hab ich den Spiegel mit Kokain auf den Tisch gelegt und den Leuten gesagt: 'Bedient euch!'"

Auch die Geburt der Tochter wurde zum Fiasko: "Er ist währenddessen mindestens zehn Mal zum Auto, um sich dort irgendwas reinzuziehen. Ich hab' mich so geschämt", offenbarte Lisa, die nach sechs Jahren Ehe die Scheidung eingereicht hatte.

Keine "Start-up"-Pläne im Knast

Nach ein paar kürzeren Gefängnisaufenthalten wurde Becker 1982, nachdem ihn Leute aus seinem Umfeld angezündet hatten, schließlich in München erneut wegen Drogenhandels verhaftet und zur Höchststrafe von 15 Jahren verdonnert.

Während seiner Haft starben seine Eltern sowie seine erst 33-jährige und an Mukoviszidose leidende Tochter. "Der Strafvollzug selber hat mich mehr behindert als gefördert. Dort beschließt keiner: 'Hey, wenn wir rauskommen, machen wir ein Start-up'", witzelte Becker, um damit zu seinem letzten großen Vergehen überzuleiten.

Erneute Verhaftung Mitte der 90er-Jahre

1995 nahm der damals 44-Jährige das Angebot seines ehemaligen Mithäftlings Dieter Zlof an, der 20 Jahre zuvor den Industriellensohn Richard Oetker entführt hatte, ihm bei der Geldwäsche der damals als Lösegeld erpressten Summe von 21 Millionen D-Mark behilflich zu sein. Zlof und Becker reisten mit einer Mllion nach London, um diese bei einem Geldhändler zu "sauberem" Geld werden zu lassen. Doch das Vorhaben schlug fehl.

Becker wurde 1996 erneut von der Exekutive kassiert, doch man offerierte ihm einen Deal: zwei Millionen D-Mark Belohnung inklusive Straffreiheit, wenn er das Versteck des Lösegelds ausplaudere. Doch Becker ging nicht darauf ein.

"Aus einer Art Ganovenehre. Ich verrate von Haus aus niemanden." Er wurde daraufhin zu sechs Jahren Haft verurteilt und von seiner Familie fallengelassen. "Ich liebte meinen Vater und leide sehr darunter, dass ich ihn da so enttäuscht hab'", so Becker.

Mindestrentner und Tontöpfchen-Sammler

Heute lebt der einstige Drogenbaron als Mindestrentner in Görlitz in einer 50-Quadratmeter-Wohnung. Die opulenten Zeiten, in denen Geld keine Rolle spielte, sind längst Geschichte. Der bald 70-Jährige sammelt nun kleine Tontöpfchen; Bilder all seiner Verflossenen zieren eine Wand seines Schlafzimmers.

"Und was ist von alledem geblieben?", wollte Von Wilmsdorff noch wissen. "Geblieben sind ein paar Niederlagen, geblieben sind ein paar schöne Erinnerungen. Und geblieben ist, dass ich den Eindruck habe, innerlich in der Balance zu sein", so Becker.

Dass er nie genug Liebe empfunden, sondern mehr das Abenteuer gesucht habe, bedaure er inzwischen sehr. Sein Sohn lehne ihn heute ab. "Der sieht in mir einen Totalversager. Und dass er damit Recht hat, macht die Sache umso schwieriger", so Hubertus Becker am Ende von "Jenke. Crime".

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