Stefan Raab ist wieder da! Sollte man zumindest meinen, wenn ProSieben mit einer Show wie "Die große Völkerball Meisterschaft" D-Promis zur Körperertüchtigung bittet. Doch König Raab hat abgedankt und statt seiner regiert vor allem eine: die Langeweile. Oder steckt doch viel mehr dahinter?

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Mit Völkerball werden die meisten wohl vor allem ihre Grundschulzeit verbinden. Muffige Turnhallen, vom Schweiß rutschige Holzböden und blaue Flecken.

Kein Wunder, dass im Sportunterricht die Zahl der Turnbeutelvergesser spontan nach oben schnellte, sobald Völkerball auf dem Stundenplan stand.

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Ein Kinderfilm im neuen Gewand, Hardcore-Action und eine alte Dame im Van.

Ja, es hat seinen Grund, warum Fußball bei den beliebtesten Sportarten in Deutschland auf Platz eins steht und Völkerball nur knapp vor Erbsen zählen und Luftmatratze aufpusten.

Gerade deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ProSieben gestern Abend zur "großen Völkerball Meisterschaft" lud, schließlich hat doch Stefan Raab persönlich ProSieben zum Haus- und Hof-Sender für Shows gemacht, die absurde Sportarten zu Massenevents aufblasen.

Das Konzept ist dabei stets dasselbe: Man nimmt ein paar Fast-Bekanntheiten, kleistert sie mit Werbung zu und lässt sie in irgendeiner Randsportart gegeneinander antreten.

"Promis" mit Dampf auf dem Kessel

Der eigentliche Clou jedes Events war aber immer die Frage, ob König Raab gewinnt oder nicht - was dem Ganzen noch ein Mindestmaß an Augenzwinkern bescherte.

Doch der König ist weg, nun muss es also das einfache Volk alleine richten. Und was hat ProSieben da nicht alles an Beinahe-Prominenz aus den Boulevardspalten geklopft: Nina-Kristin Fiutak, Florian Wess, Nina Beeh, Sarah Joelle Jahnel, Detlef Steves, Alisa Persch und viele, viele andere, die man kennt oder eben nicht.

In acht Sechser-Teams aufgeteilt, wird dann um den großen Völkerball-Pokal gespielt oder wie Moderator Thore Schölermann es ausdrückt: "Wir wollen sehen, wie sich diese Promis diesen Gummiball auf und um die Ohren hauen, dass es sich gewaschen hat".

Und die "Promis" sind alle mit Feuereifer dabei. So erklärt Giulia Siegel gar vor dem Spiel, dass es bei den Gegnern eine Person gebe, die sie so gar nicht schätze und wenn die vor ihr stünde, würde sie ihr "so eine reinballern". Wer das ist, verrät sie aber nicht.

Offenbar muss man am Leben von Frau Siegel ernsthaft interessiert sein, um zu wissen, wen sie meint, denn auch ProSieben klärt den Seitenhieb nicht auf.

Die Promis sind also schon vor dem Anpfiff ziemlich auf Betriebstemperatur, so wie eigentlich alles am gestrigen Abend ein bisschen zu viel Druck auf dem Kessel hat. Von einem epochalen Moment ist da die Rede, als der Pokal hereingetragen wird und von einem Kult, der an diesem Abend geboren werde.

Und die Kommentatoren der Spiele reden, als ob dort nicht Gina-Lisa Lohfink und Joey Heindle auf dem Platz stünden, sondern Cristiano Ronaldo und Lionel Messi: "Joey Heindle ist ein Crunchtime Player".

Vier Stunden Völkerball? Wirklich?

Das klingt alles nach ganz großem Sport, nach einem Event der Superlative und allerfeinster Fernsehunterhaltung. In der Praxis sieht das dann zumeist so aus, dass sich die Halbpromis so lange den Ball zuwerfen bis irgendjemand irgendwo aus Versehen übertreten hat und das Spielfeld verlassen muss. Kurzum, die "große Völkerball Meisterschaft" ist sterbenslangweilig.

Ein Spiel gleicht dem anderen, ein Nicht-Höhepunkt folgt dem nächsten. Wenn man wissen will, wie es aussieht, wenn Kim Gloss vor Sophia Wollersheim wegrennt, dann kann man das ja mal fünf Minuten ausprobieren. Aber viereinhalb Stunden lang? Im Fernsehen?

Wenn dann auch noch Moderator Schölermann Thorsten Legat nach dessen Auftaktniederlage bierernst und ohne jede Ironie fragt, ob es die Favoritenrolle gewesen sei, die sein Team so unter Druck gesetzt habe, ja dann fühlt man sich als Zuschauer so richtig ernst genommen.

Und die Altherrenanzüglichkeiten von der Kommentatorenbank runden diesen bizarren Abend mit einem amtlichen Niveau-Limbo ab: "Ingrid schleppt zwei Bälle mit sich rum und muss noch auf den dritten aufpassen." Oder auch: "Als Bachelor sollte man auch seine zwei Hände benutzen können."

Der ganz große Coup?

Spätestens nach den ersten zwei abgesessenen Stunden und in Erwartung von noch zwei weiteren, fragt man sich als Zuschauer wütend: Ist das euer Ernst, liebe ProSieben-Verantwortliche? Ist das wirklich eure Vorstellung von guter Fernsehunterhaltung im Jahr 2016? Haben wir uns schon an so viel Mist gewöhnt, dass die Sender glauben, uns alles vorsetzen zu können? Was soll da noch kommen? Promi-Zaunanstreichen? Das große Eierausblasen?

Doch als nach quälend langen viereinhalb Stunden endlich das "Team Bachelor" den Pokal in die Höhe stemmt, weicht langsam die Wut der Resignation und jeder, der noch an seichte Fernsehunterhaltung mit Niveau glaubt und D-Promi-Völkerball als Samstagabendshow nicht wahrhaben will, hofft inständig, dass das Ganze nur eine riesengroße Satire war. Der neueste Coup von Jan Böhmermann.

Vielleicht war die ganze Nummer mit Erdogan ja nur eine Aufwärm-Übung und Böhmermann hat hier gerade sein Meisterstück abgeliefert: Wo fängt Fernsehen an, wo endet Verblödung und wo beginnt Zuschauerverarsche? Darf Fernsehen alles?

Fernsehen darf sicher vieles, aber Promi-Völkerball darf Fernsehen nicht dürfen. Soll es nicht dürfen. Bitte. Wenn tatsächlich Böhmermann dahinter steckt, um die Grenzen des Fernsehens auszuloten - hier sind sie definitiv erreicht.

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