Wir haben ein Topmodel. Schon wieder. Und sogar noch eines. Im Show-Finale am Donnerstagabend krönte Heidi Klum zum 19. Mal ein Topmodel und zum ersten Mal gleich zwei. Es war eine grelle, laute Show mit absurden, aber auch erfrischenden Szenen – dank eines Weltmeisters.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Kennen Sie Schrödingers Katze? Also nicht persönlich, sondern das Gedankenexperiment. Physiker mögen mir verzeihen, aber sehr vereinfacht geht es darum, dass eine Katze zusammen mit einem Gift in einer Kiste steckt. Wichtig, vor allem für die Katze, ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das Gift freigesetzt wird, bei 50 Prozent liegt. Da aber die Kiste geschlossen ist, weiß man von außen nicht, ob die Katze tot ist oder nicht tot. Das merkt man erst, wenn man die Kiste öffnet und bei "Germany's Next Topmodel" ist es am Donnerstagabend irgendwie genauso.

Mehr News zu "Germany's Next Topmodel"

Denn zu Beginn des Finales sind die Kandidatinnen und Kandidaten sowohl Topmodel als auch Nicht-Topmodel. Erst ganz am Schluss macht Heidi Klum die Kiste auf und wir erfahren, wer nun das Topmodel ist. Zwei Unterschiede gibt es aber doch. Zum einen ist das Finale von "Germany's Next Topmodel" leider kein Gedankenexperiment, sondern real und zum anderen benutzt Heidi Klum kein Gift, sondern die hohe Kunst der Begründungslosigkeit.

Nein, Gift gibt es im Finale am Donnerstagabend keines, aber es fühlt sich trotzdem irgendwie so an. Denn die aktuelle Staffel zeigte bis hierhin zwar bereits einen intellektuell milden Verlauf, aber im Finale erreichte der Wahnsinn seinen Höhepunkt. Die letzte Folge ist nämlich immer schon die Plemplem-Sollbruch-Stelle einer Staffel gewesen und das sollte auch diesmal so sein. Mittendrin eine aufgedrehte Klum, ein zu ehrlicher Wolfgang Joop, eine Menge Herumgelaufe, "viel Physik" und ein Fußballweltmeister im falschen Film. Doch der Reihe nach.

Heidi Klum: "Eyyyyyyyyeyeyeyeyeyeyey!"

In einem riesigen Herzen sitzend baumelt Heidi Klum in einem roten Kleid von der Decke und begrüßt die Zuschauer im Studio. Oder wie es Klum formuliert: "Eyyyyyyyyeyeyeyeyeyeyey!" Klum hatte sich nämlich gedacht, zum Eingangssong mitzusingen, dann übernimmt jedoch jemand, der das auch kann. Und so marschieren unter der sonoren Stimme von Robin S. die ausgeschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten der aktuellen Staffel ein und machen das Finale zum großen Gleichmacher. Denn es ist egal, ob man in Folge eins oder erst im Halbfinale vor zwei Tagen rausgeflogen ist, man muss den Zirkus trotzdem mitmachen.

Also stapft das Heer der Verschmähten tänzelnd und im roten Glitterregen durch die Halle, ehe sich die Finalisten der Truppe anschließen, alle gekleidet in Irgendwas-mit-Herzen. Gegen Ende reicht Robin S. Klum noch einmal das Mikrofon zum Mitsingen, als könne sie das Ergebnis nicht hören.

Klum bedankt sich bei der jubelnden Zuschauermasse, erklärt noch einmal die Regeln des Abends, in ihren Worten: "Nicht nur eine, sondern auch einer wird Germany's Next Topmodel werden heute Abend." Klum hangelt sich durch die Finalisten, fragt deren Befindlichkeiten ab, ehe sie zu den Gewinnerinnen der beiden vorangegangenen Staffeln abbiegt, was Fragen aufwirft

Zum Beispiel: Warum brauchen wir wieder ein neues Topmodel? Was ist denn mit den anderen aus den Jahren zuvor? Die können doch nicht jetzt schon kaputt sein. Gibt es ein Mindesthaltbarkeitsdatum für Topmodels? Und warum tritt die Gewinnerin vom letzten Jahr nicht an, um ihren Titel verteidigen zu können? Eine Frage ganz anderer Art stellt sich, als es in den Backstage-Bereich geht. Dort warten die Ex-Kandidaten Marvin und Lydwine und spielen "Reporter". Dass sie das ein wenig unbeholfen machen, geht im Gesamtkontext aber unter. Denn die Frage, warum man hier auf Moderationsquereinsteiger setzt, erübrigt sich in einer Show, die von Heidi Klum moderiert wird.

Warum wirklich Male-Models dabei sind

Die Zahl der holprigen Nonsens-Gespräche ist an diesem Abend also überdurchschnittlich, aber es sind auch ein paar Trash-TV-Perlen dabei. Zum Beispiel, als sich Klum neben Designer Wolfgang Joop niederlässt. Joop war bereits selbst Juror bei GNTM, muss sich nun als Veteran Fragen von Klum stellen lassen. "Bist du denn eigentlich sauer auf mich?", fragt Klum, weil sie nun zum ersten Mal männliche Models dabei hatte, ihn jedoch nicht. Joops Antwort: "Eigentlich hab ich dir das damals vorgeschlagen." Und als Klum wissen will, ob Joop die aktuelle Staffel verfolgt habe, kommt ein erfrischendes "Nee".

Ergibt Joops Anwesenheit inhaltlich einen Sinn, ist der bei Klums nächstem Gast nicht auf den ersten Blick erkennbar. Auf den zweiten und dritten leider auch nicht. Mit einem "Ich mach' mal einen Themawechsel: Habt ihr den eigentlich Spitznamen?", wendet sich Klum an ihre Models, aber nur, um dann Fußballweltmeister Bastian Schweinsteiger zu sich zu bitten. "Viele werden sich jetzt fragen: Was macht Schweini bei der Heidi?", smalltalkt Klum zum Einstieg und Schweinsteiger ist souverän genug, zu antworten: "Warum ich hier bin, weiß ich auch nicht."

Klum versucht dennoch irgendwie ein Gespräch in Gang zu bringen, Schweinsteiger als Kandidat in die nächste Staffel zu quatschen und fragt, warum er denn nicht den FC Bayern trainiere, wo die doch gerade einen Trainer gesucht haben. "Ich hab keinen Trainerschein", so Schweinsteigers simple Erklärung und man kann sich gut vorstellen, dass er dieses Versäumnis in den nun folgenden Minuten bitter bereut hat, denn Klum hat den Weltmeister als Ball-Anreicher für das Live-Fotoshooting vorgesehen.

Augen auf bei der Rente!

Also kickt Schweinsteiger nun Bälle auf ein Fußballtor, in dem die Final-Models in Fantasie-Trikots herumspringen, während Fotograf Rankin ein paar Schnappschüsse macht. Selten war "Germany's Next Topmodel" weiter von einer seriösen Modelsuche entfernt, als in diesem Moment und für Bastian Schweinsteiger muss es das härteste Finale seiner Karriere gewesen sein. 2014, als er sich blutend über den Rasen des Maracanã-Stadions schleppte, war ein Kindergeburtstag dagegen. So kann er sich sein Karriereende jedenfalls nicht vorgestellt haben und wenn doch, dann gebührt ihm an dieser Stelle großer Dank.

Denn die Szenen mit Schweinsteiger zeigen, wie absurd diese Show ist. Denn immer, wenn Schweinsteiger etwas sagt, lässt er ein bisschen Realität in die Veranstaltung und es fühlt sich an wie ein kleiner Stoß Frischluft, wenn einem schon ein bisschen schwindelig ist vor lauter Sauerstoffmangel. Ein Beispiel? Klum fragt Schweinsteiger: "Bastian, hast du schon mal einen TikTok-Dance gemacht?" Schweinsteiger verneint und fährt fort: "Ich hoffe, es bleibt dabei." Ist es, an zwei anderen Stellen weichen die Kandidaten allerdings vom Protokoll ab.

Als die Zwillinge Luka und Julian ausscheiden, wollen sie Klum unbedingt noch eine Tanz-Choreografie zeigen, die sie einstudiert haben und bringen so noch einen "Mama, guck mal, was ich schon kann"-Moment in die Show. Einen Moment der Aufmerksamkeit erbittet sich auch Kandidat Armin. Der bereitet einen Antrag für Kollegin Grace vor und man schaut sich schon ängstlich um, ob nicht Thomas Gottschalk als Trauzeuge um die Ecke kommt. Die 2019er-Gaga-Hochzeit von Ex-Kandidatin Theresia Fischer im Finale sitzt immer noch zu tief. Doch Armin hat lediglich eine "Willst du mit mir gehen"-Version im Programm und ja, sie will.

Kiste auf, Topmodels da

Doch weil Klum im Finale offenbar nicht nur Klamauk haben will, guckt sie zwischendrin mal in Schrödingers Kiste und holt die "toten" Models raus. Fabienne muss als Erste gehen, weil "Nochmal einen riesengroßen Applaus für Fabienne. Danke, dass du dabei gewesen bist", so Klums Erklärung. Eine ähnlich gründliche, fast schon ausufernde Begründung für ihr Erstrunden-Aus erhalten die Zwillinge Luka und Julian: "Ihr habt euch ganz tapfer geschlagen." Die nehmen das klaglos hin, auch wenn man erwartet hätte, dass sie eine bessere Begründung dafür hören wollen, warum sie auf die 100.000 Euro Preisgeld verzichten sollen.

Aber Begründungen waren noch nie so Klums Ding, besonders im Finale nicht und daher sagt Klum auch diesmal wieder Sätze wie "Das Ding ist, ihr habt das alle super gemacht", "Ich weiß überhaupt nicht, wie ich mich entscheiden soll" oder "Auch heute hatte ich an meinen Models nichts zu meckern". Und so fragt die gespielt ahnungslose Klum zwischendrin Bastian Schweinsteiger nach seinen Favoriten, doch der antwortet erneut erfrischend ehrlich: "Warum fragst du denn mich?" Wäre Klum genauso ehrlich, hätte sie daraufhin gesagt: "Weil es völlig wurscht ist, wer hier gewinnt."

Denn als seriöse Modelsuche, als die sich die Show immer noch verkauft, taugt das Ganze natürlich immer noch nicht, als TV-Unterhaltung, erst recht als gute, ebenfalls nur bedingt. Dafür waren zu viele Mikrofone noch offen, wo sie es nicht sein sollten, gab es Timing-Probleme beim Ansehen der Fotos, Gespräche am Rande des Erträglichen, holprige Übergänge in der Moderation, Lichtershows zum Eier abschrecken und Skurriles wie einen Walk mit Alien-Unterwasser-Kostümen mit "ziemlich viel Physik drin", wie der Designer erklärt. Der grelle Wahnsinn eben. Und ganz am Ende öffnet Klum noch ein letztes Mal Schrödingers Kiste und holt die beiden neuen Topmodels Lea Oude und Jermaine Kothe heraus. Die sind zwar nach all dem erschöpft – aber am Leben.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.