Wenn man keine Skrupel hat, der Boulevard-Presse zu glauben, scheint man schon alles über Boris Becker zu wissen. Der RTL-Film "Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon" wollte am Donnerstagabend nun die Anfangsjahre von Beckers Erfolgen zeigen. Das macht er auch, doch der eigentliche Star des Films ist ein anderer.

Christian Vock
Eine Kritik
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Es beginnt mit einer Szene, die sich so wahrscheinlich tausendfach in Deutschland Mitte der 1970er Jahre abgespielt hat. Mädchen fahren in einem Wohnviertel auf Rollschuhen an parkenden Autos vorbei. Ein Mann wäscht vor seinem Haus seinen Mercedes mit der Hand. Nachbarn stehen zum Plaudern mitten auf der Straße, während ein Teenager mit seinem Bonanza-Rad um sie herum kurvt. Alles scheinbar ganz normal. Nur eines ist an dieser Szene ungewöhnlich.

Denn vor einer Garage steht ein siebenjähriger Junge ganz alleine, den Tennisschläger in der einen, den Ball in der anderen Hand, das Garagentor ist mit Dellen übersät. Dass dieser Junge dort alleine steht, während die anderen Kinder sich mit anderen Dingen die Zeit vertreiben, liegt daran, wer dieser Junge ist: Boris Becker. Denn erst, als Becker Jahre später zum Sportidol aufgestiegen ist, stehen plötzlich auch andere Kinder vor den Garagentoren der Republik und schlagen Dellen ins Blech.

Und von genau dieser Reise vom Tennistalent zum Wimbledonsieger erzählt der Film "Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon", der am Donnerstagabend bei RTL zu sehen war. "Der Film zeigt die Kompromisslosigkeit des Profisports, den harten Kampf nach oben und gibt Einblicke in die Psyche und das Leben des Ausnahmesportlers", heißt es im Pressetext des Films. Aber das ist nur die halbe Wahrheit und noch nicht einmal die.

Ion Tiriac über Becker: "Warum flucht der Junge so viel?"

Denn zum einen ist der Film keine Dokumentation über den jungen Boris Becker, sondern eine Mischung aus Spielfilm und Videoausschnitten von damals, eingebettet in historische Fakten. Mit anderen Worten: Die wichtigsten Ereignisse stimmen, der Rest ist weitgehend ausgedacht, "das gilt vor allem für die Dialoge und die Darstellung der privaten Beziehungen der Beteiligten", wie gleich zu Beginn des Films kenntlich gemacht wird.

Zum anderen ist der Film nicht nur die Reise von Boris Becker zum Wimbledonsieger, sondern auch die Reise von Günther Bosch zum Wimbledonsiegertrainer. Und die beginnt im Film, wie könnte es anders sein, auf dem Tennisplatz. Dort wird Bosch (Samuel Finzi) Zeuge, wie der kleine Boris Becker (Balthazar Zeibig) nicht nur sein herausragendes Talent und seinen Ehrgeiz zeigt, sondern auch seinen Hang zum Ausrasten, wenn es mal nicht läuft. "Hat sich nicht im Griff, der Junge", erklärt eine Zuschauerin Günther Bosch, doch der erkennt den Wert der Szene: "Trotzdem haben Sie ihm zugeschaut."

Später wird ihm genau das nützen, als er seinen rumänischen Landsmann Ion Tiriac (Mišel Matičević) in Monaco überzeugen möchte, Becker (Bruno Alexander) als Manager zu betreuen. Denn Tiriac hat keine hohe Meinung von dem extrovertierten Teenager: "Aber warum flucht der Junge so viel? Tennis ist ein Spiel für reiche Leute. Schöne Menschen in weißer Kleidung. But look at him: Schmeißt sich in Dreck, sieht aus wie ein Schwein und flucht ganze Zeit." Erst als Bosch wieder eine Zuschauerin anspricht und diese antwortet "This boy is so entertaining", ändert Tiriac seine Meinung und managt Becker.

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Boris Becker – von Leimen an die Weltspitze

Bis dahin war es bereits ein langer Weg für Günther Bosch, der das Ausnahmetalent Beckers erkennt und keine Angst vor den Ausbrüchen seines Schützlings hat. Beim Deutschen Tennisbund (DTB) sieht man das anders: "Viel zu unkonstant in seinen Leistungen, nicht durchtrainiert genug und er benimmt sich wie ein Flegel", heißt es dort im Film über Becker. Doch Bosch setzt sich für Becker ein, und als der DTB die Zusammenarbeit mit Bosch wegen eines Dumme-Jungen-Streichs Beckers beendet, nimmt der Tennistrainer den jungen Leimener unter seine persönlichen Fittiche.

Und so beginnt die gemeinsame Reise der beiden, Becker zur Nummer eins in der Welt zu machen, denn nicht nur das Talent Beckers ist riesig, sondern auch sein Ehrgeiz: "Der Zweite ist der erste Verlierer." Die harten Fakten dieser Reise kann man in Tennisgeschichtsbüchern nachlesen. Sieg bei den Juniorenweltmeisterschaften 1985, im selben Jahr die Siege im Queen’s Club und natürlich im Wimbledon-Finale gegen Kevin Curren als erster Deutscher und jüngster Spieler in der Geschichte des Turniers und im Jahr darauf die Titelverteidigung gegen Ivan Lendl.

Bosch scheint den Wüterich von einst gezähmt zu haben und so endet die gemeinsame Reise erst – oder schon – als er wegen Beckers neuer Freundin und dessen Erfolg wieder die Kontrolle über seinen Schützling verliert: "Ich hab jetzt zweimal Wimbledon gewonnen. Ich bin kein One-Hit-Wonder. Ab jetzt mach ich die Regeln", wirft ihm Becker vor die Füße. Und als Tiriac ihm mit einem "Boris ist Weltklassespieler, was fehlt, ist Weltklassetrainer" auch noch die Schuld an Beckers Undiszipliniertheiten gibt, schmeißt Bosch hin.

"Der Rebell": Das ist der eigentliche Star des Films

Es ist also nur eine relativ kurze Zeitspanne, die Bosch-Ära, die "Der Rebell" abdeckt, und das gelingt über den gesamten Film eigentlich ganz gut. Eigentlich, weil es keine wirkliche Handlung gibt. Stattdessen ist "Der Rebell" mehr oder weniger eine Aneinanderreihung von markigen Szenen. Etwa, als Ion Tiriac dem DTB mit den Worten "Boris ist meiner" ein paar Bündel Tausender auf den Tisch schüttet. Das sind jeweils starke Szenen, auch wenn sie oft genug mit dem Soundtrack dieser Zeit, von "Take on me" bis "Walk this way" zu pathetisch zugekleistert werden.

Trotzdem gelingt es dem Film, den Zuschauer eine Beziehung zu den Figuren aufbauen zu lassen, insbesondere zu Günther Bosch, den Samuel Finzi wirklich herausragend und mit viel Liebe zum Detail charakterisiert. Dazu kommen Mišel Matičević als etwas zu klischeehafter Erfolgsmanager Ion Tiriac und natürlich Bruno Alexander, der dem erwachsenen Becker mehr als nur die Facette des ehrgeizigen Wüterichs gönnt. Da ist es in den jeweiligen Szenen egal, ob sie sich so, nur so ähnlich oder überhaupt nicht so abgespielt haben. Da ist der Spielfilm einfach nur Spielfilm mit einem Rahmen, der einem bekannt vorkommt.

Das macht das Ganze ein bisschen zu einer behaglichen Nostalgiereise in eine scheinbar heile Zeit. Die ist nett anzusehen, taugt aber natürlich nicht als Becker-Biografie, weil "Der Rebell" eben nur ein Spielfilm ist. Auch wenn man Becker die letzte Szene gönnt, bleibt es doch Bosch, über den man eigentlich gerne noch mehr wissen würde. Und so ist es mehr als in Ordnung, dass Günther Bosch dank Samuel Finzi der eigentliche Star des Films ist.

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