Jutta Speidel hat in diesem Jahr ihren ersten Roman veröffentlicht und spielt in ihrem neuen Film "So weit kommt's noch" (am 29.09. um 20.15 Uhr im ZDF) bereits zum zweiten Mal die Mutter von Annette Frier.
Im Interview spricht die 70-Jährige über ihre wichtigsten Rollen, ihren Umgang mit Kritik und über Empathie und Respekt in der Gesellschaft.
Frau
Jutta Speidel: Ich gehe gar nicht shoppen, aber ich weiß natürlich, worauf Sie anspielen wollen.
Darauf kommen wir gleich noch zu sprechen. Doch zunächst: Warum gehen Sie nicht shoppen? Weil Sie alles online bestellen?
Online bestellen? Ich? Nein, das mache ich nie (lacht). Ich bin allerdings auch nicht der Typ, der gezielt shoppen geht. Wenn ich aber zum Beispiel in einer anderen Stadt an einem schönen Paar Schuhe oder an einem schönen Kleid vorbeikomme, dann probiere ich die Sachen einfach an. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal in München bewusst in die Stadt gegangen bin, um mir etwas zu kaufen. Das müsste locker zehn Jahre zurückliegen.
Der Film beginnt mit einer Szene, in der Bärbel Schmitz (gespielt von
Wunderbar. Ich durfte nun schon zum zweiten Mal Annettes Mutter sein. Schon in dem Film "Sophie kocht" habe ich diese Rolle – auf eine sehr lustige Art und Weise – eingenommen. Wir passen einfach gut zusammen. Insofern war es ein Wunsch der Produktion und ich glaube, auch von Annette, erneut in dieser Konstellation zusammenzuarbeiten. Für mich war es eine runde Sache, zumal ich auch
Schauspielerin Jutta Speidel plädiert für mehr Themenvielfalt in deutschen Filmen
Es geht um Solidarität und Hilfsbereitschaft auf der einen und Sehnsucht und Romantik auf der anderen Seite. Kommt diese Themenvielfalt in deutschen Produktionen heutzutage häufig zu kurz?
Dass du emotional breit bedient wirst, müsste eigentlich Inhalt eines jeden Films sein. Mit Blick auf die Genres ist es meiner Meinung nach in Deutschland schon ein Problem, dass viele Filme Mainstream-mäßig in nur eine Richtung gehen. Häufig liegt der Fokus darauf, die Vorgaben abzuhaken. Das führt oft dazu, dass dem Film auf der anderen Seite eine ganze Menge fehlt.
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Sie sprechen von einem "deutschen Problem". Was können wir von internationalen Produktionen lernen?
Wenn ich in andere Länder schaue, bin ich oft positiv überrascht, wie viel dort in einen Film gepackt wird. Du schaust dir einen Film im Kino an und gehst danach mit ganz vielen verschiedenen Gedanken im Kopf nach Hause. Das finde ich toll.
Und dieses Aha-Erlebnis ist bei "So weit kommt's noch" gegeben?
Meines Erachtens schon, denn auch meine Rolle, nämlich die der Oma Polke, hat einen schönen Bogen. Andernfalls hätte ich es gar nicht erst gemacht. Diese Oma Polke bringt eine gewisse Altersweisheit mit. Sie hat – genauso wie ich selbst – die lockeren, lässigen 70er- und 80er-Jahre miterlebt. Diese Zeit war so prägend, dass man im Gegensatz zu den Menschen, die nachgewachsen sind, mit einer anderen Haltung durchs Leben geht. Ich empfinde das als einen großen Vorteil, weil wir auf eine Zeit zurückblicken können, in der Deutschland anders getickt hat. Oma Polke, die in einem Altersheim lebt, genießt dort eine gewisse Narrenfreiheit, zum Beispiel ist sie ja ordentlich am Zocken. Und es zieht sie immer wieder zu ihrem Nachbarn hin. Im Grunde genommen macht sie das, was sie will – und das gefällt mir.
Ergeht es Ihnen persönlich ähnlich? Machen Sie mit zunehmendem Alter nur noch das, was Sie wirklich wollen?
Ich glaube, dass das bei mir angeboren ist. Ich habe schon immer das gemacht, was ich will. Dennoch habe ich in meinem Leben viel dazugelernt und bin immer neugierig geblieben. Nicht einzuschlafen und stehenzubleiben, ist mir nach wie vor sehr wichtig. Ich möchte mich weiterhin an der Welt beteiligen.
Widmen Sie sich neben Ihrem Beruf heute besonderen Hobbys, um sich an der Welt zu beteiligen?
Bei mir brummt das Leben, sodass ich keine besonderen Hobbys brauche. Von meinem Beruf über mein privates Familienleben bis hin zu "Horizont e.V.", mein Verein für obdachlose Kinder und Mütter: Ich stehe auf unterschiedliche Art und Weise in diesem Leben. Zudem schreibe ich Bücher. Anfang des Jahres ist mein erster Roman ("Amaryllis"; Anm. d. Red.) erschienen. Ich bin offen für ein weiteres Buch und habe auch bereits Ideen im Kopf, die jedoch mit intensiven Recherchen verbunden sind. Da der Tag nur 24 Stunden hat, weiß ich noch nicht, wann ich das schaffen soll. Aktuell befinde ich mich auf Lesereise durch ganz Deutschland, mit 50 Terminen bis weit ins nächste Jahr hinein. Nimmt man noch die Dreharbeiten hinzu, dann ist das schon gewaltig.
Teppiche verlegen und Wände streichen: Jutta Speidel "kann alles Mögliche"
Wäre ein Hobby da nicht der perfekte Ausgleich?
Also, einem klassischen Hobby bin ich in meinem ganzen Leben noch nie nachgegangen – in dem Sinne, dass ich irgendetwas gebastelt hätte. Ich kann alles Mögliche, sei es Teppich verlegen, Wände streichen oder Mauern bauen. Mein Vater hat damals einen Kerl an seiner Seite gebraucht – und der war nun einmal ich. Letztendlich sollte mir das später zugutekommen, da ich in meinem Leben immer Männer mit fünf linken Daumen hatte (lacht).
Anstatt Teppiche zu verlegen, helfen Sie heute lieber obdachlosen Kindern und Müttern. Tut man letztlich sogar mehr für sich selbst, wenn man anderen hilft?
Ja, natürlich. Aber darüber mache ich mir keine Gedanken. Worüber ich mir Gedanken mache, ist, dass das, was ich tue, das Richtige ist. Das Konzept muss stimmen – und das gilt für alle Bereiche. In dieser Gesellschaft ist das Miteinander ziemlich abhandengekommen. Jeder spürt es und redet darüber, doch keiner verhält sich dementsprechend. Ausnahmen bestätigen die Regel. Doch im Großen und Ganzen hat unsere Gesellschaft deutlich an Empathie und Respekt vor den Mitmenschen eingebüßt.
Was tun Sie, um Ihren Teil zu einer Besserung beizutragen?
Mit der Frage "Was müsste man tun?" beschäftige ich mich jeden Tag. Ich bin der Meinung, dass man präventiv arbeiten muss. Bei "Horizont e.V." machen wir das bereits mit den ganz kleinen Kindern. Bildung ist das A und O. Immer wenn ich den Fernseher einschalte, höre ich ein rudimentäres Deutsch – weil es anscheinend gerade in ist, dass man so dumm daherredet. Die Kinder tragen daran aber keine Schuld, sondern die Erwachsenen, die sie nicht korrigieren. Dazu gehört auch, dass wir wieder lernen, auch mal eigene Fehler einzugestehen und nicht jede Kritik persönlich zu nehmen …
… und eben nicht mit dem Ausspruch "So weit kommt's noch" zu reagieren. Wann haben Sie das zuletzt gesagt?
"So weit kommt's noch" habe ich in der Tat schon lange nicht mehr gesagt, auch wenn ich damit natürlich aufgewachsen bin. Warum sagt man diesen oder ähnliche Sätze heute seltener? Vermutlich hängt auch das damit zusammen, dass sich kaum noch jemand traut, Kritik anzubringen.
Sie erwecken den Eindruck, dass Sie damit weniger Probleme haben. Oder täuscht das?
Nein, der Eindruck täuscht nicht. Man muss ja nicht jeden Shitstorm lesen, der in den Medien oder sozialen Medien verbreitet wird. Ich bewege mich da nicht. Es interessiert mich wirklich überhaupt nicht, was andere Menschen über mich denken. Vielmehr empfange ich das, was mir tagtäglich auf der Straße oder in Telefongesprächen entgegengebracht wird.
Weil sich diese Menschen nicht hinter der Anonymität verstecken?
Das ist die Feigheit. Das ist eines der am weit verbreitetsten Übel unserer Gesellschaft. Und dazu kommt die Angst. Viele trauen sich nicht, öffentlich etwas zu sagen oder zu wagen – auf die Gefahr hin, dass es von anderen eben kritisch gesehen wird. Auch Bärbel, um auf den Film zurückzukommen, hat sich nicht getraut, sondern die Geschichte mit dem Hilferuf zunächst mit sich selbst ausgemacht. Prompt tappte sie in die Falle und musste Lehrgeld zahlen.
"Um Himmels Willen", um es mit dem Titel der Serie auszudrücken, die Sie als Schwester Lotte mitgeprägt haben. Wie lief das große Wiedersehen in diesem Sommer?
Einige waren ja leider nicht dabei, weil sie nicht mehr unter uns sind (u.a. Fritz Wepper, Karin Gregorek und Horst Sachtleben; Anm. d. Red.). Dennoch habe ich mich über das eine oder andere Wiedersehen sehr gefreut, zum Beispiel mit unserem Oberbeleuchter. Mit ihm habe ich auch fünf Jahre lang bei "Alle meine Töchter" zusammengearbeitet. Ein toller Mensch. Als erstaunlich empfand ich allerdings eine Rede über die Entstehung der Serie "Um Himmels Willen" …
Inwiefern "erstaunlich"?
Nun ja, ich bin damals von einer Produzentin angesprochen worden, die nicht mehr hatte als eine DIN A4-Seite mit Stichpunkten. Ich erinnere mich noch gut an ein Treffen mit ihr und dem Autoren. Sie haben mir von ihrer Idee erzählt und ich habe von Anfang an inhaltlich maßgeblich daran mitgearbeitet – und zwar, indem ich den Hinweis gegeben habe, dass Nonnen als Businessfrauen dargestellt werden sollten. So etwas hat es im deutschen Fernsehen bis dahin noch nie zu sehen gegeben. Merkwürdigerweise ist mein Name bei dieser langen Rede im Rahmen des Wiedersehens nicht einmal gefallen. Offensichtlich sind die letzten 15 Jahre, in denen ich nicht mehr dabei war, in den Köpfen viel präsenter als der Grund, warum wir eigentlich mal angefangen haben. Wenn die Schwester Lotte in den ersten fünf Jahren nicht so erfolgreich gewesen wäre, hätte es auch keine Fortsetzung gegeben.
Über die Gesprächspartnerin
- Jutta Speidel ist eine deutsche Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin. Durch ihre Mitwirkung an erfolgreichen TV-Serien wie "Forsthaus Falkenau", "Alle meine Töchter" oder als Schwester Lotte in "Um Himmels Willen" avancierte sie in den 90er- und 00er-Jahren zu einer der bekanntesten Darstellerinnen in Deutschland. Die Münchnerin gründete 1997 die Initiative "Horizont e. V." für obdachlose Kinder und deren Mütter. Als Walross Waltraut überraschte Speidel 2022 bei "The Masked Singer", 2024 erschien ihr erster Roman "Amaryllis".
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