"Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen" - nicht zuletzt wegen Zeilen wie dieser und wegen des Echos für die Rapper Kollegah und Farid Bang diskutiert Deutschland gerade über Antisemitismus im Deutsch-Rap. Angesichts dieser Diskussion wiederholte das Erste am Donnerstagabend die Reportage "Die dunkle Seite des deutschen Raps". Die Kernfrage: "Ist deutscher Hip Hop antisemitisch?"
Wenn sich, wie gerade geschehen, sogar Helene Fischer zu einem politischen Thema öffentlich äußert, muss schon etwas Größeres passiert sein. In der Tat diskutieren Medien, Künstler, Politiker und wahrscheinlich auch der eine oder andere Normalbürger über die Vergabe des Echos an
Die ARD hat aufgrund der aktuellen Diskussion am späten Donnerstagabend sogar ihr Programm geändert und erneut die Reportage "Die dunkle Seite des deutschen Raps – Ist deutscher Hip Hop antisemitisch?" gezeigt.
Der Film von Viola Funk aus der Reihe "Die Story" geht der Frage nach, ob es Antisemitismus im deutschen Rap gibt und was dahinter steckt.
Stereotype oder Abbild der Realität?
Funk hat für ihren Film nach Indizien, Beweisen und Zeugen gesucht, die zumindest eine Annäherung an diese Frage liefern können. Klar ist: Deutscher Rap boomt und damit steigt auch der Einfluss der Rapper auf die Jugend.
Dieser Einfluss bezog sich, so Funks Einschätzung, bisher auf nicht minder bedenkliche Inhalte: "Sexismus und Homophobie, diese Vorwürfe gegen Rapper gibt es schon lange. Judenfeindliche Texte gab es bisher jedoch selten. Doch jetzt mehren sich die Vorwürfe. Was ist da dran?"
Ja, was ist da dran? Als wichtiges Beweismittel dienen Funk natürlich die Rap-Songs selbst. So zum Beispiel Lieder des Offenbacher Rappers Haftbefehl, der seinerzeit rappte: "Und ich ticke Kokain an die Juden von der Börse."
Der Rapper distanzierte sich mehrmals von dieser Liedzeile und auch sein ehemaliger Manager, Erfan Bolourichi, wiegelt ab: "Ob Haftbefehl ein Antisemit ist? Nein, das muss ich komplett verneinen und Lines wie 'Ich ticke Kokain an die Juden von der Börse – das ist die Realität, die wiedergegeben wird."
Schon wieder Kollegah
Linguistik-Professorin Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin sieht solche Zeilen kritischer und erkennt darin einen strukturellen Antisemitismus: "Struktureller Antisemitismus ist eine Form der Judenfeindlichkeit, die vor allem als Kapitalismuskritik herüberkommt und Juden wird eben schon seit Jahrhunderten unterstellt, dass sie vor allem für das raffende Kapital stehen."
Wie solche Sätze auf Jugendliche wirken, zeigt Funk an Offenbacher Teenagern: "Man macht es, um zu provozieren, das gehört einfach dazu. Es ist nicht richtig, aber es ist auch nicht böse gemeint", erklärt dort ein Jugendlicher und ein anderer fügt hinzu: "Wenn man geizig ist, wird man halt als Jude bezeichnet – aber, mein Gott."
Gleichzeitig versuchen sich zumindest diese Jugendlichen an einer Einordnung der Zeilen: "Ich kenne niemanden, der sich das zu Herzen nimmt. Das ist doch nur Musik, das ist Kunst. Also von daher."
Das zweite Beispiel für Antisemitismus, das die Reportage vorbringt, ist das Werk des Rappers Kollegah, der auch in der aktuellen Debatte im Mittelpunkt steht. Hier konzentriert sich Funk vor allem auf das Video des Songs "Apokalypse", bei dem es um den Kampf der Menschheit gegen das Böse geht.
Wissenschaftler Jakob Baier erkennt in dem Video klar antisemitische Botschaften: "In einer sehr kurzen Sequenz ist dieser Stellvertreter, der Diener des Teufels, zu sehen und an seiner Hand trägt er einen Ring mit einem Davidstern. Hier wird der Stellvertreter des Teufels, des Bösen, als jüdisch markiert. In Kombination mit dem, was Kollegah dazu rappt und was oben links im Text steht, ist es eine eindeutig antisemitische Darstellung."
Neben dieser Symbolik findet Baier noch andere "antisemitische Deutungsangebote" in Kollegahs Video. Der wiederum weist zumindest in der Bedeutung des Davidsterns antisemitische Absichten auf Anfrage in einer Instagram-Story von sich. Kollegah erkennt in dem Davidstern lediglich ein Hexagramm.
"Sie ist Jüdin? Oh Gott!“
Das Problem mit den Songtexten, das wird durch die Reportage klar, liegt in ihrer Interpretierbarkeit und dem Kampf um die Deutungshoheit. Gleichzeitig fehle es vielen Künstlern am Bewusstsein darüber, wo Antisemitismus anfängt, wie Marc Leopoldseder, ehemaliger Chefredakteur des "splash!Mag" erklärt.
Der Kenner der Rap-Szene berichtet, dass sich viele ihrer antisemitischen Zeilen gar nicht bewusst seien. Antisemitismus im Rap sieht er aber nicht als Besonderheit des deutschen Hip Hop: "Natürlich gibt es Antisemitismus im Deutsch-Rap. So wie es ihn auch im Rest der Gesellschaft gibt."
Zu einer anderen Wahrnehmung gelangt PA Sports, ein Rapper aus Essen: "Es gibt keinen Antisemitismus im Rap", behauptet der Musiker, und auch Manager Bolourichi verneint jeglichen Antisemitismus in der Szene: "Ich bin seit 15 Jahren in diesem Bereich tätig und ich kenne keine einzige Person, die wirklich Antisemit ist."
Ganz Anderes hat da Rap-Promoterin Marina Buzunashvilli erlebt: "Am meisten äußert sich der Antisemitismus im deutschen Rap hinter den Kulissen", berichtet die Jüdin von ihren Erfahrungen, wenn etwa ihre Religionszugehörigkeit bekannt wird: "Sie ist Jüdin? Oh Gott!". Solche Äußerungen hat Buzunashvilli selbst erlebt und erzählt: "Es gab Künstler, die nicht mit mir zusammenarbeiten wollten wegen meiner Religion."
Wie antisemitisch ist deutscher Rap denn nun?
Funks Reportage ist gerade in der aktuellen Diskussion ein Glücksfall. Sie versucht ein möglichst objektives Bild vom Antisemitismus in der deutschen Rap-Szene zu zeichnen und lässt Kritiker wie Kritisierte gleichermaßen zu Wort kommen, begleitet von Wissenschaftlern, die sich mit Antisemitismus im Allgemeinen und dem im deutschen Rap im Besondern beschäftigt haben.
Eine Antwort auf die Frage, wie antisemitisch deutscher Rap ist, muss sich der Zuschauer hingegen am Ende selbst geben.
Es gibt Betroffene und Wissenschaftler, die ganz klar Antisemitismus in der Brache und in Songs benennen. Auf der anderen Seite zeigt die Reportage die Künstler selbst, die die Vorwürfe mit der Begründung relativieren und zurückweisen, dass die Texte nicht so gemeint oder Fiktion seien, die wahrgenommene Realität und den Alltag wiedergäben oder mit den Besonderheiten des Battle-Raps zu erklären seien.
Argumente, die Daniel Neumann nicht gelten lässt. Der Direktor des Landesverbands der jüdischen Gemeinden in Hessen hat selbst mit Kollegah über dessen Werk diskutiert und ihm versucht zu erklären, "dass es völlig irrelevant ist, ob er Antisemit ist oder nicht, dass es mir auch völlig egal ist, was er denkt, weil es darauf ankommt, was er tut und darauf ankommt, was er singt und welche Textzeilen er verbreitet. Und wenn die antisemitische Stereotype verbreiten und wenn die antisemitische und judenfeindliche Inhalte haben, dann ist es mir völlig egal, was Kollegah als Person in seinem Kopf mit sich herumträgt."
Die Reportage "Die dunkle Seite des deutschen Raps – Ist deutscher Hip Hop antisemitisch?" ist aktuell in der ARD-Mediathek zu sehen.
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