"40 Jahre Musikvideos", das klingt nach abgehalfterten Popstars, die alte Clips kommentieren. Ganz so schlimm ist am Ende nicht. Thomas Gottschalk führt durch ein Stück Zeitgeschichte, unterstützt von den Helden einer ganzen Generation: den VJs. Und am Ende kommt tatsächlich so etwas wie Nostalgie auf.

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Thomas Gottschalk hat ein Problem. Er steckt in der Nostalgie-Falle. Egal, was er tut, alles wird mit "Wetten, dass..?" verglichen. Wie sollte es auch anders sein. Wer einmal Europas größte Fernsehshow moderiert hat, kann nur daran gemessen werden. Egal ob Klassentreffen oder Late-Night-Show, Gottschalk machte irgendwie weiter - mit mäßigem Erfolg. Es war, als versuche Mick Jagger bei Revolverheld einzusteigen. Mittlerweile scheint das auch der "herbstblonde" Moderator eingesehen zu haben. In Interviews streut er seit neuestem ein, dass er sich eine Rückkehr zu "Wetten, dass..?" durchaus vorstellen könne.

Bis es soweit ist, leistet er seinen Vertrag bei RTL ab. Aktuell mit der dreiteiligen Dokureihe "40 Jahre Musikvideos", die am Freitag gestartet ist. Das klingt zunächst nach dem Schlimmsten. Oldie-Sendungen hat man Gottschalk schon einige moderieren sehen. Das erinnerte meist an die peinlichen Momente, wenn Papa auf Muttis 60. nachts um vier noch einmal die Deep-Purple-Platten auflegte und die Luftgitarre auspackte. Ganz so schlimm ist nicht geworden. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass Thomas Gottschalk nicht moderiert, sondern nur aus dem Off kommentiert. Nostalgie umweht aber trotzdem die komplette Show.

Ein verlorener Berufsstand

Das liegt schon allein daran, dass diejenigen, die vor der Kamera sitzen, Mitglieder eines verlorenen Berufsstandes sind: VJs, Video Jockeys. Also diejenigen, die die Musikvideos einst ansagten. Eine beachtliche Riege hat sich für die Show zusammengefunden: Steve Blame (MTV Europe), Anastasia Zampounidis (MTV Deutschland), Ingolf Lück ("Formel Eins"), Nilz Bokelberg (Viva), Collien Fernandes (VIVA) und Markus Kavka (MTV). Dabei sprechen sie über etwas, das es eigentlich gar nicht mehr gibt: Musikvideos. Früher liefen sie auf Musiksendern auf und ab, heute muss man im Internet schon gezielt danach suchen.

Startend in den späten 60ern und frühen 70ern hastet die Show durch die Jahre, zeigt erste Versuche von Queen, ABBA und Cher, um schließlich da zu landen, wo alles wirklich begann: 1981, als MTV auf Sendung ging. Welche Bedeutung der Sender über Jahrzehnte hatte, kann sich die heutige Jugend, die mit Katzenvideos und Unboxing-Clips aufwächst, kaum noch vorstellen.

Zwischen Werbung und Anspruch

Ein Fernsehsender sorgte dafür, dass Pop den Weg ins kleinste Dorf fand. Und er entschied gleichzeitig, wer Erfolg hatte und wer nicht. Michael Jacksons Video zu "Thriller", das natürlich auch in der Sendung vorkommt, machte aus dem Sänger den größten Popstar aller Zeiten. Nena hingegen schaffte es in Deutschland mit einem schrottigen Video zu "99 Lufballons". Gleichzeitig zeigt "40 Jahre Musikvideos" aber auch, dass die bunten Bildchen durchaus Anspruch hatten. Visuelle Möglichkeiten paarten sich mit politischen Botschaften. Etwa in U2s "Sunday Bloody Sunday" oder "Brothers In Arms" der Dire Straits. Heute fast schon unvorstellbar.

Und vielleicht funktioniert diese Nostalgie-Show am Ende genau deswegen irgendwie doch. Weil sie einen Rückblick gibt auf etwas, das wir alle verloren haben. Eine Zeit, in der die Musik ein visuelles Massenmedium. "Ich finde es sehr schade, dass es solche Clips heute nicht mehr gibt", sagt Collien Ulmen-Fernandes irgendwann in der Sendung. Und trotz aller süßlicher Nostalgie in diesen 45 Minuten muss man sich eingestehen: Sie hat recht.

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