Das "Gewissen Amerikas" ist verstummt: Toni Morrison widmete ihr Leben dem Schreiben gegen Rassismus in den USA. Nun ist die Literaturnobelpreisträgerin im Alter von 88 Jahren gestorben.
New York (dpa) - Rund ein halbes Jahrhundert lang hat Toni Morrison den Rassismus in den USA angeklagt. 1993 brachte ihr unter anderem dieses künstlerische Engagement den Literaturnobelpreis ein - als erster Afroamerikanerin überhaupt. Morrison wurde zu einer der wichtigsten Schriftstellerinnen in der Geschichte der USA und zum "Gewissen Amerikas", ihre Werke verkauften sich millionenfach.
Am Montagabend starb Morrison im Alter von 88 Jahren, wie ihr Sprecher Paul Bogaards der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag bestätigte. Die Nobelstiftung würdigte sie als "eine der stärksten und einflussreichsten literarischen Kräfte unserer Zeit".
Fans in tiefer Trauer
Auch zahlreiche Kollegen und Fans verliehen ihrer Trauer über den Tod der Schriftstellerin öffentlich Ausdruck. "Danke, Toni Morrison, für die Schönheit, die du in unserer Welt enthüllt hast", schrieb Apple-Chef Tim Cook bei Twitter. "Ruhe in Frieden." Die TV-Produzentin Shonda Rhimes ("Grey's Anatomy") schrieb, Morrison sei ihr Vorbild gewesen. "Sie hat mich verstehen lassen, dass der Beruf der Autorin ein ehrenwerter ist. In meiner Kindheit wollte ich immer nur wie sie werden. Ein gemeinsames Abendessen werde ich nie vergessen."
Die wortgewaltige Autorin, die im Alter mit gesundheitlichen Problemen kämpfte und im Rollstuhl saß, arbeitete bis zuletzt. 2017 erschien ihr Roman "Gott, hilf dem Kind" auf Deutsch, 2018 ihre Essays "Die Herkunft der anderen: Über Rasse, Rassismus und Literatur".
Ihre Mission sah Morrison allerdings bis zuletzt nicht als erfüllt an - und mahnte mit teils drastischen Worten. "Ich will sehen, wie ein schwarzer Polizist einen unbewaffneten weißen Teenager in den Rücken schießt. Und ich will sehen, wie ein weißer Mann verurteilt wird, der eine schwarze Frau vergewaltigt hat. Und wenn man mich dann fragt: "Ist es vorbei?", dann sage ich: "Ja"."
Schreiben befreite Toni Morrison
"Beim Schreiben bin ich frei von Schmerzen", sagte die große, selbstbewusste Frau mit den dichten grauen Haaren einmal dem Radiosender NPR. "Das ist der Ort, an dem ich lebe, an dem ich die Kontrolle habe, wo niemand mir sagt, was ich machen soll, wo meine Kreativität fruchtbar ist und ich am allerbesten bin." Ihre Schreibweise verglich sie gerne mit der Kunst eines Gourmetkochs. "Ich schreibe so, dass der Leser meine Worte lustvoll genießen kann, kostet, dann pausiert und schließlich weiter schwelgt."
Alles begann 1970 mit dem Roman "Sehr blaue Augen", in dem sie beschrieb, was es hieß, als Schwarze aufzuwachsen. Es war das Buch, das sie immer habe lesen wollen, das es aber noch nicht gab, wie Morrison gerne erzählte. Also stand die geschiedene alleinerziehende Mutter zweier kleiner Söhne jeden Morgen um vier Uhr auf und schrieb es. Danach ging sie zu ihrem Job als Lektorin in einem großen Verlagshaus. "Sehr blaue Augen" wurde ein von Kritikern gefeierter Erfolg.
Literaturnobelpreis und Princeton-Proffessur
Es folgten weitere Erfolgsromane wie "Sula", "Solomons Lied", "Teerbaby", der Sklavenroman "Menschenkind", "Jazz" und das 500-Seiten-Werk "Paradies", das viele Kritiker als Morrisons bestes ansehen. 1993 erhielt sie den Literaturnobelpreis. Er wurde ihr verliehen, weil sie in ihren Romanen, "die sich durch visionäre Kraft und poetischen Import auszeichnen, einen wesentlichen Aspekt der amerikanischen Realität zum Leben erweckt", wie die Schwedische Akademie zur Begründung schrieb.
Nebenbei lehrte die 1931 in der Kleinstadt Lorain im US-Bundesstaat Ohio als Chloe Wofford geborene Autorin jahrelang an der Eliteuniversität Princeton kreatives Schreiben. 2010 starb einer ihrer beiden Söhne an Krebs - ein Schicksalsschlag, mit dem Morrison lange kämpfte. "So etwas kann man nicht hinter sich bringen. Nicht mit einem Kind. Ein Kind soll einen begraben." © dpa
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