"Tatort"-Darsteller Jürgen Hartmann spricht im Interview mit unserer Redaktion über 15 Jahre als Stuttgarter Gerichtsmediziner, seine Drehbuch-Idee und Klischees über Pathologen.

Ein Interview

Der "Tatort" am Sonntag (19. November, 20:15 Uhr im Ersten) ist für Jürgen Hartmann ein ganz besonderer, da er die Idee zum neuen Fall "Vergebung" höchstpersönlich entwickelt hat. Wir haben bei dem Stuttgarter Schauspieler nachgefragt, warum es für ihn an der Zeit war, das Kellerdasein des Gerichtsmediziners Dr. Vogt zu beenden. Seit 15 Jahren verkörpert der 58-jährige Schwabe die Rolle des Pathologen an der Seite des Ermittler-Duos Richy Müller (Lannert) und Felix Klare (Bootz).

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Herr Hartmann, Sie haben einen großen Anteil an der Geschichte des Stuttgarter "Tatorts", der am Sonntag ausgestrahlt wird. Die Idee zu dieser Folge stammt nämlich von Ihnen. Werden Sie diesen Film dementsprechend mit besonderem Interesse verfolgen?

Jürgen Hartmann: Ja, natürlich. Ich habe mich dazu entschlossen, den Film am Sonntag mit Familie und Freunden zu gucken. Daher habe ich rund 30 Leute in eine kleine, nette Location in Bochum eingeladen. Ich werde allen Gästen eine Suppe ausgeben.

Welche Suppe steht auf dem Speiseplan?

Eine Kürbissuppe. Also nichts mit Blutwurst und dergleichen (lacht).

Warum war es für Sie an der Zeit, dem Gerichtsmediziner Dr. Daniel Vogt, den Sie seit 15 Jahren verkörpern, einen persönlichen Handlungsstrang zu geben?

Es war Notwehr (lacht). In erster Linie bin ich Schauspieler und der Dr. Vogt ist eine meiner Lieblingsfiguren – natürlich möchte ich, dass meine Figuren auch vorkommen und sich entfalten können. Sie sind ein bisschen wie Kinder, man möchte, dass sie wachsen und gedeihen. In den vergangenen Jahren habe ich gemerkt, dass sich mit Dr. Vogt so interessante Geschichten erzählen lassen, ihm hier auch mehr Raum zu geben. Im Zuge dieser Erkenntnis habe ich mir einfach überlegt, mal selber etwas zu entwickeln und die Routine in einem "Tatort" zu unterbrechen. In fast jedem Fall gibt es am Anfang des jeweiligen Films eine Leiche. Dann kommt der Rechtsmediziner hinzu, schildert seine ersten Eindrücke und das war es auch schon.

Nicht so in dem neuen Fall "Vergebung", der in Dr. Vogt ein verdrängtes, dunkles Geheimnis hervorruft, als er mit der am Ufer des Neckars angeschwemmten Leiche konfrontiert wird. Er begibt sich auf Spurensuche in seine eigene Vergangenheit …

Genau. Ich habe mich mit der Frage auseinandergesetzt: Was ist, wenn der Rechtsmediziner seine Routine mal nicht mehr durchziehen kann, weil er irritiert ist? Es stellt sich heraus, dass er eine Beziehung zu dem Verstorbenen hat. Anhand dieser Ausgangssituation habe ich ein wenig weiter gesponnen, um zu ergründen, welche Charakterzüge dieser Eigenbrötler Dr. Vogt, der immer im Keller sitzt und Leichen aufschneidet, eigentlich hat. An welcher Stelle in seiner Biografie ist er abgebogen? Diese Idee habe ich der Redaktion und Produktion irgendwann am Rande eines Filmfestivals vorgetragen. Sie waren so begeistert, dass die Geschichte umgesetzt wurde.

Wie schwierig ist es, in einem "Tatort" eine Nebenrolle auszubauen, wenn den Kommissaren und Staatsanwälten eine so große Bedeutung beigemessen wird?

Wenn man ein realistisches Setting nimmt, wie es der "Tatort" Stuttgart macht, dann ist es grundsätzlich schwierig, alle Figuren zu bedienen. Das kann irgendwann zu Unzufriedenheiten führen, denn jeder Schauspieler freut sich über vielfältige Geschichten seiner Rolle.

Wird die Geschichte des Dr. Vogt in künftigen Folgen weiterverfolgt?

Leider wird das Thema zunächst nicht weiter aufgegriffen. Das ist schon ein bisschen schade, entspricht aber dem Grundsatz, dem man sich verpflichtet hat – nämlich sich auf der einen Seite an ein realistisches Setting zu halten und sich auf der anderen Seite der horizontalen Erzählweise nicht zu stark zu bedienen. Das bedeutet, dass die Geschichten nicht groß fortgeführt werden, sondern dass jeder Fall solitär steht. Ich persönlich hätte es gerne gesehen, wenn diese Geschichte zumindest in ein, zwei Dialogen noch einmal aufgegriffen worden wäre. Schließlich wirkt die Handlung stark auf die Beziehung zwischen den Kommissaren und des Rechtsmediziners ein. Der eine oder andere Zuschauer könnte sich die Frage stellen, wie das denn weitergehen wird.

Jürgen Hartmann: "Auf diese Weise werden Täter geschnappt"

Hat das Gebiet der Rechtsmedizin durch den True-Crime-Hype, siehe Michael Tsokos, eine neue Bedeutung bekommen?

Wenn man sich vertieft, wird man feststellen, dass wir es hier tatsächlich mit einem sehr weiten und spannenden Feld zu tun haben. Es gibt schließlich auch Serien, die die Gerichtsmedizin in den Fokus rücken. Aus meiner Sicht völlig zurecht, weil es unvorstellbar ist, wie viele Informationen man dank der heutigen technischen Möglichkeiten aus den kleinsten Partikeln herausziehen kann. Auf diese Weise werden Täter geschnappt.

Wie haben Sie sich diesem Thema genähert? Vermutlich nicht, indem Sie selbst ein Kellerdasein gefristet haben. Diesen Eindruck erwecken Sie nicht …

Nein, keine Sorge. Bevor ich damals die Rolle angetreten habe, habe ich mich mit Rechtsmedizinern und dem Leiter eines pathologischen Instituts getroffen. Fernab der Fachgespräche habe ich ihn gefragt, ob das Klischee zutrifft, dass Pathologen so verschrobene Typen sind, wie sie in Filmen gerne dargestellt werden. Er hat mir gesagt, dass da schon etwas dran ist und mir erklärt: "Wenn man im Studium merkt, dass der Patient eher lästig ist, geht man in die Rechtsmedizin." Diesen Satz fand ich unfassbar lustig, und er ist mir hängengeblieben.

Natürlich habe ich die Ambition, auch andere Rollen zu verkörpern.

Jürgen Hartmann

Haben Sie Ambitionen, eines Tages vom Rechtsmediziner ins Ermittlerfach zu wechseln?

Natürlich habe ich die Ambition, auch andere Rollen zu verkörpern. Ich wünsche mir, dass durch die Aufmerksamkeit und positive Resonanz in der Presse, die mir der Fall "Vergebung" bereits eingebracht hat, noch mehr kommt. Und dass man erkennt, dass ich auch abseits des Rechtsmediziners Dr. Vogt ein guter Schauspieler bin, den man sich in vielen anderen Rollen vorstellen kann.

Hat Sie die positive Resonanz, von der Sie sprechen, im Vorfeld der TV-Ausstrahlung ein Stück weit überrascht?

Diese Resonanz hat mich in erster Linie sehr gefreut, aber auch ein bisschen überrascht. Ich blicke aktuell auf einen sehr arbeitsreichen Monat, da ich neben der Schauspielerei und einigen Lesungen gerade an einer Hochschule tätig bin. Im Moment bereite ich mit den Studierenden eine Prüfung vor. Nebenher prasseln seit einigen Tagen die ganzen "Tatort"-Kritiken auf mich ein, die allesamt toll und überschwänglich sind. Mir fehlt ein bisschen die Zeit, um all das richtig zu verarbeiten.

Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) wird durch den neuen Fall in seine Vergangenheit zurückgeworfen. © SWR/Patricia Neligan

"In meiner Studienzeit habe ich nahezu jedes Theater in Stuttgart besucht"

Und die Studierenden löchern Sie sicherlich auch mit der einen oder anderen Frage, richtig?

Das stimmt. Ich beziehe die auch immer mit ein, weil auch das zum Beruf dazugehört. Als Schauspieler muss man einerseits in der Lage sein, Rückschläge zu verkraften und andererseits muss man lernen, mit Erfolg umzugehen. Da ich den Beruf, den ich an der Uni lehre, selber ausübe, bekommen die Studierenden natürlich die Begleitumstände mit. Ich bin da ganz offen und gebe meine Erfahrungen gerne weiter.

Wie häufig sehen Sie die "Tatort"-Kommissare Richy Müller und Felix Klare bei den Dreharbeiten und wie gut ist die Stimmung am Set?

In der Beziehung war "Vergebung" auch ein Geschenk für mich, weil ich in der Regel nach Stuttgart fahre, meine Szenen spiele und wieder wegfahre. Man sieht sich dann nur kurz. Es ist aber immer herzlich miteinander, fast familiär. Mit Beiden und dem gesamten Team komme ich sehr gut aus. Bei diesem speziellen Film war ich von Anfang bis Ende am Set. Ich habe es sehr genossen und alles aufgesogen. Als Praline kam obendrauf, dass ich direkt im Anschluss mit Richy Müller in Bad Hersfeld Theater gespielt habe. Wir haben praktisch vier Monate am Stück miteinander verbracht.

Mit Blick auf Ihre bisherige Vita: Wie kommt ein ehemaliger Straßenclown zum "Tatort"?

Ich war zunächst auf einer Clownsschule, genauer gesagt auf der Freien Kleintheaterschule von Frieder Nögge in Stuttgart. In meiner Studienzeit habe ich nahezu jedes Theater in Stuttgart besucht, ich war wirklich besessen. Nach diesem Studium wollte ich unbedingt weiter lernen, vor allem die Psycho-Technik. Ich habe dann neben ersten Filmrollen die staatliche Schauspielschule besucht und einen ganz regulären Werdegang am Theater absolviert. Dass ich letztlich zu meiner Rolle als Rechtsmediziner gekommen bin, war ein Glücksfall. Eine Besetzungsdame hatte mich in einem Kurzfilm gesehen und wollte mich unbedingt zum Stuttgarter "Tatort" holen.

Das ist ihr auch gelungen. Sie wurden sogar noch vor Ihren langjährigen Kollegen Müller und Klare an Bord geholt …

Stimmt, ich habe bereits im letzten Bienzle-Film mitgespielt, ehe der Stuttgarter "Tatort" neu besetzt wurde. Grundsätzlich sollten die Figuren ab dem Moment eher Hochdeutsch sprechen. Nur der Gerichtsmediziner sollte ein Schwabe sein. Das hat dann gut gepasst.

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