Im Wald bei Kiel wird das Skelett eines jungen Mädchens gefunden: Es ist Klaus Borowskis Jugendliebe Susanne. Die Ermittlungen werden zur Psychotherapie für den aufgewühlten Kommissar. Ein sehenswerter "Tatort" mit Axel Milbergs Sohn in einer Gastrolle. Trotzdem ist "Borowski und der Schatten des Mondes" ein Beispiel für einen unzeitgemäßen Trend in Fernsehkrimis.
In Fernsehkrimis werden zu viele Frauen vergewaltigt. Oft reicht es nicht mehr, zu töten. Erst müssen sie gedemütigt werden: verletzt, gefoltert oder vergewaltigt. Gerne auch in Kombination. So lassen sich bei den Zuschauern besonders schnell und einfach Emotionen auslösen, Emotionen führen zu Anteilnahme, Anteilnahme zu Interesse und Faszination für die Geschichte (und damit idealerweise zu guten Quoten).
An der Wirkungskette ist prinzipiell nichts auszusetzen, Geschichtenerzähler wollen und sollten ihr Publikum fesseln – aber das mit Hilfe einer Vergewaltigung zu tun, ist in vielen Fällen billig und sensationsgierig. Das lässt sich an "Borowski und der Schatten des Mondes" gut demonstrieren. Denn der ist einerseits ein sehr sehenswerter Kieler "Tatort", andererseits auch ein sehr ärgerlicher.
"Tatort: Borowski und der Schatten des Mondes": Tod der Jugendliebe
Nachdem ein schwerer Sturm bei Kiel im Wald eine Eiche umgerissen hat, wird im Wurzelwerk das Skelett eines jungen Mädchens entdeckt. Kommissar Borowski (
Es ist der September 1970, Klaus und Susanne sind 14 und auf dem Weg zum Love-and-Peace-Festival auf der Ostsee-Insel Fehmarn. Jimi Hendrix wird auftreten. Als junger Klaus Borowski ist Axel Milbergs leiblicher Sohn (und Hendrix-Fan) August Milberg in seiner ersten Rolle zu sehen.
Susanne (Mina Rueffer) will unbedingt trampen, das gehöre einfach dazu. Klaus ist genervt, es regnet, kein Wagen hält. Die beiden streiten, Klaus nennt Susannes Plan eine Schnapsidee, Susanne nennt Klaus eine Niete. Wütend stiefelt er zur Telefonzelle, um sich von den Eltern abholen zu lassen. Von dort sieht er Susanne mit einem anderen Mädchen neben einem VW-Bus stehen. Bis er seine Münzen eingesammelt hat, sind Bus und Mädchen verschwunden. Es wird das letzte Mal sein, dass er Susanne sieht.
Axel Milberg als Super-Kommissar und Super-Zeuge in einem
Natürlich gibt Klaus Borowski sich die Schuld an Susannes Verschwinden, natürlich gibt er sich die Schuld an ihrem Tod, und natürlich beißt er sich an diesem Fall jetzt fest. Er ist Super-Kommissar und Super-Zeuge in einer Person.
Als sich aufgrund des Fundes eine neue Zeugin meldet und ein verurteilter Vergewaltiger erneut in Verdacht gerät, verwandelt Borowskis Eifer die Ermittlungen in eine Psychotherapie. Alles, was er bei seiner Arbeit mit Zeugen und Verdächtigen sonst professionell abwägt – Befangenheit, Widersprüche, Gedächtnislücken - wird ignoriert. Borowski fühlt alles, weiß alles und ist fest davon überzeugt, dass er der einzig Richtige ist, diesen Fall ganz alleine zu lösen.
Die Umsetzung ist großartig
Axel Milberg spielt Borowskis Schmerz, seine an Fanatismus grenzende Verbissenheit hervorragend. Jede Nuance des Getriebenen, des zutiefst verstörten Mannes wird spürbar und nachvollziehbar. Auch Almila Bagriacik meistert ihre undankbare, weil nüchternere Rolle: Als Kommissarin
Und dann ist da der Wald. Dort wurde Susanne gefunden, dorthin führen alle Spuren. Dunkel und mächtig, heimelig und einladend und zugleich bedrohend, lockt und beschwichtigt er alle Beteiligten. Nicolai Rohdes Regie und Philipp Kirsamers Kamera ziehen gekonnt alle Register, um dem Wald eine eigene Hauptrolle zu verleihen, als urdeutscher, symbolschwerer Ort, wo Männer noch Männer sein dürfen, wo der Mensch Antworten und zu sich selbst finden, an seine Grenzen gebracht werden oder grenzenlose Freiheit verspüren kann.
So geht es auch dem Spaziergänger mit Hund, der beim Fund der Knochen zufällig dabei war. Und weil der von Stefan Kurt gespielt wird, dem Experten für verdächtige Freundlichkeit, verrät man nicht zu viel, wenn man verrät, dass er für den Fall eine größere Rolle spielen wird als die eines Statisten mit Dackel.
"Nur" töten oder "nur" vergewaltigen reicht nicht mehr
Und was gibt es an dem Buch von Patrick Brunken und Torsten Wenzel dann zu meckern, wenn "Der Schatten des Mondes" doch so ein spannender, hervorragend gespielter "Tatort" ist? Weil die Vergewaltigung Susannes – der man gleich in den ersten Minuten zusehen darf – für die Geschichte eigentlich unnötig ist. Zumal es nicht einfach "nur" bei der Vergewaltigung des jungen Mädchens bleibt.
Der inhaftierte Gewalttäter Karl Heinz Schumacher (Bernd Tauber) darf als Hobby-Profiler auftreten und widerwärtiges Beweismaterial hervorkramen, das zum wohligen Erschaudern der Zuschauer ausgiebig in die Kamera gehalten wird. Und auch dabei bleibt es nicht – es wird beherzt in die Psychopathenklischeekiste gegriffen.
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Aus dem schrecklichen Gewaltakt wird, was Gewalt gegen Frauen im Fernsehen einfach zu oft ist, ein triviales Mittel, um Drama zu erzeugen. Eine Gelegenheit vor allem für die männlichen Beteiligten, Sensibilität zu demonstrieren. Und ihre Fähigkeit, Entsetzen, Ärger oder aufgestauten Schmerz positiv umzusetzen. So wie Borowski das hier darf. Wie um zu beweisen, dass es auch gute Männer gibt.
Denn die Heldin dieser Geschichte kann natürlich nicht die dickköpfige, aufmüpfige Susanne sein. Und ist auch nicht die kluge, besonnene Mila Sahin. Im Mittelpunkt steht Borowskis Chance, mit der Vergangenheit Frieden zu schließen.
Was auf der Strecke bleiben muss, ist die Perspektive des eigentlichen Opfers. Was zementiert wird, ist das Motiv der gedemütigten Frau als populärer Erzählkniff der Unterhaltungsindustrie. Diesen Vorwurf muss sich auch "Borowski und der Schatten des Mondes" gefallen lassen.
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