Ein Student wird erschlagen. Die Frankfurter Ermittler Janneke und Brix lernen seine amerikanischen Nachbarn kennen. Leider haben die viel zu viele Geheimnisse für 90 Minuten "Tatort"
Als wäre das Leben als unglücklich verliebte 17-Jährige nicht kompliziert genug, wird Emilys Freund erschlagen auf einem verlassenen Fabrikgelände gefunden. Als wäre es nicht schlimm genug, dass die eigene Mutter im amerikanischen Konsulat arbeitet, während man sich selbst für den Klimaschutz und lateinamerikanische Länder einsetzt, hat die Mutter Geheimnisse, gegen die ihr Job beim imperialistischen Feind noch das kleinste Problem scheint.
Was Emily in diesen 90 Minuten "Tatort" zugemutet wird, wünscht man keiner 17-Jährigen, da kann sie noch so sehr mit ihrer beleidigten Teenager-Empörung nerven.
"Tatort: Funkstille": Schokoladenkekse für Kommissar Brix
Dummerweise können wir über den Frankfurter "Tatort: Funkstille" nur sehr, sehr wenig schreiben, ohne zu viel von der Handlung zu verraten. Fangen wir deshalb mit dem Wäschekorb an. Die Szene mit dem Wäschekorb ist die beste des ganzen Films, sie findet nach 15 Minuten statt, und da weiß man als Zuschauer jedenfalls schon einmal, dass mit Emilys Mutter Gretchen Fisher irgendetwas nicht stimmen kann.
Die Hauptkommissare
Deren Eltern begrüßen die Kommissare jetzt fast überschwänglich. Gretchen serviert nach amerikanischer Tradition Chocolate Chip Cookies mit Milch. Lecker findet die Paul Brix, während Anna Janneke diese demonstrative amerikanische Häuslichkeit suspekt ist. Nein, sagen die Eltern, Emily war die ganze Nacht auf ihrem Zimmer, sie hatte nämlich Hausarrest. "Bei uns gibt's Regeln", verkündet Vater Raymond, und Gretchen erklärt stolz: "Wir sind auf amerikanischen Militärstützpunkten groß geworden. Army brats!", Militärgören. Mit eiserner Disziplin.
Janneke und Brix wollen sich lieber mal alleine mit der Tochter unterhalten und dürfen auf ihr Zimmer. Die Zuschauer wissen da bereits, dass die brave Emily sich nachts aus dem Haus geschlichen hat, um sich mit Sebastian zu treffen. Gretchen schnappt sich einen Wäschekorb, tut geschäftig und lauscht von draußen. Weil Emily ihre Mutter kennt, springt sie während des Gesprächs mit den Kommissaren zur Tür und reißt sie auf – aber da ist nur der leere Flur. Als Emily wieder in ihr Zimmer geht, fährt die Kamera zurück, und wir sehen die Mutter wie ein Kaktus auf der Schwelle zum Nachbarzimmer stehen: Sie presst nicht nur sich selbst mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür, sondern hält auch den gefüllten Wäschekorb mit einer abenteuerlichen Verrenkung ihres Armes außer Sichtweite. So elegant kriegt das keine durchschnittliche Hausfrau und Büroangestellte hin.
Tessa Mittelstaedts Gretchen ist das Highlight dieses "Tatort". Die Schauspielerin, die jahrelang als Ballaufs und Schenks Assistentin Franziska im Kölner "Tatort" zu sehen war, spielt die dominante Mutter mit einer derart beklemmenden Ruhe und Intensität, dass man sich fast lieber nicht vorstellen möchte, was sich hinter diesem maskenhaften Lächeln verbirgt.
"Funkstille" ist hoffnungslos überambitioniert
Der Vater benimmt sich übrigens auch nicht gerade vertrauenerweckend, dieser Raymond (Kai Scheve) mit seiner blonden Föhnfrisur und der schmierigen Freundlichkeit, die er offenbar nur aufrecht erhalten kann, weil er zum Schlagen in den Keller geht: Dort hat der einstige Mittelgewichtsmeister einen Boxsack hängen, auf den er regelmäßig eindrischt wie ein Irrer.
"Funkstille" fängt vielversprechend und mit einer Fülle an plausiblen Verdächtigen an. Und die Richtung, die die Ermittlungen schließlich nehmen, ist ambitioniert und vielschichtig. Allerdings zeigt sich bald, dass sich die Autoren (Stephan Brüggenthies und Andrea Heller) heillos übernommen haben. Sie haben sich von einem wahren Fall und einer amerikanischen Fernsehserie mitreißen lassen, aber es ist unmöglich, diesen Plot glaubwürdig in 90 Minuten "Tatort" zu packen. Das von den angeblichen "army brats" Gretchen und Raymond gesprochene lächerliche Englisch ist da noch das geringste Problem.
Was "Funkstille" vor der kompletten Lächerlichkeit bewahrt, sind Regie (Grimme-Preisträger Stanislaw Mucha), Kamera (Johannes Monteux) und Szenenbild (Manfred Döring) mit ihrem unterhaltsamen Faible für bizarre Details. Die Szene mit dem Wäschekorb ist da nur der Anfang.
In diesem "Tatort" passt nichts zusammen – und was die Optik angeht, ist das als Kompliment gemeint.
Da ist das von außen so biedere Vorstadthaus einerseits und der schicke Pool andererseits. Die Couchgarnitur aus weißem Leder und spießerdeutsche Schrankwände. Die unbeholfene Thanksgiving-Dekoration. Überall Vasen, Krüge, Töpferware – das genaue Gegenteil von Gretchens eleganter Garderobe. Raymonds Pokale in jeder Vitrine. Ausgestopfte Tiere, Jagdmotive – sehr symbolisch. Als würde da versucht, ein Leben in der Heimlichkeit mit einem Übermaß zur Schau gestellter Trophäen auszugleichen. Als würde alles getan, damit Außenstehende sich kein schlüssiges Bild von den Bewohnern verschaffen können.
Das ist zwar als Kuriositätenkabinett ganz kurzweilig und wäre für einen längeren Erzählstrang reizvoll – für einen Krimi aber ist die Überladenheit fatal.
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