Eine Silvesterparty unter Schauspielern endet tragisch - fragt sich nur, für wen. "Vier Jahre" ist kein konventioneller Wer-war's-Krimi, sondern ein Kunstprodukt von und mit begabten Künstlern. Thomas Heinze brilliert als eitler Fernsehstar unter Mordverdacht.

Eine Kritik
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Dieser Kölner "Tatort" fängt an, als wäre er eigentlich ein Münchner "Tatort". Denn "Vier Jahre" spielt im Schauspielermilieu und beginnt mit einer Silvesterparty, wie sie sonst gerne inszeniert wird, um die Dekadenz der Münchner Schickeria zu demonstrieren.

Eine Villa mit Pool, Alkohol in Strömen, Wunderkerzen im Garten, Schummerlicht und Spotlights. Ein bisschen "Cabaret", eine Prise "Babylon Berlin", Pelze und Zylinder, Chansons und Achtziger-Jahre-Pop – ein sorgfältig kuratiertes Durcheinander, das Geld und Glamour schreit. Man tanzt und trinkt und feiert vor allem sich selbst. Gastgeber ist das erfolgreiche Schauspielerpaar Moritz und Carolin Seitz (Thomas Heinze und Nina Kronjäger).

Ein gelungenes Spiel aus Sein und Schein

Moritz ist Fernsehserien-Tierarzt. Das hat ihm Geld gebracht, aber auch den Neid und Spott manch alter Kollegen von der Schauspielschule: Thore Bärwald (Max Hopp) erscheint ungeladen auf der Party, er ist dem Theater treu geblieben und unterstreicht das mit dramatischem Auftritt und polemischer Gehässigkeit. Ole Stark (Martin Feifel), von dem wir später erfahren, dass er der talentierteste der drei gewesen sei, hat sich als Kellner verkleidet. Oder ist er der Kellner?

Der fließende Übergang zwischen Sein und Schein in diesem Künstlermilieu ist das Spiel, das Drehbuchautor Wolfgang Stauch und Regisseur Torsten C. Fischer mit "Vier Jahre" spielen – nicht immer sehr subtil, aber sehr gekonnt. Was die Zuschauer in der kunstvollen Anfangsmontage, die das Damals und Heute ineinander übergehen lässt, auch zu sehen bekommen, ist das Ende der Party und der Anfang vom Ende des Gastgeberehepaares: Thore Bärwalds Leiche liegt im Pool, Moritz Seitz kommt ins Gefängnis. Zugleich sehen wir einen stark alkoholisierten Ole Stark auf dem Weg zu den Kommissaren Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär): Er will den Mord von vor vier Jahren begangen haben. Moritz Seitz darf nach Hause, Ole Stark geht ins Gefängnis.

Aber die Ermittler glauben ihm nicht und ermitteln erneut. Nur geht es jetzt weniger darum, den Mörder zu finden, sondern den Grund für Ole Starks Lüge. Was sich als schwierig herausstellt: Zwar sind Kommissare Profis im Lügen-Entlarven, aber Schauspieler sind schließlich Profis im Lügen: "Was ist bei Euch Schauspielern alles echt?", fragt ein Polizist einmal Moritz Seitz. "Lachst du, wenn du lachst, heulst du, wenn du heulst?" "Bei mir ist alles echt, immer" antwortet Seitz. Und lächelt.

"Vier Jahre": Ein Kunstprojekt als Tatort verkleidet

Später erwähnt Kommissar Freddy Schenk seinem Kollegen Max Ballauf gegenüber, dass die Ehefrau von Moritz Seitz die Mörderin sein könnte: Carolin Seitz habe schließlich mal eine Polizistin gespielt, "die hat das Fachwissen, wie man sowas macht". Ballauf lacht ihn aus: "Wie wir!" Da stapeln sich die Metaebenen.

"Vier Jahre" ist kein konventioneller Wer-war's-Krimi, sondern ein Kunstprodukt von und mit begabten Künstlern. Darauf muss man sich einlassen, sonst kommt man aus dem Augenrollen bei diesem Film nicht heraus. Denn mit Menschen hat man es hier nur am Rande zu tun. Hier geht es vor allem um Figuren, die Theatersätze kundtun. Die so spielen, wie sie heißen („Thore Bärwald“!). Hier werden Fragen wie "Liebst Du mich?" nicht mit Ja oder Nein beantwortet, sondern mit Sätzen, aus denen die Melancholie wie Sirup auf das Parkett tropft: "Wer weiß das schon." Es wird nicht geguckt, es wird bedeutungsvoll geblickt. Und die Schauspielervilla wird zum Puppenhaus, auf das die Zuschauer von außen durch die einzelnen Fenster sehen dürfen, als säße man im Theater und blicke auf die verschiedenen Ebenen einer mehrstöckigen Bühne.

Thomas Heinze im Mittelpunkt

Das muss man mögen, aber das ist auch zu gut gemacht, um es zu hassen. Und außerdem ist da Thomas Heinze, der sich in "Vier Jahre" in mehrfacher Hinsicht in den Mittelpunkt spielt: Sein selbstgefälliger Schnösel Moritz Seitz erkennt sein Schnöselleben nach vier Gefängnisjahren gar nicht wieder. Der Pool ist - natürlich hochsymbolisch - trocken gelegt und mit Herbstlaub zugemüllt, die Tochter bügelt für Mamas Neuen die Hemden, und der Neue ist ausgerechnet der Polizist (Florian Anderer), der in der Mordnacht ins Haus gerufen wurde.

Wie sich die Demut allmählich in das Angebergehabe schleicht, wie Moritz Seitz seine ganze Schauspielkraft jetzt darauf anwenden muss, den Schmerz und die Demütigung hinter der Maske forscher Zuversicht zu verstecken, wie der Tierarzt zur Theatralik greift, um die Geliebte zurückzugewinnen – das ist eine Kunst, die nicht nur Bewunderung für so viel Kunstfertigkeit einfordert, sondern auch einfach nur Spaß macht.

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